10.

[333] ist bereits im Journal of the Peking Oriental Society, Bd. II, S. 201, von Dr. W.A.P. Martin bekannt gemacht worden, und lautet folgendermassen:

Ein buddhistischer Priester, der wegen eines Vergehens verhaftet worden war, wurde von einem Soldaten nach dem mehrere Tagereisen weit entfernten Gefängnis transportiert. Der Soldat, um immer gegenwärtig zu haben, worauf er alles aufzupassen habe, verband die verschiedenen seiner Obhut anvertrauten Dinge in einem Verse, welcher lautete: »Paofu, yüsan, hoshang, wo«, d.h.: »Ein Bündel, ein Schirm, ein Priester und ich«. In einer Nacht nun machte der Priester seinen Gefängniswärter trunken, schor ihm, während er fest schlief, den Kopf und entfloh. Als der Soldat wieder aus seinem schweren Rausch aufwachte,[333] fing er an zu zählen: »Das Bündel: hier; der Schirm: auch hier; der Priester: o weh! der ist ja fortgelaufen«. Plötzlich aber, als er die Hand zu seinem Kopfe erhob und fand, dass dieser kahl sei, rief er aus: »Nein, der Gefangene ist ja hier: ich bin es, der fortgelaufen ist!«

Schon Dr. Martin hat am angezogenen Orte darauf hingewiesen, dass sich bei Hierokles (wie er sagt) eine ausserordentlich ähnliche Erzählung finde, die er indessen ganz falsch wiedergiebt. In der spätgriechischen Sammlung, die er meint, d.h. im »Philogelos«, welcher aus den »facetiae« des Hierokles und Philagrius zusammengestellt ist, lautet die Geschichte vielmehr ihrem wesentlichen Inhalte nach wie folgt:

Ein Schulmeister, ein Kahlköpfiger und ein Barbier, welche zusammen eine Reise machen, verabreden, als sie die Nacht an einem einsamen Orte zubringen müssen, abwechselnd je vier Stunden zu wachen. Die Reihe kommt zuerst an den Barbier. Dieser scheert, um sich einen Scherz zu machen, den schlafenden Schulmeister. Als letzterer aufwacht und bemerkt, dass ihm die Haare fehlen, ruft er aus: »Der dumme Kerl, der Barbier, hat ja aus Irrtum statt meiner den Kahlköpfigen aufgeweckt«.

Da der Philogelos nicht jedem zur Hand sein dürfte, gebe ich in der Anmerkung den vollständigen griechischen Text nach Eberhards Ausgabe1.

So ungemein ähnlich sich in diesem Falle die griechische und die chinesische Scherzerzählung auch sehen, ist hier eine Entlehnung von der einen oder der anderen Seite doch wohl ausgeschlossen.

Den Beschluss mache noch eine Tierfabel.

Fußnoten

1 Philogelos. Hieroclis et Philagrii Facetiae. Edidit A. Eberhard. Berolini. 1869. S. 17 (No. 56): Σχολαστικός καὶ φαλακρὸς καὶ κουρεὺς συνοδεύοντεσ καὶ ἔν τινι ἐρημίᾳ μείναντες συνέϑεντο πρὸς τέσσαρας ὥρας ἀγρυπνῆσαι καὶ τὰ σκεύη ἕκαστος τηρῆσαι. ὡς δὲ ἔλαχε τῷ κουρεῖ πρώτῳ φυλάξαι, μετεωρισϑῆναι ϑέλων τὸν σχολαστικὸν καϑεύδοντα ἔξυρε καὶ τῶν ὡρῶν πληρωϑεισῶν διύπνισεν. ὁ δὲ σχολαστικὸς ψήχων ὡς ἀπὸ ὕπνου τὴν κεφαλὴν καὶ εὑρὼν ἑαυτὸν ψιλόν, »μέγα κάϑαρμα« φησὶν »ὁ κουρεύς. πλανηϑεὶς γὰρ ἀνἰ ἐμοῦ τὸν φαλακρὸν ἐξύπνισεν«.


Quelle:
Arendt, C.: Moderne chinesische Tierfabeln und Schwänke. In: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang (1891), S. 334.
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