Die Glocke von Miidera.

[307] Die Heldensage von Benkei berichtet, daß derselbe einst aus dem Kloster von Miidera eine Glocke von riesenhafter Größe, von fünf Fuß Durchmesser an dem unteren Rande, geraubt und ganz allein bis nach seinem Kloster Hiesan getragen habe, und preist mit Recht die göttergleiche Stärke eines Mannes, der das vermochte. Die Mönche von Miidera hatten der Glocke, wie ferner schon berichtet wurde, den Klang weggezaubert, und man fügt hinzu, Benkei habe, durch dies Wunder erschreckt, die Glocke wieder ganz allein zurückgetragen.

Von dieser Glocke aber erzählt man noch wunderbareres. Anfangs, so heißt es, war sie spiegelblank auf ihrer Oberfläche, und Jedermann freute sich darüber und pries die Schönheit der[307] Glocke. Einstmals aber kam eine vornehme Dame zum Tempel, und statt fromm zu den Göttern zu beten, trat sie an die spiegelnde Fläche der Glocke und benutzte dieselbe, um sich darin zu beschauen und davor ihren Haarputz in Ordnung zu bringen. Darüber erzürnte die Glocke gewaltig, und so verzog sich das Erz auf der ganzen Oberfläche von selbst zu lauter feinen Runzeln, damit in Zukunft ein so lästerlicher Gebrauch des heiligen Geräthes ganz und gar unmöglich sei. Die Mönche fügen hinzu, der herrliche Klang der Glocke, welche noch bis vor kurzer Zeit sich im Kloster befunden, habe durch diese Runzelung der Spiegelfläche durchaus nicht gelitten.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 307-308.
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