Der verirrte Reisende

[17] Ein sehr reicher Russe reiste zu seinem Vergnügen in einem Wagen, welcher wie ein Haus eingerichtet war. Er lenkte ihn selber, da er keinen Diener hatte, und verweilte in den Städten, die er besuchen wollte.

Als sich besagter Russe eines Nachts auf einem üblen Wege in der Nähe von Janina in Albanien verirrt hatte, ward er von einem fürchterlichen Sturm überrascht, der im Handumdrehen Wagen und Pferd umwarf. Mensch und Tier retteten sich, ohne daß sie sich allzu weh getan hatten. Da aber der Wagen eine Gabeldeichsel und ein Rad verloren hatte, sah der Fremdling ein, daß er seine Reise nicht fortsetzen konnte. Brachte sein Pferd wieder auf die Beine, nahm es beim Zügel und suchte in der Nachbarschaft, ob er ein schützendes Dach fände.

Beim Aufleuchten eines Blitzes entdeckte er einen kleinen Meierhof.

»Dort will ich um Gastfreundschaft bitten,« sagte er sich, kam vor dem Tor an und pochte erst leise, dann lauter. Sturm und Unwetter wüteten immer noch heftig; die Leute im Hause hörten nichts von dem Klopfen, das von draußen geschah.

Der Russe ging zum Wagen zurück, nahm die zerbrochene[18] Deichsel und bediente sich ihrer, um an die Tür zu klopfen.

»Mann«, sprach die Bäuerin, »ich glaube, draußen pocht jemand an!«

»Du bist närrisch. Wer wird zu solcher Zeit ans Wandern denken?«

»Es klopft wer, sage ich dir! Sind's vielleicht Räuber?«

»Eher irgendein verirrter Reisender. Was sollten denn wohl Räuber bei uns wollen? Wir haben nicht einen Piaster an Geld im Kasten. Wenn's ein Wanderer ist, können wir ihn nicht im Platzregen stehen lassen!«

Der Bauer schickte sich an zu öffnen.

»Guten Abend, Fremdling! Was führt Euch zu dieser Stunde her?«

Der Russe, welcher kein Wort verstand, wollte sich in seiner Sprache verständlich machen.

»Ich versteh' nicht, was Ihr sagt, Fremdling; doch was macht's!«

Und gab ihm ein Zeichen einzutreten.

Der Bauer führte das Pferd in den Stall, schüttete ihm zu fressen vor und leitete den Russen in den einzigen Wohnraum der Hütte.

»Weib,« sprach er, »dieser Mann ist ein Fremder, der eine Teufelssprache redet. Vergebliches Mühen mit ihm zu schwatzen. Deck' den Tisch und sorge für das Abendbrot!«

Die Bäuerin war jung, frisch und gewandt. Bald[19] hatte sie eine gute Mahlzeit zubereitet, welcher der Russe alle Ehre antat.

Bemerkte der Bauer: »wir müssen nun sehen, daß wir den Mann zum Schlafen unterbringen!«

»Recht hast du, aber ...«

– »Aber wie?«

»Wir haben nur ein Bett, das weißt du wohl. Zweifelsohne ist der Fremdling eine hohe Persönlichkeit, zum mindesten ein Fürst, man kann ihn nicht im Stalle schlafen lassen.«

»Unser Bett ist breit. Vier Leute passen hinein. Einen Platz wollen wir dem Fremden einräumen!«

»Bist doch eine Seele von Mann!«

»Ich will Seine Exzellenz durch Zeichen auffordern hier zu bleiben.«

Der Bauer streckte den Arm nach der Straße hin aus, deutete an, daß der Sturm noch immer wild wüte, zeigte auf das Bett, dann auf sein Weib und sich, hob drei Finger auf, schloß die Augen und stellte sich, als ob er schlafe.

Der Fremdling hatte begriffen und schickte sich an, um es ihm zu verstehen zu geben, sich auszuziehen.

Der Bauer und sein Weib taten ein Gleiches, legten sich nieder, der Pächter an die Wand, die Frau in die Mitte und der Russe an den Rand des Bettes.

Bald aber schnarchte der Bauer laut.

Der Reisende und die Pächterin schliefen nicht. Das Weib drehte den Rücken dem Fremden zu, der diesen Glücksfall auszunutzen gedachte.[20]

Der Russe schob sanft den Arm unter den Busen der Nachbarin und zog sie gegen seine Brust. Das gute Tier ließ es geschehen und legte sich so bequem hin, wie sie es vermochte. Mühelos fand die Waffe des Russen ihren Weg und das Bett bewegte sich unter den verteufelten Stößen, so daß der Bauer endlich aufwachte.

»Frau,« sprach er, »ich glaube, der Fremde faßt dich an.«

»Ich glaub's auch!«

»Ist er bei dir eingekehrt?«

»Scheinbar ja. Auf jeden Fall ist das Ding ein Ende länger als das, mit dem du mir auftischst!«

»Sag ihm, er solle dich in Ruhe lassen!«

»Warum besorgst denn du das nicht?«

»Besser ist's, daß du es tust!«

»Aber du weißt doch genau, daß er auch nicht ein Wort von unserer Sprache versteht!«

»Daran habe ich nicht gedacht, Weib. So müssen wir uns denn drein fügen!«

Der Bauer schwieg und der Fremde verschaffte dem Weibchen eine köstliche Nacht und dem Pächter eine höllische Qual.

Folgenden Morgen ging der Russe in die Stadt und trug Sorge, daß sein Wagen ausgebessert ward. Doch als er am Abend nochmals um Gastfreundschaft bitten wollte, schlug ihm der Bauer die Türe vor der Nase zu.

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 17-21.
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