XVIII. Erzählung.
Die verrätherische Trompete.

[23] Darauf gelangte er wieder in der früheren Weise an Ort und Stelle, um Siddhi-K ýr zu holen, lud ihn sich auf den Rücken und während der Wanderung ward folgende Geschichte erzählt.

Im Süden Indiens lebte ein reicher Mann, der einen sehr einfältigen Sohn hatte. Nach dem Tode seiner beiden Eltern gelangte dieser junge Mann in den Besitz eines ansehnlichen Vermögens und heiratete ein treffliches Weib. Weil er nun ohne allen Umgang lebte und sehr beschränkten Verstandes war, kam er gar nicht nach aussen, band nie seinen Gürtel um, kurz er verliess zu keiner Zeit sein Haus. Da waren einmal bei einer Gelegenheit aus irgend einer Gegend her zahlreiche Kaufleute dahin gekommen, mit welchen die Frau einen Handel abschloss. Nachdem diese Kaufleute abgezogen waren, legte die Frau an jener Stelle das Gefieder eines Greifs[23] nieder. Darauf sprach sie zum Manne: »Zwar verstehst du nicht zu handeln; warum aber sollte., wenn du geschäftig aus- und eingiengest, sich nicht etwas erwerben lassen? ist ja der zu erwerbende Gewinn für den Mann ein offenes Feld! Womit sollen wir, wenn das vom Vater überkommene Vermögen erschöpft ist, unser Leben fristen? Geh hinaus und wende dich nach jener Stelle, wo die Kaufleute gewesen«. Als der Mann diesen Worten gemäss ausgegangen war, fand er die zwei Flügel des Greifs und nahm sie in grosser Freude mit sich nach Hause. »Deine Worte«, sprach er zu seiner Frau, »sind wahr gewesen; sieh, ich habe das mitgebracht! Von morgen an will ich auf den Handel ausgehen; gib mir nur den nöthigen Vorrath auf den Weg mit«. Die Frau dachte bei sich: »Auch ohne zu bitten, wäre ihm das gewährt worden«, gab ihm die nöthigen Lebensmittel, lud ihm auf einen Esel Reis auf und mit der Anweisung den Reis zu verkaufen machte sie ihn reisefertig. Des andern Tages in der Frühe sattelte er den Esel und ritt davon. Er erreichte den Strand eines grossen Meeres und gelangte dort zu einer steilen Felswand, welche einer Räuberbande zum Aufenthalte diente. Während er in der hintern Ecke einer Felsenhöhle für seinen Esel einen Platz fand, kletterte er selbst auf ein Felsstück am Eingang der Höhle empor und setzte sich da nieder, seine Mahlzeit zu verzehren. Während er so dasass, kam eine Schaar Kaufleute. Am Eingang der Felsengrotte stappelten sie ihre Waaren auf, in einem Winkel am[24] Ende derselben lagerten sich die Kaufleute selbst, ihre Trompete aber legten sie aus Furcht vor den Räubern über dem Eingang der Felsenhöhle nieder. Weil nun der einfältige Mensch, als er seine Mahlzeit verzehrte, sich gewaltig angegessen hatte, und gegenüber seinem Hintern, der einen Wind fahren liess, gerade die Öffnung der Trompete zu liegen gekommen war, so gab die Trompete einen mächtigen Schall von sich. Die Kaufleute, in dem festen Glauben, die ganze Räuberbande sei angekommen, liessen ihre Waaren im Stich und machten sich in hastiger Flucht auf und davon. Als er des Morgens in der Frühe sich erhob und nirgends auch nur einen Menschen erblickte, lud er sämmtliche zurückgelassene Waaren auf und kehrte damit nach Hause zurück. Alle Leute betrachteten ihn mit Staunen und sprachen unter einander: »Ist der doch reich und mächtig geworden! indem er so viele Feinde besiegt, hat er eine reichliche Beute davon getragen!« Doch seine Frau dachte: »So viel wegzunehmen, dazu hätte er die Kraft nicht im geringsten; wahrscheinlich ist er durch irgend eine Windbeutelei dazu gekommen; durch eine List will ich es schon herausbringen«. Während sie noch so bei sich dachte, sprach der Mann: »Ich will jetzt auf die Jagd gehen«, worauf die Frau sagte: »Wenn du gehen willst, so gerath nur nicht in die Gesellschaft böser Menschen«. »Für mich«, versetzte er, »dürfte nicht leicht jemand unüberwindlich sein!« Die Frau sprach: »Bei weitem stärker als du ist der Held Sûrja-Bagatur; mit ihm[25] nimmst du es nicht auf; der wird dich erschlagen«. Doch mit den Worten: »Vor dem habe ich keine Angst!« setzte er sich auf ein vortreffliches Pferd und ritt davon. Seine Frau bestieg inzwischen ein treffliches Ross, zog Mannskleider an. gürtete sich ein Schwert um, und ohne sich ihrem Manne zu zeigen, kam sie auf einem Umwege ihm zuvor. Kaum hatte er sie nach einiger Zeit auf einer grossen Ebene erblickt, so ergriff er, ohne seine Frau zu erkennen, vor ihr die Flucht; doch die Frau eilte ihm nach, erfasste ihn und, ohne einen Laut von sich zu geben, zog sie das Schwert, holte damit aus und jagte ihm einen gewaltigen Schreck ein. Bogen und Pfeile sammt Ross, von welchem er abstieg, überreichte er ihr. Die Frau kam von ihrem Pferde herabgestiegen, setzte sich rittlings auf ihren Mann, und begann, indem sie so auf ihm sass, ihn wie ein Pferd anzutreiben. »Ach«, flehte er wiederholt, »tödte mich nicht, Bogen und Pfeile sammt Ross nimm hin«. »Nun denn«, sprach sie, »so führe deinen Mund mir mitten zwischen die Schenkel, dann will ich dich frei lassen«. »Deinem Worte werd' ich nachkommen«, sagte er, und nachdem die Frau ihre Beinkleider aufgenommen und die Scham sich hatte küssen lassen, liess sie ihn frei. Nachdem die Frau seinen Bogen und die Pfeile umgenommen und auf das Pferd gestiegen war, sprach der Mann ganz traurig: »Du bist gewiss der Held Sûrja-Bagatur!« »Ich bin es in der That«, versetzte die Frau und ritt zurück. Spät nach ihr in der Nacht kam auch[26] der Mann nach Hause. Die Frau fragte: »Wo sind Bogen und Pfeile und dein Ross?« »Heute«, antwortete er, »bin ich mit dem Helden Sûrja-Bagatur zusammengetroffen; weil ich bis zu Ende des Tages mit ihm mich schlagend meine Kraft erschöpfte, so hat er mir Bogen und Pfeile sammt Ross weggenommen«. Die Frau röstete hierauf Getreidekörner zum Essen und setzte sie ihm vor. »Du musst mir«, sagte sie, »ausführlich erzählen, wie ihr beide mit einander gerungen habt?« Als er sich satt gegessen, sprach er: »Ausgenommen dass er bartlos ist, sieht er deinem Vater gleich«. Und als ihn die Frau weiter fragte, fuhr er fort: »Dieser Sûrja-Bagatur ist ein Mensch mit zwei Hintern, am übrigen Körper aber sieht er einem Weibe ähnlich«. Da brach die Frau in Lachen aus.

Bei diesen Worten der Erzählung rief der mit Glück und Wohlstand gesegnete Chân: »So war also das offenbar ein Mensch, der nicht einmal Weib und Mann von einander unterscheiden konnte!« Und Siddhi-K ýr versetzte: »Sein Glück verscherzend hat der Chân seinem Munde Worte entschlüpfen lassen!« und mit dem Ausruf: »In der Welt bleibe ich nicht!« flog er durch die Lüfte davon.

Quelle:
Jülg, Bernhard: Mongolische Märchen. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Universitäts-Buchhandlung, 1868, S. 23-27.
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