25. Die Wundertiere und der Wunderknüppel

[115] Es war einmal ein sehr armes Ehepaar, alte Leutchen, deren ganze Habe aus einer einzigen Henne bestand. Eines Tages wollten sie die Henne schlachten, aber als sie sie gefangen hatten, legte sie ein goldenes Ei. »Warum sollten wir das Tier schlachten, wenn es uns jeden Tag ein goldenes Ei legt«, sagten die beiden zueinander und ließen sie laufen. Als sie die Henne aber am folgenden Tag wieder fangen wollten, war sie verschwunden. Da nahm der Alte seinen Stab und ging auf die Suche. »Ohne die Henne komm' ich nicht heim«, sagte er zu seiner Frau. Lange wanderte er – schnell ist ein Märchen erzählt, aber lange braucht es, bis es geschieht – endlich aber kam er zu der Hütte einer ganz alten Frau. Der erzählte er von seiner Henne und frug sie, ob sie diese nicht gesehen habe. »Nein, gesehen hab' ich sie nicht, aber ich gebe dir dafür ein Pferd; wenn du wieherst, gibt es dir jedes Gericht, das du nur haben willst.« Und mit diesen Worten schenkte sie ihm einen unscheinbaren Gaul. Mit vieler Mühe bestieg der Alte das Tier und machte sich auf den Weg. Als er durch einen Ort kam, lachten ihn die Leute wegen seines elenden Kleppers aus. »Lacht, soviel ihr[115] wollt,« sagte er, »bloß wiehert nicht; wenn ihr wiehert, gibt's zu essen, was ihr nur wollt.« Niemand glaubte ihm, die Jungen aber lachten ihn noch mehr aus und wieherten zum Scherz: auf einmal aber waren die verschiedensten Gerichte da, so viel, daß das ganze Dorf sich davon satt essen konnte. Den Alten luden sie mit viel Ehrerbietung in das Gastzimmer, und als er sich niederlegte, um auszuruhen, tauschten sie ihm sein Pferd gegen ein anderes, ebenso unscheinbares aus. Nachdem der Alte sich nun ausgeruht hatte, eilte er heim zu seiner Frau, ohne es zu bemerken, daß er auf einem andern Pferde saß. Zu Hause wollte er sein Kunststück gleich seiner Frau zeigen, aber soviel diese auch wieherte, das Pferd gab gar nichts von sich. Dann führte der Alte das Tier zu der Alten zurück, die es ihm geschenkt hatte und machte ihr Vorwürfe, daß sie ihn betrogen habe. »Nein, ich habe dich nicht betrogen,« sagte diese, »aber ich gebe dir dafür eine Ziege; wenn du ›mää‹ sagst, so fallen aus ihrer Nase und ihrem Maule Goldstücke.« Der Alte nahm seine Ziege, ging weg und kam auf seinem Weg durch denselben Ort, wo sie ihm sein Pferd ausgetauscht hatten. Dasselbe taten sie dort auch mit seiner Ziege, und als der Alte nach Hause kam und seiner Frau die Ziege vorführen wollte, nutzte wieder alles Määrufen nichts; die Ziege gab kein Gold von sich. »Was das für ein gottloses Weib ist,« sagte der Alte, »warum betrügt sie mich denn immer?« Und ging wieder zu der Alten und machte ihr bittere Vorwürfe. Die gab ihm, um ihn loszubringen, einen Knüppel und sagte: »Da hast du einen Knüppel; wenn dir jemand Unrecht tut und du sagst ›dom, dom‹, dann wird er alle so lange prügeln, bis du ihm befiehlst aufzuhören oder bis dir die Geprügelten deinen Willen tun.« Mit dem Knüppel bewaffnet, ging der Alte wieder in jenen Ort, wo sie ihm Pferd und Ziege ausgetauscht hatten. Als die Leute da wieder sich um ihn versammelten, warnte er sie: »Gebt acht, sagt ja nicht ›dom, dom‹ zu meinem Knüppel, sonst[116] kriegt ihr Prügel.« Aber niemand glaubte ihm, und um sich über ihn lustig zu machen, sagten sie das Zauberwort, und gleich fuhr der Knüppel unter sie und prügelte sie ganz fürchterlich, bis sie baten, er solle seinem Knüppel Ruhe gebieten, sie wollten ihm auch sein Pferd und seine Ziege wiedergeben. Als er die beiden wiederhatte, gebot er seinem Knüppel aufzuhören.

Und dann kehrte er mit Pferd, Ziege und Knüppel nach Hause zurück und lebte herrlich und in Freuden mit seiner Alten.

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 115-117.
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