IV. Erzählung.

[22] Er machte sich nun von neuem auf den Siddhi-k ýr zu holen und lud ihn wie das vorige Mal auf den Rücken. Während des Wanderns wiederholte Siddhi-k ýr die nämlichen Worte wie früher. Als er aber dem Chân durch eine Rückbewegung mit dem Hinterhaupte die Erklärung gegeben, dass er nichts erzählen werde, da begann Siddhi-k ýr abermals eine Erzählung.

Früh vor Zeiten lebten einmal in einem sehr blühenden Reiche ein Mann und eine Frau. Der Mann hatte gar schlechte Eigenschaften; er war nicht im Stande auf anständige Weise zu essen und zu trinken; Tag und Nacht pflegte er zu schlafen und müssig dazusitzen. Da sprach einmal die Frau: »Sitz doch nicht so müssig da; das von deinem Vater überkommene Vermögen ist grösstentheils aufgegangen; rühre dich von der Stelle, zieh deine Kleider an, und wenn ich an die Feldarbeit gegangen, so steig hinauf auf die Wohnung, schaue dich um und suche etwas zu erspähen.«

Diesen Worten zufolge gieng er eines Tages hinauf und als er sich umschaute, da sah er, wie hinter dem Hause auf einem Lagerplatze, den ein herdenreicher in der Umsiedlung begriffener Stamm eben verlassen, ein Vogel, ein Fuchs und ein Hund beisammen waren und unter einander im Streite lagen. Er gieng hin sich das anzuschauen. Da sah er einen Schlauch mit Butter liegen, nahm ihn mit und legte ihn auf eine Mauer. Als die Frau kam und das sah, fragte sie: »Woher hast du die Butter mit dem Schlauche bekommen?« Auf diese Frage antwortete der Mann: »Indem ich in Folge deiner Worte mich aufgemacht, habe ich sie auf dem Lagerplatz eines in der Übersiedlung begriffenen Stammes gefunden.« Da sprach die Frau: »Dass das Männergeschlecht in träger Ruhe dasitzt, wo in aller Welt geschieht das?[22] Indem du an einem Tage nur einen Augenblick ausgegangen bist, hat sich schon so viel gefunden!« Da fasste sich der Mann ein Herz und sprach: »Nun, so will ich mich zurecht machen, halt du mir nur ein Pferd sammt Kleidern und dem übrigen Zeug und einen Leithhud in Bereitschaft.« Indem die Frau diese Dinge herbeischaffte, sprach sie: »Jetzt ist die ganze Ausrüstung beisammen, jetzt musst du gehen.« Er setzte eine Mütze auf, zog einen Regenmantel von Filz an, hängte sich einen Bogen sammt Pfeilen um, führte den Hund am Leitseil und bestieg das Pferd. Ohne bestimmtes Ziel, wohin er sich wenden wollte, war er an manchen Flüssen vorübergestreift. Auf einer Steppe endlich sah er einen Fuchs dahinlaufen. »Von den Freunden, die ich früher begegnet,« sprach er, »ist er der beste; ich werde mir aus ihm eine Mütze machen.« Mit diesen Worten suchte er den Fuchs einzuholen, doch dieser flüchtete sich in die Höhle eines Murmelthieres. Da stieg er vom Pferde herab, Bogen und Pfeile und die übrigen Gegenstände lud er dem Pferde auf, den Hund band er an das Leitseil des Pferdes, sich selbst entblösste er ganz nackt. Alsdann verstopfte er mit der Mütze das Loch und begann mit einem grossen Steine von oben auf die Stelle, wo der Fuchs sich befand, zu schlagen und zu klopfen. Erschreckt kam der Fuchs aus dem Loche hervor und beim Herausstürzen streifte er sich die Mütze über den Kopf, als hätte er sie aufgesetzt, und lief so mit derselben davon. Hinter ihm her aber jagte der Hund, und weil am Bande des Hundes das Leitseil des Pferdes angebunden war, so setzte das Pferd in Sprüngen nach und war in einem Augenblick auf und davon. So blieb er nackt zurück, indem er seine ganze Ausrüstung eingebüsst hatte.

Er gelangte nun an einen Fluss. In der Gegend herrschte ein mit wunderbarer Machtfülle und Reichthum ausgestatteter gewaltiger Chân. Zu dessen Pferdestall gieng er und versteckte sich daselbst im Heu, mit dem er ausser den beiden Augen seinen ganzen übrigen Körper bedeckte. Während er so im Versteck ohne gesehen zu werden dalag, kam nach einer Weile eine reizende Tochter des Châns heraus, um frische Luft zu schöpfen. Als sie in seiner Nähe ein Bedürfniss befriedigt hatte und sich erhob, liess sie des Chânes Lebenstalisman, der Reich und Provinzen aufwog, vor seinen Augen liegen; ohne dies zu bemerken, gieng die Fürstentochter in den Palast zurück. Der Mann hielt es für zu beschwerlich aus dem Heu hervorzukriechen und konnte daher den Talisman nicht aufheben. Nach Sonnenuntergang aber kam eine[23] Kuh und liess auf den Edelstein einen Fladen fallen. Hinter ihr her kam nach einer Weile eine Magd, die Kuh heimtreibend, und warf Fladen und Edelstein zusammengeklebt auf eine Seite des Hofes hin.

Den folgenden Tag erliess der Chân sammt seiner Umgebung überallhin eine Kundmachung des Inhaltes, dass die Tochter den Lebenstalisman des Chânes verloren; zugleich liess er die grosse Gesetzverkündigungs-Trommelrühren und sämmtliche Unterthanen versammeln; dann berief er die Zeichendeuter, Wahrsager und Seher alle zusammen und suchte, indem er sie zur Weissagung aufforderte, sich dadurch Kunde zu verschaffen. Der Mann aber streckte seine Brust aus dem Heu heraus und als er so dasass, kam ein Mensch und fragte ihn: »Was verstehst du?« »Ich verstehe,« sprach er, »die Wahrsagekunst.« »Nun,« sprach jener, »weil unseres Chânes Lebenstalisman verloren gegangen ist, so sind alle Zeichendeuter und Wahrsager zusammenberufen worden; begib dich gleichfalls zum Chân.« Doch der Mann versetzte: »Ich habe keine Kleider.« Darauf gieng jener zum Chân und machte die Meldung: »Auf dem äusseren Hofe unseres Pferdestalles befindet sich ein nackter Wahrsager. Wenn ihm Kleider zu Gebote stünden, so würde er wohl vor dem Chân erscheinen.« »Nun, so Ziehe er dies Tuchkleid an und erscheine vor mir,« gebot der Chân. Und auf diese Weise begab er sich denn auch zu dem Chân. Als er seine Verbeugung gemacht, fragte der Chân: »Was ist erforderlich, um deine Wahrsagekunst zu sehen?« »Zu der Wahrsagung,« versetzte jener, »ist erforderlich ein grosser Schweinskopf, ein fünffarbiges Seidentuch und ein grosser Baling: diese Dinge sind erforderlich.«

Als man ihm all das zur Verfügung gestellt, da befestigte der Zauberer den Schweinskopf auf der Spitze eines Holzes, putzte ihn mit den fünffarbigen Seidenstoffen aus und steckte ihn in den grossen Baling ein. Alsdann wusste er drei Tage und Nächte lang sich das Aussehen zu geben, als sitze er im ernsten Nachdenken versunken da. Auf den Tag, an welchem die Wahrsagung stattfinden sollte, hatte man das gesammte Volk versammelt. Da hüllte sich der Zaubermeister in ein grosses Obergewand, ergriff den Schweinskopf, traf gerade auf eine Hauptstrasse, und indem er alle Leute herbeiströmen liess, sprach er mit dem Schweinskopf zeigend: »Bei dem ist er nicht, und bei dem ist er nicht.«

Alle waren froh darüber. Darauf sprach er weiter: »Des Chânes Lebenstalisman befindet sich nicht bei den Menschen, so lasst uns auf[24] der Erde suchen.« An der Schwelle des fürstlichen Residenzpalastes beginnend wandelte er nun gemächlich von Stelle zu Stelle weiter, mit dem Schweinskopf überall einstechend, während der Chân sammt dem ganzen Gefolge unter feierlichem Gesänge hinter ihm herzog. Auf diese Weise war der Zaubermeister bis in die Nähe der Stelle gelangt, wo auf der Seite des Pferdestalles Fladen und Talisman in einander geklebt lagen. Da stiess der Zaubermeister auf den edelsteinbergenden Fladen ein und rief aus: »Hier, sage ich, ist er.« Und als er den schwarzen Mist zertheilte und aus einander nahm, kam der Lebenstalisman zum Vorschein. Da riefen alle voll Freude: »Du bist ein gewaltiger Zaubermeister! Jetzt wollen wir dich belohnen, komm in den Palast.« Und indem sie die Benennung aufbrachten: »Das ist ja wahrlich, wenn man so sagen darf, der Schweinskopf-Zaubermeister,« gaben sie sich insgesammt einer allgemeinen Freude hin. Der Chân aber sprach: »Was begehrst du nun?« Weil der Zaubermeister nur an sein früheres Pferd, die Kleider und die übrige Ausrüstung dachte, sagte er: »Für mich Pferd, Sattel und Zaum, Köcher, Bogen und Pfeile, eine Mütze, einen Regenmantel von Filz, einen Hund und einen Fuchs. Diese Dinge, so ist meine Antwort, wünsche ich.« Auf diese Worte sprach der Chân: »Das ist doch ein drolliger Kauz!« Den Ministern aber gab er den Auftrag: »Macht diese Gegenstände ausfindig, bringt sie zusammen und übergebt sie ihm.« Man übergab ihm das Gewünschte. Fleisch und Butter auf zwei Elephanten ladend kehrte er in die eigene Heimat zurück.

Da kam ihm seine Frau mit Branntwein zur Begrüssung entgegen und sprach: »Wenn man als Mann gelten will, so muss man wahrlich in dieser Weise auftreten!« Damit begaben sie sich nach Haus. Des Nachts nach dem Schlafenlegen, als sie sich noch mit einander unterhielten, fragte die Frau: »Woher hast du das Fleisch und die Butter bekommen?« Der Zaubermeister erzählte ausführlich alles bisher Vorgefallene. Da sprach die Frau: »Mit deinem Verstand ist es schlecht bestellt! ein blödsinniger, elender Mensch bist du! Jetzt werde ich morgen früh aufbrechen und zum Chân mich begeben.« Sie schrieb einen Brief und gieng damit zu dem Chân. »In dem Verluste des Lebenstalismans habe ich ein Körperleiden des Chânes, sei es ein grösseres oder kleineres, gar wohl erkannt; um also dieses Körperleiden fern zu halten, habe ich den Hund und den Fuchs verlangt. Was für Geschenke aber als Belohnung zu gewähren seien, das möge der Chân selber[25] ermessen.« Einen Brief dieses Inhaltes für den des Zaubermeisters ausgebend überreichte sie dem Chân. »Das ist die vollkommene Wahrheit,« sprach der Chân, und sandte ihm Schätze in zahlloser Menge zum Geschenk. Der Zaubermeister aber lebte fortan mit seiner Frau zusammen in Wohlstand, Glück und Zufriedenheit.

Zur selben Zeit mit ihm lebten in einem fernen fremden Reiche ihrer sieben Brüder, Chânssöhne. Einstmals hatten die sieben, um ihrer Sorgen sich zu entschlagen, nach einem grossen Haine sich begeben. Daselbst gewahrten sie ein sehr schön aussehendes, reizendes Mädchen, an dem sie ihre Blicke nicht sättigen konnten, und einen männlichen Büffel beisammen. »Was macht ihr beide hier?« fragten sie, »woher seid ihr gekommen?« Das Mädchen sprach: »Ich bin die Tochter eines Chânes aus der Südgegend; indem ich diesem Büffel folgte, bin ich hieher gelangt.« Jene sprachen: »Nun, wir sieben Brüder haben keine Gemahlin, werde du unsere Gemahlin.« »Ich will es werden,« sprach sie, und so wurde sie ihre Gemahlin. Die beiden aber waren zwei Râkschasas, gekommen um Menschen zu fressen; der männliche Manggus hatte sich in einen Büffel verwandelt, und der weibliche Manggus hatte die Gestalt einer Fürstentochter angenommen. Indem sie nun jedes Jahr früher oder später einen der Brüder verzehrten, war nur noch ein einziger übrig geblieben. Dieser allein übrig gebliebene würde von einer schweren harten Krankheit ergriffen. Als er wehklagend bereits dem Tode nahe war, traten die Minister zu einer Berathung zusammen und sprachen: »Die vorigen Châne sind, obgleich wir durch unser eigenes Heilverfahren, sowie durch Anwendung fremder ärztlicher Hilfe sie zu retten suchten, da alles ohne Erfolg blieb, dahingeschieden; dass nun diesem ein Heilmittel und andere ärztliche Behandlung helfen sollte, ist schwer anzunehmen. Nun aber wohnt von hier über zwei Bergrücken der Schweinskopf-Zaubermeister mit untrüglicher Weissagungsgabe ausgestattet; diesen wollen wir rufen.« Damit ordneten sie Boten ab.

Vier Mann stiegen zu Pferde, verfügten sich zum Zaubermeister und erzählten ihm den ganzen Sachverhalt. »Jetzt,« sprach er, »habe ich mich eben zum Nachdenken niedergesetzt; doch die heute Nacht in der Betrachtung mir erscheinenden Zeichen, sowie die allfällige Antwort will ich euch morgen mittheilen.« In der Nacht erzählte er nun seiner Frau die Sache. Die Frau sprach: »Früher bist du kraft des trefflichen Geschenkes ein Gegenstand der Bewunderung gewesen; ob du aber jetzt, seit du hier so unthätig dasitzest, in Ansehen bleiben[26] wirst, das ist ungewiss, doch gehen musst du.« – Den des anderen Tages früh eingetroffenen Boten bedeutete er: »Bei meiner nächtlichen Betrachtung sind mir günstige Zeichen erschienen; heute wollen wir aufbrechen.« Er stieg zu Pferd, hüllte sich in ein Obergewand, legte das Haar auf dem Scheitel zusammen, nahm in die linke Hand einen grossen Rosenkranz, band an die rechte Hand ein fünffarbiges Seidentuch und ergriff den Schweinskopf: in diesem Aufzug machte er sich auf den Weg. Als er in den Palast des Chânes gelangt, erschracken die beiden Manggus gewaltig und dachten: »Sein Aussehen und sein Auftreten sind ganz danach, als wenn er etwas wüsste.« Der Zaubermeister stellte bei dem Kopfkissen des Chânes einen Baling von Menschengrösse auf, befestigte den Schweinskopf daran und setzte sich ruhig nieder, seine Zauberworte dabei hermurmelnd. Die Chânin aber wurde unruhig über die Unterbrechung ihrer bösen Absichten gegen das Leben des Châns; und während sie nun auf ein Mittel sinnend draussen hinter der Thüre sass, gieng allmählich die Krankheit des Châns, indem der heftige Schmerz etwas nachliess, in einen Schlummer über. Darüber erschrack der Zaubermeister und dachte: »O, was ist da geschehen? die Krankheit ist sehr heftig geworden, jetzt ist er lautlos, der Chân ist verschieden.«

Als er aber die Worte: »Chân, Chân!« ausrief und dieser keinen Laut von sich gab, da nahm der Meister den Schweinskopf vom Baling ab und ergriff die Flucht. Indem er durch eine Thüre eintrat, gerieth er in die Schatzkammer. Da ertönte von allen Seiten ein lautes Geschrei: »Ein Dieb hat sich eingeschlichen, haut zu, haut zu!« Von da flüchtete er abermals weiter und gelangte in die Geschirr-Niederlage; auch hier hiess es: »Ein Dieb hat sich eingeschlichen, greift ihn, haut zu, haut zu!« Indem er sich so verfolgt sah, dachte er: »Heute Nacht ist es nicht möglich zu entkommen, ich will mich in einem Winkel des Stalles verstecken.« Als er eine Thür öffnend eintrat, lag ein Büffel da; auf diesen schwang er sich von weitem wie zum Reiten empor, und sich ein Herz fassend, versetzte er ihm zwischen die beiden Hörner drei Schläge; wie die gerad aufsteigende blaue Rauchsäule, die der Wind verweht, so floh dieser nach der Chânin zu. Der Zaubermeister schlich ihm nach, und als er lauschte, sprach der männliche Manggus: »Da der Zaubermeister wusste, dass ich im Stalle lag, so hat er mit jenem furchtbaren Zeichen seiner Hand mir drei Schläge versetzt; jetzt wäre es gut, wenn wir uns davon machten.« Die Chânin versetzte:[27] »Auch ich fürchte, dass er mich erkenne, und konnte mich daher nicht in seine Nähe wagen. Diesmal geht es uns nicht gut. Morgen versammelt er alle Männer aus dem eigenen Volke und lässt sie mit der Rüstung erscheinen; die Frauen auch insgesammt lässt er entbieten mittels der Kundmachung, dass jede einen Bund Brennmaterial mitbringe. Auf seine Aufforderung: ›Bringt diesen Büffel her‹, wird man dich hinschleppen, und wenn er dann sagt: ›Wirf deine angenommene Gestalt ab,‹ so wird es unmöglich sein, sie nicht abzulegen. Sobald du aber deine wahre Gestalt zeigst, wird man mit Schwertern und Pfeilen stechend und schiessend dich tödten und im Feuer verbrennen. Wenn. er dann verlangt auch mich vor ihn zu führen, so fürcht' ich, dass es mir ebenso ergehen werde, wie man mit dir gethan.« So hatte sie gesprochen. Der Zaubermeister aber, der dieses belauscht, dachte bei sich: »Jetzt ist die Sache leicht!«

Er begab sich mit dem Schweinskopf zurück, steckte ihn neben dem Kopfkissen des Châns auf den Baling auf, und als er mit seinen Sprüchen und der Betrachtung zu Ende war, fragte er, zum Scheine mit lauter Stimme rufend: »Wie steht es mit der Krankheit des Chânes?« »Seit dem Erscheinen des Zaubermeisters,« sprach der Chân, »geht es gut; meine Krankheit hat nachgelassen und ist in einen Schlummer übergegangen.« Der Zaubermeister sprach: »Nun, so gebiete morgen deinen Ministern: Versammelt die sämmtlichen Unterthanen und lasst die Männer in der Rüstung auftreten; die Frauen aber insgesammt lasst eine jede mit einem Bund Brennmaterial erscheinen.«

Als sie dem Auftrag gemäss erschienen waren, errichtete man zwei gewaltige Scheiterhaufen. Alsdann sprach der Zaubermeister: »Legt diesen meinen Sattel auf den Büffel.« Mit diesen Worten liess er dem Büffel den Sattel auflegen, schwang sich auf denselben empor, ritt dreimal um die Versammlung herum, stieg dann wieder ab, liess seinen Sattel herabnehmen, hieb mit dem Schweinskopf auf den Büffel los und sprach: »Wirf deine angenommene Gestalt ab.« Bei diesen Worten war der Büffel in einen ganz fürchterlichen Manggus verwandelt. Auf seiner Brust mit vielfachen Zornrunzeln, aus den Augen Blut triefend, die Oberhauer bis zur Brust, die Unterhauer bis zu den Augenidern reichend: so fürchterlich war er geworden. Mit Schwertern, Pfeilen, Lanzen und Steinen ward er getödtet, und sodann im Feuer verbrannt. Auf des Zaubermeisters Aufforderung: »Führet jetzt auch die Chânin herbei«, schleppte man dieselbe unter lautem Geschrei heran.[28] Mit dem Schweinskopf ausholend rief der Meister: »Zeige deine wahre Gestalt, zeige sie schnell.« Da reichten die Brüste der Chânin bis zu den Knien herab, sie war in einen fürchterlichen weiblichen Manggus mit langen Hauern, mit rothen Augen verwandelt. Mit verschiedenen Werkzeugen tödtete man sie und verbrannte sie dann in einem gewaltigen Feuer.

Alsdann bestieg der Zaubermeister sein Pferd. Auf dem Wege zum fürstlichen Residenzpalaste verbeugten sich alle Leute vor ihm, bezeigten ihm ihre Verehrung, einige liessen sogar Thränen strömen. Vor lauter Streuen von Gerste, vor lauter Überreichen von kostbaren Geschenken und dergleichen gar vielfachen Ehrenbezeigungen konnte er fast nicht durchkommen und musste unterwegs einen ganzen Tag zubringen. Als er endlich das Innere erreicht, hatte der Chân eine ausserordentliche Freude und sprach: »Was verlangst du nun zur Belohnung?« Der Zaubermeister antwortete: »In unserer Gegend sind die Hölzer, welche die Rinder in der Nase zu tragen pflegen, selten; um solche Nasenhölzer bitte ich.« Der Chân ertheilte den Auftrag, ihm solche zu geben und so gab man ihm drei Säcke voll Nasenhölzer nebst Fleisch und Butter, welches man sieben Elephanten auflud.

Als er nach der eigenen Heimat gelangte, kam ihm die Frau zur Begrüssung mit Branntwein entgegen und beim Erblicken der Last auf den Elephanten rief sie: »Einen Mann wahrlich muss man solch einen Mann heissen! Du hast gehandelt, wie es einem Manne geziemt!« Darauf begaben sie sich mit einander nach Hause zurück. Während sie Nachts auf dem Lager noch mit einander plauderten, fragte die Frau: »Wodurch sind alle diese Dinge dir zu Theil geworden?« Der Zauberer begann ausführlich zu erzählen, wie die Krankheit des Châns aufhörte und wie man die zwei Manggus im Feuer verbrannte. Darauf versetzte die Frau: »Was kann einem elenden Wichte wie dir anderes als das zu Theil werden? Nachdem du eine so bedeutende Hilfe geleistet hast, ist durch Nasenhölzer fürs Vieh die Sache nicht abgethan; morgen früh werd' ich zum Chân mich begeben.«

Sie begab sich dahin. Mit Verstellung sprach sie: »Hier ist ein Brief des Zaubermeisters«, und überreichte dem Chân einen Brief folgenden Inhalts: »Nach dem, wie der grosse Meister das Körperleiden des Chânes erkannt hat, ist von dem Übel ein wenig zurückgeblieben; um es ganz zu beseitigen, sind die Nasenhölzer mitgenommen worden; welcher Anlass aber zur Belohnung geboten sei, möge der Chân selber[29] ermessen.« Nach Überreichung des Briefes sprach der Chân: »Das ist die Wahrheit. Der Zaubermeister, seine Eltern und Freunde mögen insgesammt zu mir hieher kommen.« Als der Zaubermeister sammt seinen Angehörigen in die fürstliche Residenz gelangt war, sprach der Chân: »Wenn man seine Dankbarkeit zu beweisen einen andern mit ehrenvollen Geschenken entlässt, so ist die Sache damit noch nicht abgethan. Dass man mich nicht tödtete, dass man das Reich nicht zu Grunde gerichtet, dass die Minister nicht sämmtlich von den Manggus verzehrt wurden, das ist dein Verdienst. So wollen wir denn jetzt beide die Herrschaft in völliger Gleichheit ausüben.« Mit diesen Worten gab er ihm Antheil an der Herrschaft. Weiter sprach er: »Die Frau des Zaubermeisters ist hochbegabt an Einsicht und Weisheit; sie wollen wir beide zu unserer gemeinschaftlichen Gemahlin ohne Unterschied machen.« Und so machte er sie zu seiner Gemahlin.

Bei diesen Worten der Erzählung sprach der Chânssohn: »Auf die Weise waren Mann und Frau beide hochbeglückt!« Da versetzte Siddhi-k ýr: »Sein Glück verscherzend hat der Chân Worte entschlüpfen lassen«, und mit dem Ausruf: »In der Welt nicht zu bleiben ist gut!« wand er sich los.

Aus Siddhi-k ýr's Erzählungen das vierte Capitel: die Abenteuer des Schweinskopf-Zaubermeisters.

Quelle:
Jülg, B[ernhard]: Kalmükische Märchen. Leipzig: F.A. Brockhaus, 1866, S. 22-30.
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