Der Erdbebenfisch.

[154] In der Urzeit waren die Erdbeben in Japan noch häufiger und schrecklicher als jetzt. Der Grund davon ist der, daß ein riesiger Fisch mit ungeheurem, breitem Kopfe, langen Bartfäden und mächtigen Flossen, dessen größte Kraft in seinem endlos langen Schweife enthalten ist, sich unter der Insel befindet. Sein Kopfende liegt gen Norden, sein Schweif reicht bis ins Herz der Insel, bis nach Yamato, in die Nähe der großen Stadt Kioto. Das ist denn auch der Grund, weshalb in letzterer Gegend die Erde am öftesten erbebt, denn meist rührt das Ungethüm nur den Schweif.

Damit dasselbe nicht noch größeres Unheil schafft, hält ein mächtiger Gott, Kaschima, Wache und lastet nicht nur selbst auf dem Rücken des Thieres, sondern beschwert denselben auch noch mit Felsen. Ist auch dies nicht ausreichend, so ergreift der Gott sein mächtiges Schwert, das er einst in der Landschaft Hidatschi in die Erde stieß und dessen Griff einen mächtigen Felsen bildet, den man den Kanamefelsen, den Grundpfeiler der Insel Nippon genannt hat. Dies Schwert vermag Niemand zu heben, als Kaschima; erfaßt er es aber, so ergreift Furcht den großen Erdbebenfisch, und ohne daß Kaschima es wirklich zu zücken braucht, beruhigt er sich und das Erdbeben hört auf.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 154.
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