I.
Der besiegte Teufel.[63] 40
Ein Märchen.

Zwei Männer gingen in den Wald. Als sie in den Wald gekommen waren, machten sie eine Laubhütte. Die Hütte ward fertig, und sie stellten einen Kessel ans Feuer. Sobald sie gegessen hatten, legten sie sich schlafen. Der ältere von beiden meinte, es wäre nicht gut für sie, an dieser Stelle zu hausen. Am andern Morgen standen sie auf, wuschen sich und traten aus der Hütte heraus. Der ältere Mann sprach: »Heute wollen wir jagen gehen.« Der Jüngere erwiderte: »Ja, aber der eine soll hierhin, der andere dorthin gehen.«

Der Jüngere fand einen ungeheuren Cederbaum und fürchtete sich. Denn als er ihn besah, zeigte sein Aussehen, dass er nicht von einem Menschen, sondern vom Waldteufel abgehauen war, dessen Spuren längs des Sumpfes sichtbar waren. Darauf kehrte er nach der Hütte zurück. Bald darauf kam auch der Ältere und hatte Eichhörnchen gefangen. Der Ältere sprach zum Jüngeren: »Dein Gesicht ist entstellt, was hast du gesehen?« Da sprach der Jüngere: »Es ist nicht gut für uns hier zu hausen; lass uns zum[63] Dorfe gehen, auf dieser Stelle werden wir sterben.« Darauf setzten sie sich zum Essen nieder, und der Ältere sprach: »Lass uns diesen Fluss entlang gehen seiner Mündung zu. Ich habe mein Lebelang Fleisch gegessen und kenne es; Fische aber habe ich nicht gegessen und kenne sie nicht.« Der Jüngere sprach: »Wo werden wir Fische finden?« »Das ist meine Sache,« sagte der Ältere.

So brachen sie auf und gingen den Fluss entlang. Der Fluss mündete in den Wald. Als sie hinab blickten, sahen sie ein fertiges Fischwehr. Der Ältere sprach: »Lass uns zum Fischwehr gehen,« und sie gingen hin. Da war eine Rutenreuse längs dem Ufer eingesetzt. Währenddem flog vom Gipfel des Berges ein mit Schneeschlittschuhen versehener Mann herab. Der Ältere sprach zu dem Jüngeren: »Haue ein Loch in das Eis über dem Fischwehr.« Der Jüngere sprach: »Warum soll ich es hauen?« Da riss ihm der Ältere die Axt weg und hieb ein Loch ins Eis. Als sie die Rutenreuse aufhoben, fanden sie ein Nelma und einen Stör darin, nahmen sie eilends heraus und fingen an zu essen. Als der Ältere eben einen Bissen abgeschnitten hatte, warf er seine Augen auf das Ufer, und siehe, da kam der Mann mit den Schneeschlittschuhen herbei und hatte eine ganze Edeltanne mit Ästen als Stab in der Hand. Es war der Waldteufel, und er sprach zu ihnen: »Ihr esset?« »Wir essen, weil unsere Herzen Verlangen danach tragen.« »Eure Herzen mögen Verlangen tragen, aber habt ihr die Rutenreusen eingesetzt?«

»Wir wussten nicht, dass es deine Rutenreusen seien.«

Darauf streckte der alte Teufel seine Hände aus und steckte sie beide in seine Achselhöhlen. Er trug sie beide zur Jurte.41 Als er hineingetreten war, liess er sie aus den Achselhöhlen heraus und fing an, das Essen im Kessel zu bereiten. Währenddem begann er Eisen zu schmieden. Er schmiedete einen eisernen Haken, und als dieser fertig war, setzte er sich mit seinen drei Söhnen zum Essen nieder.

Die gefangenen Männer aber mussten sich schlafen[64] legen, ohne gegessen zu haben, er speiste sie nicht. Als es Mitternacht war, stand der alte Teufel auf, nahm den eisernen Haken und ging hinaus. Der ältere Mann stiess den Jüngeren mit dem Ellenbogen an und sprach:

»Steh' auf, der Teufel ist hinaus gegangen! Sieh', wir werden aufgefressen.« Der Jüngere antwortete: »Ja, was sollen wir thun?« Da stand der Ältere auf, nahm einen der Söhne des Waldteufels, hob ihn auf und legte ihn auf seine Schlafstelle hin. Er selbst aber legte sich daneben. Der alte Teufel war nun auf das Dach der Jurte geklettert und hatte ein Loch hinein gemacht. Durch dieses Loch liess er den eisernen Haken hinab und wollte damit die gefangenen Männer greifen. Anstatt der Männer zog er aber seinen Sohn heraus. Während er ihn heraufzog, heulte der Sohn: »Vater, ich bin es.«

Der alte Teufel aber antwortete: »Missbrauche den Namen Vater nicht.«

Als sein Kopf aus dem Loche hervorkam, zerschmetterte ihn der alte Teufel mit einem eisernen Hammer, dass das Gehirn herausspritzte. Der Alte ass davon und merkte, dass es nach seinem Sohn roch.

Da trat er eilig in die Jurte, um nach seinen Söhnen zu sehen, machte Feuer an, ging zur Pritsche und siehe, sein Sohn war nicht da. Jene beiden aber sassen an seiner statt. Der Teufel sprach zu ihnen: »Warum habt ihr meinen Sohn auf eure Schlafstellen gelegt?« »Wir haben ihn nicht hingelegt.« »Ihr habt ihn nicht hingelegt? Woher kommt es denn? Gut, ihr sollt bis morgen leben, aber dann werde ich euch auffressen.«

Am Morgen, als es tagte, ging der Teufel hinaus. Der jüngere Mann sprach: »Ich werde schwächer und schwächer; sieh', ohne zu essen, sterbe ich vielleicht.« Da legte der ältere Mann seine Hand auf ihn, drückte ihn zu Boden, sodass er zu nichts ward und nur seine Haare übrig blieben. Die nahm er und steckte sie in die Tasche. Der Teufel blickte zur Thür hinein und rie »Komm heraus!« Darauf[65] ging er hinaus, und der Teufel bereitete einen Kampfplatz. Sie fassten sich, miteinander zu ringen, aber keiner von beiden konnte den andern niederwerfen. Der Ostjake schnitt mit einem Messer dem Teufel den Rücken entzwei, und die Finger des Teufels gruben sich in das Rückenfleisch des Ostjaken. Ringend fielen sie beide nieder. Da sprach der Teufel: »Ostjake, lass mich los.« Der aber antwortete: »Warum sollte ich dich loslassen? Gestern sagtest du, du wolltest mich auffressen.« Der Teufel aber bat wieder, er möchte ihn loslassen. Da frug er ihn: »Willst du mich noch fressen?«

»Warum sollte ich dich fressen? Wenn ich jemals wieder einen Ostjaken treffe, werde ich ihm kein Haar krümmen, denn ich erfuhr seine Stärke.«

Da liess ihn der Mann los. Der Teufel aber kroch auf den Knieen davon. Dann zog der Mann den Haarschopf des jüngeren Mannes aus der Tasche heraus und warf ihn zu Boden, und der jüngere Mann wurde wieder lebendig. Darauf begaben sie sich nach Haus und leben heute noch.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 63-66.
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