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[286] Die Frau Mulla Nasreddins hatte einen Liebhaber. Um seine Frau zu bestrafen, sagte er zu ihr: »Alle unsere Haustiere sind verendet, mit Ausnahme einer Kuh; im Walde steht eine hohle Platane, die weiß es, was für Tiere man halten muß, damit sie sich vermehren. Geh' hin und frage sie. Vergiß aber nicht, Pfannkuchen mitzunehmen, sonst erfährst du nichts von dem Baum.« Frau Nasreddin buk eine Menge Pfannkuchen und ging in den Wald, um die sprechende Platane aufzusuchen. Der Mulla aber ging ihr nach, nur auf einem andern Wege. Er kam früher als sie an und kroch in die Höhlung des Baumes. Bald kam auch seine Frau; der Mulla frug sie mit verstellter Stimme, ob sie auch Pfannkuchen mitgebracht habe. »Wenn ja«, fügte er hinzu, »so bedecke dir das Gesicht mit einem Tuche, schaue zu Boden und gib sie mir.« Als sie ihm die Pfannkuchen überreicht hatte, frug er sie weiter: »Wirst du selbst fragen, oder mich anhören?« »Mein Mann hat gesagt, du würdest selbst sprechen.« »Wenn das so ist, so antworte zuerst auf meine Frage; wen liebst du mehr, deinen Mann oder deinen Liebhaber?« Diese Frage machte die Frau so bestürzt, daß sie gar nicht antworten konnte. »Wenn du nicht antwortest, kann ich dir auch nichts sagen«, tönte es aus dem hohlen Baum. »Meinen Liebhaber habe ich lieber«, sagte sie endlich. »Also, hör' meinen Rat: schlachte deine letzte Kuh; wenn dein Mann das Fleisch ißt, wird er blind und taub, und du kannst dann frei mit deinem Liebhaber leben.« Der Rat gefiel der Frau sehr und hocherfreut begab sie sich auf den Heimweg. Als sie weg war, aß Mulla Nasreddin zuerst seine Pfannkuchen auf und lief dann[286] rasch nach Hause, wo er vor seiner Frau ankam. Als diese heimkam, sagte sie: »Die Platane hat mir gesagt, daß alles glücklich gehen wird, wenn du die letzte Kuh schlachtest und das Fleisch selbst ißt.« Nasreddin schlachtete das Tier. Als nur noch für ein Abendessen Fleisch übrig war, sagte er: »Ich sehe nichts mehr und höre nichts mehr. Früher nannten alle meinen Namen mit Achtung; jetzt heißen sie mich den ›blinden Klotz‹; ich will gar nicht mehr aus dem Hause, denn das ertrage ich nicht. Mach' mir einen Winkel zurecht.« Die Frau aber setzte an diesem selben Abend schon zwei Kessel aufs Feuer; einen mit dem Rest des Fleisches für den Mann, den zweiten mit gekauftem Fleisch für sich und ihren Liebhaber, den sie gleich rufen ließ. Als dieser kam und von ihr hörte, wie es mit Mulla Nasreddin stand, sagte er: »Ich bin heute recht müde; ich will mich ein bischen schlafen legen und nach dem Abendessen wollen wir unser Spiel machen.« Dann legte er sich und schlief ein. Mulla Nasreddin aber benutzte den Augenblick, wo seine Frau hinausgegangen war, goß dem Schlafenden kochendes Wasser in den Mund und tötete ihn auf diese Weise. Als das Abendessen fertig war, wollte die Frau ihren Liebhaber aufwecken und als sie merkte, daß er tot war, sagte sie zu ihrem Manne: »Man hat uns eine Leiche ins Haus gebracht, was soll ich tun?« Der Mulla tat als höre er nichts; seine Frau ging näher heran und schrie ihm ins Ohr. »Wer ist es? Wo wohnt er?« frug er. Seine Frau erzählte ihm alles. »Leg' ihn mir auf den Rücken und führe mich zu seinem Hause.« Das tat sie und als sie an ihrem Ziele angekommen waren, sagte er: »Geh' heim und laß mich allein hier; den Heimweg find' ich mit Hilfe meines Stockes.« Als seine Frau weg war, trat Mulla Nasreddin zu der Türe und rief, indem er die Stimme des Toten nachahmte: »Frau! mach' auf!« »Nein«, klang es von innen, »bleib du nur bei deiner Liebhaberin!« »Ich sterbe«, stöhnte Nasreddin, »mach' doch auf!« Aber die Türe blieb geschlossen. »Ich bin tot«,[287] sagte Mulla Nasreddin, lehnte den Leichnam an die Türe und ging weg.

Am nächsten Morgen fand die Frau die Leiche ihres Mannes und sagte weinend: »Ach, mein Mann hat nicht gelogen, als er sagte, er sterbe.« Frau Nasreddin aber, die ins Trauerhaus gehen mußte, um den Toten zu beweinen, frug ihren Mann, was sie der Witwe sagen solle. »Sag' nur immer so: es soll euch noch der wegsterben, dessen Zeit noch nicht gekommen ist.« Das tat sie denn auch und die aufs äußerste aufgebrachten Verwandten des Toten erstachen sie mit ihren Dolchen.

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 286-288.
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