[298] 110. Der Fuchs und der Jaguar

[298] Der Fuchs traf den Jaguar in seinem Acker. Dieser war mit Säen beschäftigt.

»Willst du, daß ich dir helfen soll, Onkel?« sagte der Fuchs.

»Ja, Neffe. Ich will mir die Grabstöcke holen,« sagte der Jaguar.

»Das will ich,« sagte der Fuchs und ging zur Hütte des Jaguars.

Als er dorthin gekommen war, sagte er zur Frau des Jaguars: »Ich schäme mich, dir mein Anliegen zu sagen.«

»Wieso?« sagte sie.

»Ja,« sagte der Fuchs, »der Jaguar hat mich hierher geschickt, damit ich bei dir und deinen beiden Töchtern schlafe.« – Das glaubte die Frau des Jaguars nicht.

»Ja, es ist wahr,« sagte der Fuchs. »Du sollst hören, was er sagt,« und nun rief er: »Soll ich sie alle nehmen?«

»Alle,« rief der Jaguar als Antwort.

Der Fuchs schlief nun zuerst bei der Frau des Jaguars und dann bei der ältesten Tochter und dann bei der jüngeren. Darauf ging der Fuchs weg. Er lief im Grase, damit die Spuren nicht sichtbar wären. Er sprang auf einen langen Holzstamm. Zuletzt kam er an einen Pfuhl. Er tauchte unter und kam an der anderen Seite wieder herauf. Er lief, was er laufen konnte, bis er zu einem Baum mit dornigem Stamm kam. Er kroch an diesem hinauf und legte sich schlafen. »Hier will ich liegen und von der Frau und den Töchtern des Jaguars träumen, bei denen ich geschlafen habe,« sagte der Fuchs. Er legte sich hin und schlief ein.

Als der Jaguar merkte, daß der Fuchs nicht mit den Grabhölzern kam, dachte er: »Ich will doch nachsehen, was aus dem Fuchs geworden ist. Der Fuchs ist doch ein Schwindler.«

Als der Jaguar nach seinem Hause kam, sagte seine Frau zu[299] ihm: »Wie kannst du so grausam sein und den Fuchs herschicken, daß er bei uns schlafe?«

Ergrimmt machte sich der Jaguar auf den Weg, um den Fuchs zu suchen. Er folgte seinen Spuren und kam zu dem Pfuhl, wo die Spuren des Fuchses ein Ende nahmen. Überall suchte er ihn. Schließlich verstand er, daß der Fuchs in den Pfuhl getaucht war. Der Jaguar tauchte nun auch nieder und fand die Spuren des Fuchses auf der anderen Seite. Er folgte ihnen und kam zu dem Baum. Überall um den Baum suchte er die Fortsetzung der Spuren, fand sie aber nicht. Da blickte er auf und sah den Fuchs, der schlief. Er kletterte hinauf, brach vorsichtig einen Zweig ab und kitzelte den Fuchs in den Nasenlöchern. Dieser nieste, wischte sich die Nase und sagte: »Können die Moskitos mich nicht in Ruhe lassen, wo ich gerade von der Frau und den Töchtern des Jaguars träume, bei denen ich geschlafen habe!«

Nun kitzelte ihn der Jaguar etwas kräftiger, und der Fuchs erwachte. Der Jaguar machte sich bereit, ihn zu packen.

Der Fuchs kroch zusammen, und da der Jaguar zögerte, ihn zu fassen, sprang er mit einem Satz zur Erde und begann zu laufen, alles was er laufen konnte. Der Jaguar verfolgte ihn. Schließlich ermattete der Fuchs jedoch, und der Jaguar fing ihn und verschluckte ihn. Der Fuchs wurde im Magen des Jaguars wieder lebendig. Dieser brach ihn aus. Der Jaguar fraß den Fuchs wieder auf; dieser wurde aber wieder in seinem Magen lebendig und wieder ausgeworfen. Wiederum fraß der Jaguar den Fuchs auf, der wieder lebendig wurde usw.


110. Der Fuchs und der Jaguar
Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 298-300.
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