Kätzchens Entführung.

[53] Es war einmal ein wunderhübscher Kater, der hatte ein Fell wie Seide und kluge, grasgrüne Augen, die im Dunkeln weithin leuchteten. Der Kater hieß Gon und sein Herr war Musiklehrer. Er hatte das Thier so lieb und war so stolz auf ihn, daß er sich um alles in der Welt nicht von ihm hätte trennen mögen.

Ganz ebenso wie dem Musiklehrer ging es einer jungen Dame in der Nachbarschaft, welche eine allerliebste kleine Katze besaß, die Koma hieß. Dies kleine Schmeichelkätzchen war ein so liebes Geschöpfchen, es blinzelte so niedlich mit den Aeugelein und fraß so appetitlich sein Süppchen, und es fuhr mit der der kleinen Zunge so keck über das rosenrothe Näschen, sobald das Mahl verzehrt war, daß seine Herrin immer auf's Neue ausrief: »Koma, Koma, ich werde dich nie von mir lassen!«

Nun aber ereignete es sich, daß die beiden, Katerchen und Kätzchen, einander erblickten und sich sterblich eins in das andere verliebten. Gon, der schöne Kater, hätte längst eine Braut haben können, denn alle Kätzchen rings umher hatten ein Auge auf ihn geworfen; aber in seinem Stolze hatte er sie gar nicht beachtet. Nun hatten ihn die Netze der Liebe doch gefangen, und voll Sehnsucht blickte er zu Koma hin über. Ebenso erging es der kleinen Koma; auch sie ward traurig und sann gemeinsam mit Gon auf Mittel, wie sie vereint werden könnten. Gon hat seinen Herrn, die kleine Koma ihrer Herrin abzukaufen, und als diese nichts davon hören wollte, da bat Koma ihre Herrin, doch Gon zu kaufen. Aber der Musiklehrer ging ebenso wenig auf die Bitten seiner Nachbarin ein, ihr den Kater zu überlassen, und so blieb alles beim alten.

Indessen war die Liebe des Pärchens zu groß, als daß sie sich dabei hätten beruhigen können, und so kamen sie endlich zu einem ganz verzweifelten Entschlusse: sie wollten ihr behagliches[54] Dasein, das sie beide von Jugend an geführt, im Stiche lassen und mit einander entfliehen. Und so schlichen sie in einer mondhellen Nacht von dannen und pilgerten in die ihnen völlig unbekannte weite Welt. Als der Tag anbrach und die Sonne ihren Pfad beschien, waren sie schon ein Stückchen Weges von Haus entfernt und gelangten in einen großen fürstlichen Park; doch kaum hatten sie denselben betreten und sich des Anblicks der herrlichen Bäume, der schön gepflegten Pfade und der vielen Teiche gefreut, da kam auch schon das Unglück in Gestalt eines großen, großen Hundes über sie. Der böse Hund kam, als er die Katzen von ferne witterte, in eiligen Sprüngen voll Zorn herbeigelaufen; die kleine Koma schrie vor Schreck laut auf und flüchtete eilig auf einen hohen Kirschbaum, Gon aber blieb auf dem Flecke stehen und sah muthig dem Kampfe entgegen. Ja, seine liebe Koma sollte sehen, daß er ein Held war, der keinem Feinde weicht und lieber sein Leben läßt, als daß er feige die Flucht ergriffe. Aber ach! so edel und schön der Entschluß auch war, so hätte er doch dem tapferen Gon gar leicht den Tod gebracht, denn gegen einen so starken und überlegenen Gegner, wie es der große Hund war, hätte er nichts ausrichten können. Der armen Koma pochte das Herzchen gewaltig, als sie die Sachlage überblickte, und voll Angst für ihren Geliebten stieß sie jämmerliche Klagetöne aus. Der Hund war schon ganz nahe, und um ein Haar wäre es um Gon geschehen gewesen, wenn nicht ein Diener des Weges gekommen wäre, der im Dienste der Prinzessin stand, welcher der Park gehörte. Dieser jagte den Hund fort, nahm aber auch den schönen Kater auf den Arm und trug ihn zu seiner Herrin.

Nun war die arme Koma ganz allein, und Gon war völlig in Verzweiflung. Aber was war zu machen? Der Diener ließ ihn keinen Augenblick unbeachtet, und die Prinzessin, zu der er ihn brachte, war so erfreut über seinen Anblick und behandelte ihn so gut und so freundlich, daß er sich in sein Schicksal fügte.

Diese Prinzessin, seine jetzige Herrin, lebte in Freude und[55] Herrlichkeit; sie hatte alles, was sie sich wünschte, und hätte so recht von Herzen glücklich sein können, wenn nicht eine große Schlange beständig ihre Ruhe gestört hätte. Diese Schlange hatte sich nämlich in die Prinzessin verliebt und belästigte sie so oft sie nur konnte. Die Prinzessin war darüber natürlich sehr unglücklich und ließ stets Wachen ausstellen, um die Schlange zu verscheuchen, sobald sie sich blicken ließ. Eines Tages aber hatten die Wächter nicht gehörig Obacht gegeben, und als die Prinzessin ahnungslos in ihrem Zimmer saß und den Koto1 spielte, da schlich das Unthier ganz heimlich herein, um sie zu überfallen. Gon aber, der in der Nähe seiner Herrin saß und ihrem Spiele lauschte, sah die Schlange sogleich und sprang mit solcher Wuth auf sie zu, daß sie vor Schreck nicht wußte, was sie thun sollte. Gon aber wußte wohl, was er zu thun hatte; rasch klammerte er sich am Halse des abscheulichen Thieres fest und biß ihm so tief in die Kehle, daß es sofort seinen Geist aufgab und todt am Boden lag. Die Prinzessin, die das Geräusch hörte, wandte sich um und war tief ergriffen und voll Dankbarkeit gegen Gon. Sie lobte ihn sehr und hätschelte ihn Tag für Tag; sie gab ihm die schönsten Leckerbissen, und in der That wäre ihm nichts zu wünschen übrig geblieben, wenn er nur seine geliebte Koma hätte wiederfinden können.

Eines Tages lag er vor der Hausthür in der Sonne und blickte in die Welt hinaus. Da gewahrte er in einiger Entfernung einen wahren Vagabonden von einem Kater, der eine hübsche kleine Katze arg mißhandelte. Voller Zorn lief er herzu und verjagte den Bösewicht; als er sich aber nach dem Kätzchen zur Seite blickte und dasselbe trösten wollte, sah er Niemand anders als Koma vor sich, und nun war er so glücklich, daß er es gar nicht aussprechen konnte. Koma hätte ihn fast nicht wieder erkannt, so groß und stattlich war er geworden; als sie[56] aber seine Freude sah, da merkte sie wohl, wer es war, und da war sie eben so froh und glücklich, ihn wiedergefunden zu haben.

Beide gingen nun Hand in Hand zur Prinzessin, und Gon erzählte ihre ganze Leidensgeschichte. Die Prinzessin hörte dieselbe mit großer Theilnahme und versprach ihnen, daß sie nun für immer glücklich sein sollten, denn sie wollte sie beide, so lange sie lebten, bei sich behalten. Nun ward eine vergnügte Hochzeit gefeiert, und als nach einiger Zeit sich auch die Prinzessin mit einem Prinzen aus einem weit entfernten Parke verheirathete, da erzählte sie ihm sogleich von der Liebe der beiden Kätzchen und von der Heldenthat des tapferen Gon, der ihr das Leben gerettet und sie von der abscheulichen Schlange befreit hatte.

Als der Prinz das hörte, da war er ganz damit einverstanden, daß Gon und Koma die Prinzessin begleiteten, als er sie in sein Haus führte, und hier haben sie alle zusammen ein glückliches und vergnügtes Leben geführt. Gon und Koma bekamen viele schöne Kinder, die mit den Kindern der Prinzessin spielten und ebenso anhänglich an diese waren, wie ihre Eltern, und der Prinzessin immerdar ihre Liebe und Treue bewahrten, und so war es dieser denn auch nie leid, das niedliche brave Katzenpaar bei sich behalten zu haben.

1

Großes, mit vielen Saiten versehenes Musikinstrument, das der Spielende vor sich liegen hat; es steht bei den Japanern in hohem Ansehen.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 53-57.
Lizenz:
Kategorien: