Wie Lull Luftschlösser baute.

[325] Einige Zeit darnach schlenderte Sull in den Strassen umher, als ein vorübergehender Soldat ihm beim Arm ergriff[325] und zu ihm sagte: »Höre, Bursche, du kannst diesen Buttertopf für mich tragen, und wenn du deine Sache gut machst, werde ich dir drei Batzen geben.« Lull war darüber sehr erfreut. Er war stark wie ein Pferd; mit einem »gut, ich will ihn tragen« lud er den Topf auf seine Schultern. Der Topf war ein grosser, irdener Krug, und die Butter darin war in flüssigem Zustande, wie Öl.

Als Lull die Strasse entlang schritt, während der Soldat ihm folgte, begann er Luftschlösser zu bauen. »Wie glücklich ich bin,« dachte er bei sich selbst. »Dieser Mann wird mir drei Batzen geben. Was kann ich damit beginnen? Ich weiss, ich werde auf den Markt gehen und dafür eine Henne kaufen. Die nehme ich mit nach Hause und fütterte sie. Sie wird Eier legen und ich werde schöne Küchlein bekommen. Die will ich verkaufen und für den Erlös ein Schaf kaufen. Das Schaf wird bald Junge bekommen, und wenn ich die verkaufe, werde ich mir eine Kuh kaufen. Und wenn meine Kuh kalbt, werde ich mir eine Milchkuh kaufen, und wenn diese kalbt, verkaufe ich sie und kaufe mir ein Pferd.« Und wenn ich auf meinem Pferd sitze, werden mich alle Leute anschauen und rufen: »Lull, Lull,« und die Mädchen werden einander anstossen und sagen: »Seht den Lull auf seinem schönen Ross!« Habe ich erst einmal ein eigenes Pferd, so werde ich mich bald mit einem hübschen Mädchen mit einem Topf voll Geld verheiraten können und werde vier oder fünf niedliche kleine Kinderchen haben. Und wenn meine Kinder zu mir aufschauen und »Papa, Papa« rufen, werde ich zu dem Einen sagen: »O du kleiner Liebling« und zu dem andern: »O du kleiner Liebling« und zu dem andern: »O du kleiner Schatz,« und dabei »werde ich ihnen der Reihe nach mit der Hand den Kopf tätscheln.« Und Lull liess seinem Wort die That folgen, vergass seinen Buttertopf vollständig, nahm seine Hand herab und machte mehrere Bewegungen in der Luft, als wenn er seinen Kindern den Kopf tätschelte. Aber dabei fiel der unglückliche Topf herunter, brach in tausend Stücke, und die kostbare Butter lief in die Strasse.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 325-326.
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