7. Kapitel.

Die Fuchsmärchen.

[217] Einer der zahlreichen, ›unerfundenen und unerfindbaren Stoffe‹ alter Volkstradition über Tiere liegt auch dem Kreise der Fuchsmärchen zugrunde. Der im Kerne uralte Stoff hat sich in mündlicher und literarischer Überlieferung bis auf die Gegenwart fortgepflanzt, erweitert, umgeformt und im Laufe der Zeit den verschiedenartigsten Bedürfnissen anpassen müssen. In den Formen der Fabel, der epischen Verserzählung, des Schwankes und des Märchens1 tritt er uns hauptsächlich entgegen. Doch während[217] die ersteren Gattungen im Mittelalter ihre höchste Blütezeit hatten und am weitesten verbreitet waren, dann aber langsam abstarben, haben sich die Fuchsmärchen- und -sagen Ton den ältesten Zeiten her bis in unsere Tage hinein erhalten und sind vor allem aus Aufzeichnungen nord- und mitteleuropäischer Herkunft wohlbekannt. Abgesehen von dieser Lebenszähigkeit sind die Sagen dieses Stoffkreises noch dadurch besonders interessant, daß bei ihnen allein naturdeutende Schlüsse zu finden sind. So verständlich zwar das Fehlen einer unepisch-lehrhaften Ätiologie in den längeren Verserzählungen des Mittelalters ist, so auffallend ist es für die Fabel, die sich sonst keineswegs ablehnend gegen naturdeutende Schlüsse verhält.2 Der Grund für die Erscheinung scheint nicht recht klar zu sein; man darf aber vielleicht vermuten, daß den gelehrten Fabeldichtern und -abschreibern die in Frage kommenden Ätiologien vom Stummelschwanz des Bären, vom Aussehen des Fuchsschwanzes, von der Hasenscharte usw., wenn sie ihnen überhaupt bekannt waren, so doch nicht recht glaubhaft erschienen sind.

Als Träger der Handlung steht der Fuchs, wie schon in der griechischen Überlieferung so auch in der Mehrzahl aller Märchen und Sagen weitaus im Vordergrunde. Seine Listen und Streiche, seine Bosheit und Niedertracht sind ein unerschöpfliches Thema für die volkstümliche Erzählung. Stets ist er der schlaue, skrupellose Widerspieler, auf den sich das Interesse des. Erzählers konzentriert, und meist wird er Bär oder Wolf gegenübergestellt, die seiner Tücke und Verstellung zum Opfer fallen.

Die Menge aller hierher gehörenden Sagen läßt sich in zwei Hälften zerlegen, von denen die eine in keinem nachweisbaren Zusammenhange weder mit der griechischen Fabel, noch mit der Dichtung des Mittelalters, den Fabeln und epischen Erzählungen steht. Diesem Kreise gehören nicht nur mitteleuropäische, sondern, wie K. Krohn in grundlegender Untersuchung gezeigt hat3, vor allem nordische volkstümliche Überlieferungen an. In denjenigen ätiologischen Fassungen, die nicht nur vereinzelt, sondern häufiger vorkommen, sind folgende Motive behandelt:

1. Bärenfell bemalen (unten S. 239). 2. Halbaus-Ganzaus (unten S. 241).[218] 3. Warum der Fuchs eine weiße Schwanzspitze hat (unten S. 243). 4. Der Fuchs als Klageweib (unten S. 247). 5. Fuchs und Bär bei gemeinsamer Arbeit (unten S. 249).4

Es sei hier gleich angemerkt, daß von allen Motiven nur das zweite mit Bestimmtheit dem internationalen Erzählgute zugewiesen werden kann, die übrigen sind vorzugsweise in nordischer, d.h. skandinavischer, finnischer oder russischer Überlieferung verbreitet.

Der andere Teil der Sagen läßt sich griechischen und mittelalterlichen lateinischen, äsopischen Fabeln und ihren späteren Bearbeitungen, sowie einzelnen Episoden aus den epischen Dichtungen zur Seite stellen. Es sind dies:

1. Der Fischfang (siehe unten). 2. Der Fuchs wirft Fische vom Wagen (unten S. 225). 3. Der Mondkäse (unten S. 230). 4. Der Bär auf der Honigsuche (unten S. 231). 5. Steckenbleiben im engen Loch (unten S. 232). 6. Pferd und Wolf (unten S. 235). 7. Der Listensack (unten S. 258 f.). 8. Der Wolf und die Widder (unten S. 256 f.).

Eine vorzugsweise Beschränkung auf nordische Länder fehlt hier, allein es darf nicht übersehen werden, daß so mancher ursprüngliche Zug sich im Norden allein treu erhalten hat.5

Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 217-219.
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