III. Der Mondkäse.

[230] In einer bereits mitgeteilten Sage1 fand sich der Zug, daß der Wolf nicht um Fische zu angeln, sondern um eines (Käse' willen, wie der Fuchs ihm den Widerschein des Mondes auf dem Eise erklärt, in die bekannte prekäre Situation gerät, aus der er sich nur unter Verlust seines Schwanzes befreien kann. Die Motivmischung, auf die wir damals aufmerksam machten, besteht in folgendem:

1. die oben mitgeteilte keltische Sage will die Schwanzfischerepisode erzählen, hat aber den wichtigen Umstand, die Wuhne im Eise, vergessen,

2. und sucht sich nun dadurch zu helfen, daß es aus einem anderen Abenteuer den Mond(-Käse) einführt und recht eigenartig verwertet.2

Das Motiv der Spiegelung hat eine weite Verbreitung sowohl im Orient wie im Okzident gefunden und beruht, wie schon Benfey erkannte3, auf einer allgemein menschlichen Erfahrung, aus der sich an verschiedenen Orten selbständige Fabeln entwickeln konnten. Die verschiedenen Typen der Spiegelungserzählungen sind, soweit sie in der Form von Tiersagen[230] auftreten, in übersichtlicher Weise von Voretzsch gruppiert und ausführlich besprochen worden.4

Hieraus ist zu ersehen, daß das Mondkäsemotiv, wie es in der keltischen Fassung vorliegt, auf eine abendländische Tiersage zurückgeht, die vermutlich auch den Stoff für die beiden ältesten literarischen Fassungen bei Raschi († 1040) und Petrus Alfonsi (Disciplina clericalis Nr. 24) geliefert hat.5 Freilich ist das Milieu hier ein ganz anderes, und es ist vor allem der Brunnen als Schauplatz, der unserer Variante fehlt. Allein es darf nicht vergessen werden, daß die keltische Version die Vorspiegelung des Käse nur als ein Verlegenheitsmotiv benutzt, das ursprünglich in die Erzählung gar nicht hineingehörte.

Von den übrigen mündlichen Fassungen hat keine, so weit sie uns vorliegen, einen naturdeutenden Schluß.

Fußnoten

1 Oben S. 221.


2 Der Wolf muß seinen Schwanz auf das Spiegelbild des Mondes halten, damit es niemand erblicke.


3 Benfey, Pantschatantra 1, 181.


4 Zeitschrift f. rom. Phil. 15, 362 ff. Vgl. Grimm, Reinhart Fuchs, Einleit, S. 277 f. Benfey, Pantsch. 1, 182. 348 f. Hertel, Tantrâkhyâyika 1, 131. 137. Krohn S. 41 f. Warnke, Die Quellen etc. S. 204 (wo zu lesen ist: Lafontaine XI, 6 und nicht IX, 4). Sudre p. 226 ff. Köhler, Klein. Sehr. 1, 107.


5 Zeitschr. f. rom. Phil. 15, 353. Warnke a.a.O.S. 205. Sudre p. 232 ff. Krohn S. 41. – Vgl. noch Revue des trad. popul. 1, 363. Gittée et Lemoine, Contes popul. du pays wallon p. 168. Arnaudin, Contes pop. de la Grande Lande p. 117. Sz. Gonet, Opowiad. Ludowe S. 272 Nr. 38 (= Mater. Antr., Arch. i Etnogr. Akad. Um. w Krak. IV, 2. Abt. 1900). Jolowicz, Polyglotte der oriental. Poesie S. 307 Nr. 3 (2. Aufl.). Strohal 1, 249.


Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 231.
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