XI. Der Fuchs als Klageweib.

[246] Wie oben bereits erwähnt1, kommt die kleine Geschichte vom Fuchs, der auf die Schwanzspitze einen Schlag erhält, auch in Verbindung mit anderen Erzählungen vor, so vor allem mit dem Thema, ›wie der Bär sich ein Klageweib suchte‹2, das sich fast nur in nordischen, besonders in finnischen und russischen Aufzeichnungen findet.


1. Aus Finnland.


Der Bär hatte sein Weib verloren und suchte einen Leidtragenden, der an ihrer Bahre weine. Lange wanderte er im Walde herum, da begegnete ihm der Wolf und fragte: »Wohin des Wegs, Gevatter?« – »Ich suche einen Leidtragenden.« – »Nimm mich dazu, Gevatter!« bat der Wolf. »Verstehst du dich aufs Heulen?« fragte der Bär. – »Gewiß, Gevatter, gewiß!« versicherte der Wolf. – Aber der Bär wollte jedenfalls erst die Stimme hören und sagte: »Heule ein wenig zur Probe, damit ich sehe, ob du es kannst.« Der Wolf stimmte sofort ein Klagelied an: »Hu, hu, hu, huuu, huh!« – Dem Bär gefiel die Stimme doch nicht so recht: »Du verstehst das Wehklagen nicht, geh deiner Wege!« sagte er zum Wolf und ging weiter. – Bald traf er einen Hasen, dem er sein Begehren vortrug, und dieser erbot sich sofort zum Leidtragenden, denn er meinte, seine Stimme müsse dabei besonders schön klingen. »Nun, probier's mal, daß ich dich erst hören kann,« antwortete der Bär. Der Hase hob an zu klagen: »Pu, pu, puuu, puh!« – Aber auch seine Stimme gefiel dem Bär durchaus nicht. »Das geht nicht an!« sagte er zum Häschen. »Du taugst mir vollends nicht dazu!« Hierauf begegnete ihm der Fuchs, der ihn ebenso wie die andern fragte: »Wohin des Wegs, Gevatter?« – »Einen Leidtragenden zu suchen.« – »Wähle mich dazu,« sagte der Fuchs. Der Bär sah ihn nachdenklich an. »Hm! kannst du gut heulen?« – »O, und ob!« antwortete der Fuchs und fing an zu klagen und zu weinen: »Luu, luu, luu! Dem Gatten ist die treue Gattin gestorben, die brave Wirtschafterin, die fleißige Spinnerin, die Bäckerin der guten Kuchen, die emsige Arbeiterin! Vorbei ist's mit dem Kuchenschmause, und von der Ofenbank fielen die Pfannen!« – »Nun, ich sehe, du bist doch ein Wehklager von der rechten Art!« sagte darauf der Bär und führte den Fuchs in seine Wohnung. Er trat mit ihm in die Stube, wo die Frau Bärin auf einem Bette lag, und befahl dem Fuchs seines Amtes zu warten und über die Tote zu klagen. Dies war aber Meister Reineke gar nicht nach dem Sinne. »In der Stube ist nicht gut wehklagen, hier ist es zu dumpf!« sprach er zum Bären. »Bring die Selige in das Vorratshaus, im luftigen Raum wird's besser gehen.« Der Bär war damit einverstanden und trug sie in das Hintergebäude. Er selbst ging zurück in die Stube, um den Brei für den Wehklagenden zu kochen. Dabei horchte er von Zeit zu Zeit durch die halboffene Tür nach der Totenklage, aber sonderbar! – davon vernahm er durchaus nichts. Endlich wurde es ihm doch zu bunt. Er lief in Eile an die Thür des Hauses und rief dem Fuchs zu: »Warum heulst du nicht, Gevatter? Ich höre deine Stimme ja gar nicht!« Der Fuchs; der eben dabei war mit bestem Appetit die Leiche zu verzehren, antwortete heulend: »Es bleiben noch die Schenkel zu genießen, die Sohlen zu schmau sen, wenn's nur in den Magen ginge und die Zeit zum Essen ausreichte!«

[247] Als der Bär solches hörte, stürzte er mit dem Kochlöffel hinein, um den unverschämten Fuchs zu züchtigen. Aber sowie er nur die Tür öffnete, huschte auch Reineke zwischen seinen Beinen hindurch ins freie Feld, als brennte es hinter ihm Beim Vorbeischnellen aber traf ihn der Bär mit dem mehlbedeckten Löffel an den Schwanz. Und seitdem hat der Fuchs eine weiße Schwanzspitze behalten.


  • Literatur: Finnische Märchen übs. von E. Schreck. 1887. S. 191 ff. = Dähnhardt, Naturgesch. Volksmärchen3 1, 63 Nr. 43.

2a. Aus dem handschriftlichen Nachlaß von Hurt, in Estland aufgezeichnet. – Die allgemein gültige Ätiologie ist in dieser wie in der folgenden Variante zwar nicht unmittelbar ausgesprochen, allein es unterliegt keinem Zweifel, daß die Sage ursprünglich nicht nur den singulären Fall der Verwandlung eines Badequastes in einen Fuchsschwanz berichten will, sondern daß sie zu erklären sucht, woher denn überhaupt das auffallende, buschige Aussehen der Fuchsschwänze stamme. – Zum Thema ›Halbaus-Ganzaus‹ vgl. oben S. 241.


Ein altes Mütterchen hatte zehn Schafe und zehn Böcke und suchte sich einen Hirten. – Zuerst begegnete ihr ein Wolf und heulte: huuu, u, u! Dem Mütterchen gefiel diese Stimme nicht und sie wollte ihn nicht zum Hir ten. Dann begegnete ihr ein Hase und rief: kin, kin, kin! Auch das gefiel der Alten nicht und sie ging weiter. Nun kam der Fuchs und machte eine recht feine und hübsche Stimme. Das gefiel dem alten Mütterchen und der Fuchs wurde Hirte. Gleich am ersten Tage hatte der Fuchs ein Schaf und einen Bock aufgefressen, sagte aber, der Wolf habe die Tiere gestohlen und gefressen, er habe es nicht hindern können. Jeden Tag fraß der Fuchs ein Schaf und einen Bock, bis schließlich alle gefressen waren. Der Fuchs hatte Hunger und sagte, ein Dorfweib habe ihn zu sich gebeten. Den zweiten Tag sagte der Fuchs, er sei zu einer Taufe geladen und ging wieder fort. Als er nach Hause gekommen war, fragte die Alte den Fuchs, was für einen Namen das Kind bekommen habe, Er sagte: »Pooling« (Hälfte). Der Fuchs hatte nämlich das Geschirr mit Sahne seiner Wirtin bis zur Hälfte geleert. Den dritten Tag ging er wieder zur Taufe. Der Fuchs sagte, daß dieses Kind »Riibing« (riibe = bis an den Rand voll) heiße. Er hatte nämlich das Geschirr mit Sahne geleert und es umgekippt. – Nun klagte der Fuchs über Rückenschmerzen und bat seine Wirtin, die Badestube zu heizen. Als er in der Badestube war, bat er die Wirtin, ihn mit einem Quast (wiht) auf den Rücken zu schlagen. Da sprang plötzlich der Fuchs auf und sagte, er habe alle Schafe und Böcke und die Sahne gefressen und lief davon. Die Alte warf ihm den buschigen Badequast nach, welcher der Schwanz des Fuchses wurde.


b. Aus Estland.


Eine Alte sucht für ihre drei Gänse eine schön singen de Hirtin, weist ab den Hasen – Bären – Wolf. Der Fuchs singt:


»Singet, springet

Mütterleins Gänschen!

Auf den Berg, untern Berg,

Auf den Berg essen,

Untern Berg trinken;

Goldnes Heu essen,

Silberwasser trinken.«

– Wird angenommen.


Der Fuchs als Hirt frißt die eine Gans, die zweite, dritte, wird im Hause dienen; fragt sich dreimal zur Taufe aus; verzehrt, statt hinzugehen, auf dem Boden die Butter. Des Täuflings Name angeblich: Anfang – Mitte – Ende. Der Fuchs[248] heizt die Badestube mit ein wenig Stroh, quästet die Alte mit einem Besen. Sie wirft nach ihm mit dem Badequaste, wünscht ihm »des Bastschuhes Gesundheit, des Pilzes Lebensdauer und den Quast als Schwanz«.


  • Literatur: O. Kallas »80 Märchen der Ljutziner Esten« Nr. 72 (Verhandl. d. Gel. Estn. Gesellsch. Bd. XX, 2 Dorpat 1900).

3. Aus Norwegen.


Es war einmal eine Frau, die ging aus und wollte sich einen Hirten mieten. Da begegnete ihr der Bär. »Wo willst du hin?« fragte sie der Bär. – »O, ich wollte mir nur einen Hirten mieten,« antwortete die Frau. – »Willst du mich zum Hirten haben?« fragte der Bär. – »Ja, wenn du nur hübsch locken kannst,« sagte die Frau. – »Hö – i!« machte der Bär. – »Nein, dich will ich nicht haben,« sprach die Frau, als sie das hörte und ging weiter. – Da begegnete ihr der Wolf. »Wo willst du hin?« fragte der Wolf. – »O, ich wollte mir nur einen Hirten mieten,« antwortete die Frau. – »Willst du mich zum Hirten haben?« fragte der Wolf. – »Ja, kannst du auch hübsch locken?« sagte die Frau. – »Uh – uh!« machte der Wolf. – »Nein, dich will ich nicht haben,« sprach die Frau. – Ein Ende weiterhin begegnete ihr der Fuchs. »Wo willst du hin?« fragte der Fuchs. – »O, ich wollte mir nur einen Hirten mieten,« antwortete die Frau. – »Willst du mich zum Hirten haben,« fragte der Fuchs. – »Ja, wenn du nur hübsch locken kannst,« sagte die Frau. – »Dil – dal – holom!« rief der Fuchs möglichst hübsch und artig. – »Ja, dich will ich haben,« sprach die Frau und nahm den Fuchs zum Hirten bei ihrem Vieh an.

Am ersten Tage, wie der Fuchs das Vieh auf die Weide trieb, fraß er alle Ziegen auf. Den zweiten Tag ließ er sich die Schafe schmecken. Den dritten Tag mußten die Kühe daran. Als er darauf am Abend nach Hause kam, fragte die Frau ihn, wo er das Vieh gelassen hätte. »Der Kopf ist im Bach und der Rumpf im Busch,« sagte der Fuchs. Die Frau stand eben bei ihrem Butterfaß und butterte, aber sie wollte doch selbst zusehen. Während sie nun zusah, steckte der Fuchs den Kopf ins Butterfaß und fraß allen Rahm auf. Als die Frau zurückkam und das gewahr ward, da wurde sie so erbittert, daß sie einen Rahmklumpen nahm, der noch im Butterfaß saß, und nach dem Fuchse warf. So kriegte er einen Klatsch am Schwanz, und seitdem hat der Fuchs einen weißen Schwanzzipfel.


  • Literatur: Asbjörnsen und Moe, norwegische Volksmärchen, übers. von Bresemann 1847. I, S. 146 f. = Dähnhardt, Naturgeschichtl. Volksmärchen Nr. 7, 1 (1. Aufl.)

Fußnoten

1 S. 244.


2 Hierzu vgl. Krohn S. 93. Schreck, Finn. Märchen 191 ff. 208 ff. La Tradiion 16, 235 (hier will die Katze heiraten; die Stimmen des Ochsen, des Pferdes und Esels mißfallen ihr; sie wählt die Maus). Journal de la Soc. Finno-Ourgr. 12, 148 (Schluß).


Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 249.
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