Zenroku.

[415] Vor Kurzem lebte in Tokio im Stadttheil Kanda ein armer Fischhändler, Zenroku mit Namen, der sich kümmerlich mit seiner Frau und einem Söhnlein durchschlug. Seine Frau starb zu seiner tiefen Bekümmerniß, weshalb er seinen Sohn einer alten Frau in Pflege gab und häufig mit anderen seinesgleichen in bescheidenen Wirthshäusern die Abende verbrachte. Obgleich er sonst keinen schlechten Gewohnheiten fröhnte, namentlich auch dem Hasardspiele durchaus nicht ergeben war, hatte er sich doch einmal verleiten lassen, mit seinen Freunden in einem Theehause zu spielen, und unglücklicher Weise ward er dabei von der Polizei ertappt und ins Gefängniß geworfen. Es war ein finsteres, dumpfes Loch, in das er eingesperrt wurde, seine Vernehmung ließ ungebührlich lange auf sich warten, und so war es nur allzu erklärlich, daß der arme Zenroku an einem bösen Fieber erkrankte. Die alte Frau, welche sein Kind zu verpflegen hatte, wartete vergebens auf das Geld, daß er ihr sonst regelmäßig für ihre Bemühungen und Auslagen zu bringen pflegte; als sie aber erfuhr, was dem Zenroku passirt sei, dachte sie, er werde alles später schon ersetzen und ließ in ihrer Sorgfalt für das Knäblein nicht im geringsten nach. Nur war sie um Zenroku selber sehr besorgt und freute sich daher sehr, als derselbe eines Abends spät bei ihr eintrat, ihr für die Pflege, die sie in so gütiger Weise seinem Kinde angedeihen lasse, aufs herzlichste dankte und ihr eröffnete, er müsse zwar noch einmal in sein Gefängniß zurück, werde aber folgenden Tages daraus erlöst sein und frei[415] werden. Am anderen Morgen begab sich die Alte mit dem Kinde vor das Gefängniß und dachte nicht anders, als daß Zenroku bald aus demselben hervorkommen und mit ihnen gehen würde; sie war daher vor Schreck und Überraschung starr, als sie statt dessen Zenroku's Leiche heraustragen sah und hörte, daß der Arme am Abend zuvor seinem Fieber erlegen sei. Das war genau zu derselben Zeit geschehen, wo er bei ihr eingetreten war. Die Frau behielt nun nach wie vor den gänzlich verwaisten und verlassenen Knaben bei sich, fand aber auch mitleidige Seelen in Menge, welche sie nach Kräften unterstützten.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 415-416.
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