13. Das Märchen von den drei Schwestern.

[48] Es war einmal eine alte Frau, die hatte drei Töchter. Die eine sagte: »Ich will ausziehen und arbeiten; irgend eine Arbeit werde ich schon finden. Wir sind ja so arm.« Sie hatte eine Henne; die nahm sie mit als Wegzehrung. Und so machte sie sich auf den Weg und wanderte dahin einen halben Tag. »Hier will ich ein wenig ausruhen,« sagte sie bei einem kleinen Wasser; und da ruhte sie sich aus. Als sie so im Schatten dalag, erblickte sie einen reichen Herrn.

»Guten Tag,« sagte er zu ihr. »Guten Tag,« antwortete sie.

»Wo willst du denn hin?« sagte er zu ihr, »dass du so ganz allein wanderst.« – »Ja, ich gehe auf Arbeit aus,« antwortete sie. »Hast du etwa irgend welche Arbeit für mich?« sagte sie zu dem reichen Herrn. – »Ja, ich habe Arbeit,« sagte der reiche Herr. »Komm und wasche mir meine Wäsche,« sagte er zu dem Mädchen. Da gingen sie denn susammen. Er liess das Mädchen auf dem Pferde hinten aufsitzen. So kamen sie zu dem Hause des reichen Herrn. Da übernachtete das Mädchen. Am nächsten Morgen gab man ihr die Wäsche zum waschen, und sie wusch sie. Am Tage darauf gab sie die Wäsche zurück.

Da sagte der Herr zu ihr: »Was willst du haben; die Gerte oder Geld?«1 »Gieb mir Geld,« antwortete sie.

Er gab ihr den ganzen Schoss voll Geld und sie trug es so im Bausche ihres Rockes fort. So kam sie nach Hause zurück und brachte ihr Geld mit.[48]

Und sie machte sich schöne Kleidung und kaufte sich ein Umschlagetuch und einen Rock; und ihrer Mutter kaufte sie dasselbe und ihren Schwestern kaufte sie Kleidung.

Da sagte die mittlere von den Mädchen: »Ich will auch sogleich ausziehen.« So zog sie aus und ruhte sich auch an einem kleinen Wasser aus. Da erblickte sie auch einen reichen Herrn.

»Guten Tag,« sagte der zu ihr. »Guten Tag,« antwortete sie.

»Wo willst du denn hin?« sagte er zu dem Mädchen. – »Ich gehe auf Arbeit,« sagte sie, »ob ich etwa irgend welche finde, so etwa als Köchin.« – »Ich habe Arbeit,« sagte der Herr da zu ihr. »Komm mit mir!« Und so nahm er sie mit. Als sie angekommen waren, da kochte sie ihm das Essen sechs Tage lang. [Da fragte er sie auch: »Willst du die Gerte oder Geld?« Und sie antwortete: »Gieb mir Geld.«]

Da gab er ihr eine grosse Menge Geld.

Dann machte sie sich wieder auf, nach Hause. Als sie ankam zeigte sie ihr Geld ihrer Mutter.

»Na ja, das ist Recht meine Tochter!« sagte die zu ihr.

Nun war nur die jüngste von den Mädchen noch so gar arm. »Ich will auch sogleich ausziehen; es mag gehen wie es will,« sagte das kleine Mädchen. Sie hatte ein kleines Hühnchen, das nahm sie als Wegzehrung mit. Im Schatten einer Eiche da streckte sie sich nieder, um auszuruhen.

Da erblickte sie auch einen reichen Herrn.

»Nun was liegst du denn da ausgestreckt?« sagte er zu ihr. – »Ich möchte Arbeit haben,« antwortete sie. – »Ich habe Arbeit; komm und wasch mir meine Wäsche,« sagte er. – »Gut,« antwortete sie. Damit machte sie sich auf und kam an.

Am Nachmittag gab man ihr die Wäsche und am nächsten Morgen gab sie sie zurück.

Da fragte man sie: »Was willst du haben, die Gerte oder Geld?«

»Die Gerte!« antwortete sie.

Da gab man ihr eine kleine Gerte, und unterwies sie. »Hier die Gerte gebe ich dir. Was du auch immer von ihr fordern magst, was es auch sei das du ihr sagst, du wirst es bekommen. In einen Stein musst du sie stecken und da einpflanzen.«[49]

Sie kam nach Hause zurück und brachte ihre Gerte mit.

»Was bringst du mit?« fragte man sie. »Hier die kleine Gerte hat man mir gegeben,« antwortete sie. »Wozu bringst du die Gerte mit, du Dummkopf!« sagte man ihr.

Sie pflanzte die kleine Gerte ein.

Bald darauf feierte man ein Bittfest.2 »Wir werden hingehen,« sagten die andern. »Die Kleine da wird zu Hause bleiben,« sagte man ihr. »Ich werde auch hingehen,« sagte sie. »Nein, du wirst nicht gehen,« war die Antwort.

Da ging sie zu ihrer Gerte und sagte:

»Gerte, kleine Gerte! Gieb mir ein gesatteltes Pferd, alles von reinem Silber;3 silberne Zügel soll es haben. Zwei Knappen will ich mitführen. Ganz gleich von Angesicht sollen meine beiden Knappen sein.«

Da fing es sofort an im Steine zu trampeln und heraus kam ein Pferd und die zwei Knappen; alle die Kleidung kam hervor, Ohrringe, Brustschmuck, Schultergehänge, Busennadel, Medaillenhalsband,4 alles, alles. Das legte sie alles an.

Dann machte sie sich auf den Weg und kam zu dem Bittfest. Dort gingen auch ihre Mutter und Geschwister spazieren. Als sie vom Pferde stieg, hielten ihr die beiden Knappen die Zügel.

So blieb sie denn eine Weile auf dem Feste und kehrte dann zurück. Alle ihre Kleidung gab sie wieder ab, und ihre beiden Knappen gab sie wieder ab.

Da war sie wieder ganz arm.

Darauf kamen auch die andern Töchter zurück und erzählten einander: »Da auf dem Feste ging auch eine Jungfrau spazieren, ach, das war ein hübsches Mädchen, die führte zwei Knappen mit sich, die waren ganz gleich von Angesicht.«

Da sagte das Mädchen: »War ich das nicht etwa?«

»Ei, zum Henker, Unverschämte!« bekam das Mägdelein zur Antwort.5

Aber der Sohn eines gar reichen Herrn, der sagte zu seinem Vater: »Ich will das Mädchen heiraten.« Dann ging er aus[50] sie zu suchen, und er fand das Mägdelein. Da verheiratetet! sie sich mit einander und sie brachte ihr gesatteltes Pferd und ihre beiden Knappen mit.6

Quelle:
Lenz, Rudolf: Aurakanische Märchen und Erzählungen. Valparaiso: Universo de Guillermo Helfmann, 1896, S. 48-51.
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