Der treue Kater.

[385] In Osaka wohnte einst ein wohlhabender Kaufmann, der nur eine Tochter hatte. Diese aber war sehr schön und deshalb ihrem Vater um so theurer, so daß er sie gleich seinem Augapfel hütete. Nun hatte er auch einen sehr schönen Kater, der von allen Leuten im Hause sehr geliebt und gehätschelt ward, aber das Thier war Niemand so zugethan als der Tochter des Hausherrn. Auf Schritt und Tritt folgte er ihr; legte sie sich schlafen, so trachtete er danach, im Zimmer zu bleiben, und fast nie war sie allein, ohne daß der Kater bei ihr war. Sie selbst hatte weiter kein Arg daraus; ihr Vater jedoch fing endlich an, den guten Kater zu beargwöhnen. »Das ist am Ende,« so dachte er, »einer der bösen Geister oder ein zauberkundiger Nichtswürdiger, der sich in dieser Gestalt in mein Haus eingeschlichen hat, um meiner Tochter nachstellen und sie am Ende wohl gar mir entführen zu können. Das beste wird sein, ich mache diesem Spuk ein Ende und tödte das Thier.« Diesen Entschluß hatte er aber kaum gefaßt, als er einen sonderbaren Traum hatte. In demselben erschien ihm sein Kater und sagte mit sehr betrübter Miene: »Lieber Herr, ich muß nun schon im Traume dir erscheinen und dir deinen bösen Verdacht gegen mich benehmen; denn es ist ja so weit gekommen, daß du mich ums Leben bringen willst. Damit aber würdest du nicht nur schweres Unrecht begehen, sondern die Gefahr, der du zu entrinnen meinst, erst recht heraufbeschwören. Wisse denn, in deinen Vorrathsräumen haust eine Ratte, nicht eine Ratte von der gewöhnlichen Art, sondern groß und bös, und diese Ratte ist es, von welcher deinem Kinde Unheil droht. Ich bin sein treuer Wächter, von einer dir wohl gewogenen Gottheit eigens dazu bestellt; ich bin indessen viel zu schwach, die Ratte angreifen zu können und muß mich damit begnügen, bei deiner Tochter Wacht zu halten. Dadurch habe ich sie bisher vor[386] jedem Leid bewahrt, und nun willst du mir mit schwärzestem Undanke lohnen und mich mit Schmach bedeckt aus der Welt schaffen. Höre aber, was ich dir rathe. Schicke zu deinem Freund und Handelsgenossen in Ajikawa; der hat eine große, schöne Katze, Namens Butschi. Laß dir diese Katze geben und laß uns beide, Butschi und mich, in deinem Speicher der bösen Ratte zu Leibe gehen; alsdann wollen wir dem unheimlichen Handel schon ein Ende machen.« Als am andern Morgen der Kaufmann erwachte, säumte er nicht, dem Rathe zu folgen, der ihm im Traume zu Theil geworden. Er schickte zu seinem Freunde, der sich über die Botschaft sehr verwunderte, und bat ihn, die Katze Butschi auf einen oder ein paar Tage ihm zu leihen; der Freund gab sie auch willig her, und so that man die beiden Katzen Abends in den Vorrathsraum, in welchem die Ratte hauste. Als man nun am anderen Morgen die Thür öffnete, da fand man alle drei Thiere fest in einander verbissen und verkrallt, so daß keines sich zu rühren vermochte. Die Ratte machte, als sie Menschen kommen hörte, noch einmal verzweifelte Anstrengungen, zu entrinnen, allein es ging nicht; die Katzen hatten sich beide fest in ihr Fell gekrallt und in ihren Hals gebissen, so daß sie nicht fortzulaufen vermochte. Sie war größer, als jede der beiden Katzen, und der Kater hatte daher vollkommen recht gehabt, wenn er sagte, er allein könne des Unthieres nicht Herr werden. Sofort nahm man ein scharfes Messer, durchschnitt der Ratte die Kehle und warf die Leiche ins Wasser. Die Katzen waren nun frei, aber so schwach, daß sie sich kaum rühren konnten; so sehr man sie pflegte, erlagen sie doch beide den schweren Wunden, die sie in dem verzweifelten Kampfe mit der Ratte davongetragen hatten. Man gab ihnen aber ein Begräbniß mit allen Ehren und stellte ihre Bildnisse zum Andenken an ihre Treue und Tapferkeit auf den Gräbern auf.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 385-387.
Lizenz:
Kategorien: