Kakekigo.

[308] Unter den Helden, welche in dem großen Bürgerkriege zwischen den Familien der Minamoto und der Taira auf Seiten der letzteren kämpften, befand sich der General Kakekigo, der von der Göttin Kwannon mit außerordentlicher Kraft und Stärke begabt war. Als die letzte Schlacht zur See bei Dannoura in der Meerenge von Schimonoseki geschlagen war, gelang es ihm vermöge seiner Körperkraft, sich durch die feindlichen Kriegerscharen einen Weg zu bahnen und in einem kleinen Boote zu entkommen. Dem Haupte seiner Gegner, Yoritomo, lag viel daran, den Kakekigo in seine Gewalt zu bekommen; er schätzte denselben ganz besonders hoch und wünschte sehnlich, ihn zu bewegen, daß er auf seine Seite überträte. Auch hoffte er, daß dies ihm nicht fehlschlagen würde, wenn Kakekigo lebend in seine Hände geriethe und dann von ihm mit Güte und Wohlwollen behandelt würde.

Endlich gelang es seinen Soldaten, des Flüchtlings habhaft zu werden, und sie brachten ihn frohlockend vor ihren Befehlshaber. Yoritomo sprach ihm nun gütig zu und hielt ihn in[308] Ehren und mehr zum Scheine, als in Wirklichkeit gefangen. Kakekigo aber benutzte dies mir, um zu entfliehen. Yoritomo ließ ihn abermals verfolgen, es gelang auch, ihn wieder einzufangen, und wieder wurde ihm dieselbe gütige Behandlung zu Theil. Kakekigo entfloh wiederum; aber auch diesmal ward er eingeholt und aufs neue vor Yoritomo geführt.

Nun redete ihm dieser aufs eindringlichste zu. Er bat ihn inständig, doch von seinem Hasse gegen ihn und die Seinen abzulassen, und versprach, ihm dann immerdar ein treuer Freund zu sein. Kakekigo jedoch gab ihm zur Antwort: »Vergebens, o Fürst, hoffest du, mich je zu versöhnen. Ich bin einmal der treue Diener eines anderen gütigen Herren, deines Feindes, gewesen. Jetzt ist er todt, aber dennoch soll sich kein Anderer jemals meiner Freundschaft rühmen, meine Treue vermag ich nicht zweimal zu verpfänden. Ich gestehe ein, daß ich dir große Verbindlichkeiten schulde; mein Leben stand in deiner Hand, du hast es mir wiederholt geschenkt. Und trotz alledem vermag ich meine Augen nicht auf dich zu richten, ohne daß der Rachedurst in mir aufsteigt und mich treibt, dir den Kopf abzuhauen. So will ich denn das einzige für dich thun, was ich vermag; nimm meine Augen, die mich ohne Unterlaß anspornen, meines Herren Tod an dir zu rächen, als Opfer hin, als den einzigen Entgelt, den ich dir für deine Großmuth gegen mich zu bieten vermag!« Nachdem er so gesprochen, riß er sich, bevor man ihn daran zu hindern vermochte, beide Augen aus und bot sie dem Yoritomo dar. Yoritomo beklagte dies tief und schenkte dem Erblindeten augenblicklich die Freiheit.

Kakekigo begab sich nun nach Hiuga und stiftete dort eine religiöse Gesellschaft, welche nach dem Namen der Familie seines früheren Herren die der Taira- oder, wie man gewöhnlich in Japan mit einem chinesischen Worte sagt, der Heiki-Blinden heißt. Er ward der erste Prior oder Kengio des Ordens, der später sehr zahlreich ward und alle übrigen Sekten blinder Mönche überflügelte, obgleich alle, die in Kakekigo's Orden eintreten, sich auf Lebenszeit binden[309] müssen, und obgleich ihnen auch das Betteln untersagt ist. Kakekigo lebte danach noch längere Zeit; er lernte ausgezeichnet die Laute spielen und suchte Trost in den Tönen derselben für den Untergang aller seiner Hoffnungen und den Verlust seines Augenlichtes.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 308-310.
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