XXIV.

[80] Es war einmal ein Mann, der trieb Ackerbau. Als er eines Tages pflügen ging, fand er einen Knaben auf dem Wege liegen, hob ihn auf und steckte ihn in seinen Futtersack; am Abend beim Nachhausegehen nahm er ihn mit. »Was ist dies im Sack?« fragte seine Frau. »Ich habe einen Knaben gefunden«, antwortete er. Der Bauer hatte noch zwei andere Söhne; mit denen zusammen erzog er den Knaben. Dieser wuchs heran und er gab ihm den Namen: der schöne Jûsif. Als er gross geworden war, stritt er einmal mit dem einen Sohne des Bauern und erschlug denselben. »Warum hast du meinen Sohn getödtet?« fragte ihn der Bauer. »Er hat mich beschimpft«, antwortete jener. »Was hat er[80] dir denn gesagt?« »Er hat Hurenkind zu mir gesagt; desshalb habe ich ihn getödtet«. Der Bauer sagte: »Das ist auch dein wahrer Name«. Da tödtete jener auch den Bauern. Darauf bekam er mit dem andern Sohne des Bauern Streit und tödtete auch den noch. Nun verklagten ihn die Dorfleute; er aber zog aus dem Dorfe fort, hing sich Säbel und Gewehr um und ging in's Gebirge; dort setzte er sich an den Weg. In einer Höle, welche sich dort befand, schlug er seine Wohnung auf; er betete nie und fastete nie, sondern mordete und schändete, ohne je vor etwas Angst zu haben. – Hierauf berief der Statthalter ihn vor sich; aber er kam nicht, sondern tödtete jeden Diener, der ihn aufsuchte. Darauf wirkte der Statthalter einen Achtsbrief gegen ihn aus: alle Soldaten zogen gegen ihn, und er kämpfte mit ihnen; aber sie konnten ihm nichts anhaben. Im Gegenteil, der schöne Jûsif pflegte sich Nachts aufzumachen und in die Stadt zu gehen, um zu rauben und zu morden, so dass sich die Einwohner der Stadt vor ihm fürchteten und aus Angst die Stadttore schlössen, bevor die Sonne unterging; jener aber sprengte dieselben und drang in die Stadt ein und raubte. Hierauf kam ein neuer Statthalter in die Stadt, und diesem erklärten die Bürger, sie würden auswandern. Jener fragte nach dem Grunde. Sie erzälten ihm: »Es wohnt ein Mann draussen vor der Stadt, der hat die Stadt zu Grunde gerichtet; desshalb wollen wir wegziehen«. »So sollen vier meiner Diener ihn aufsuchen gehen«, befal jener, und ihm sagen: »Der Statthalter lässt dich einladen, zu ihm zu kommen; er will dich zum Hauptmann über die Stadt machen«. Die Diener gingen und begaben sich zu ihm; sie setzten sich zu ihm hin und redeten mit ihm; als sie ihm ausrichteten, was der Statthalter befolen hatte, willigte er ein, hing sich seinen Säbel und sein Gewehr um und ging zum Statthalter. Dieser befal ihm, seinen Säbel und sein Gewehr abzulegen und vorzutreten. »Nein«, antwortete jener, »ich lege sie nicht ab, sondern mit Gewehr und Säbel will ich vortreten«. »So packt ihn«, rief der Statthalter; da wollten ihn die Gensdarmen und andern Soldaten packen; er aber stürtzte mit dem Säbel auf sie los und streckte sie damit alle zu Boden; dann entfloh er und kehrte in seine Höle zurück. – Darauf erliess der Sultan an den Statthalter ein Schreiben des Inhalts: »Fangt jenen Menschen; aber lasst ihn weder hinrichten noch hängen; sondern werft ihn in's Meer, damit er ertrinke; beim Hängen wird er nicht sterben, und durch Hinrichten wird er sich nicht tödten lassen«. Da suchten die Statthalter ein wunderschönes Mädchen, indem sie sagten: »Wir wollen[81] das Mädchen zu ihm schicken, damit er bei ihr liege, und wärend er bei ihr liegt, wollen wir ihn packen«. Alle waren einverstanden.; man walte also ein schönes Mädchen aus und schickte es zu ihm, nachdem die Statthalter ihr Verhaltungsbefehle gegeben hatten. Sie ging zu ihm hin und fragte: »Wie geht's dir? schöner Jûsif!« »Mögest du lange leben«, antwortete jener. Dann setzte sich das Mädchen zu ihm hin und betastete ihn; denn so hatten die Statthalter sie tun heissen; da legte er sich zu ihr und wohnte ihr bei. Jetzt umringten die Soldaten die Höle, wärend er mit dem Mädchen beschäftigt war, griffen ihn, banden ihm die Hände hinter den Rücken und brachten ihn zum Statthalter. »Werft ihn in's Gefängniss«, befal dieser, »bis ich an den Sultan ein Schreiben geschickt habe und mir Antwort auf meinen Brief zukommen wird«. Da warf man ihn in's Gefängniss.

Unterdessen ging einmal die Tochter des Mîr-Akâbir mit ihrer Sclavin am Ufer des Meeres spazieren. Die Tochter des Mîr-Akâbir besass aber einen wunderschönen Fingerring, dessen Stein ein Diamant war. Als sie nun ihre Hände und ihr Gesicht im Meerwasser wusch, geriet ihr der Ring vom Finger, und ein Fisch nahm ihn mit fort. Sie stürzte sich auf den Fisch und ergriff ihn beim Schwanze ganz unten im Meere. Da kam der Hai und verschluckte das Mädchen nebst dem Fische in ihrer Hand. Das Mädchen blieb im Bauche des Haifisches; dort nahm sie ihren Ring dem Fische wieder aus dem Maule und steckte ihn an ihren Finger. – Hierauf kam vom Sultan Botschaft an den Statthalter des Inhalts: »Lass den schönen Jûsif nicht hinrichten, sondern in's Meer werfen«. Da führte der Statthalter Jûsif gebunden an's Meeresufer und befal den Schiffern, ihn auf ein Schiff zu bringen und weit von der Stadt wegzuführen; dann ihn in's Wasser zu werfen, damit er ertrinke. Die Schiffer nahmen ihn und führten ihn zwei Stunden weit vom Ufer weg; dann sagten sie: »Hier ist's tief«, und warfen ihn dort, gebunden wie er war, hinein. Wie er aber in's Wasser fiel, schnappte ihn der Hai auf und verschluckte ihn. Als er in den Bauch des Haifisches kam, fand er dort ein wunderschönes Mädchen sitzen. Sie freute sich, dass ein Mann zu ihr hineinkam. Die beiden redeten mit einander und erzälten sich ihre Erlebnisse. Das Mädchen fasste im Herzen den bösen Gedanken, Jûsif möchte sich zu ihr legen; jedoch er tat es nicht. Darauf gaben sie sich das Versprechen, einander zu heiraten, aber inmitten des Meeres sich des Umgangs zu enthalten. –[82]

Unterdessen wartete die Sclavin am Meeresufer auf die Prinzessin; eine ganze Woche blieb sie dort, aber Niemand zeigte sich und die Prinzessin kehrte nicht zurück. Da ging die Sclavin weinend nach Hause und trat vor Mîr-Akâbir. »Wo ist meine Tochter?« fragte dieser. Sie erzälte ihm, was geschehen war. Er aber nahm Schiffer und Fischer und befal ihnen, die Fische zu fangen. – Inzwischen war der Fisch, welcher den Ring weggenommen hatte, wieder aus dem Bauche des Haifisches hervorgekommen. – Als nun die Schiffer und Fischer die Fische fingen, befal Mîr-Akâbir ihnen, sie ja nicht zu tödten. Sie fingen sie also, ohne sie zu tödten; unter den vielen, die sie fingen, befand sich auch der Fisch, welcher den Ring weggenommen hatte. Nun fragte Mîr-Akâbir: »Wer versteht die Sprache der Fische?« Man antwortete ihm: »Es wohnt ein Molla in einem Dorfe, der versteht die Sprache der Fische«. Diesen rief man herbei, und er redete mit den Fischen; aber jeder Fisch, den er nach dem Mädchen fragte, behauptete, sie nicht gesehen zu haben, und schwor es dem Molla. Da kam auch der dran, welcher den Ring weggenommen hatte, und auch mit ihm; redete der Molla. Der Fisch aber antwortete: »Ich kann nicht dasselbe beschwören, sondern ich habe den Ring weggenommen; darauf hat mich das Mädchen im Wasser ergriffen; aber da ist der Hai gekommen und hat mich und sie hinuntergeschluckt, und jetzt ist das Mädchen noch in seinem Bauche; aber sie hat mir den Ring wieder abgenommen«. »Ist das wahr?« fragte jener. »Ja«. Da berichtete der Molla es dem Mîr-Akâbir: »So und so erzält der Fisch«. Und dieser befal: »Lasst die Fische wieder frei in's Meer; anders wäre es eine Sünde; aber jenen, der den Ring weggenommen hat, den tödtet«. Da liessen sie die Fische wieder frei in's Meer; aber jenen tödteten sie. Darauf rief der Fürst den Molla und sagte: »Ich verlange von dir den Hai«. »Mein Herr!« antwortete jener, »ich bin nicht im Stande, denselben: zur Stelle zu schaffen«. »Aber du verstehst ja doch ihre Sprache!« »Ich verstehe ihre Sprache, aber ich bin nicht im Stande, sie zur Stelle zu schaffen!« Da befal er: »Wenn du ihn herschaffst, so ist's gut; wo nicht, so schlage ich dir den Kopf ab«. »Ich kann ihn nicht herbeischaffen«. »So schlagt ihm den Kopf ab!« Da schlug man dem Molla den Kopf ab. Mîr-Akâbir aber gab das Nachforschen nach seiner Tochter auf; und da Niemand im Stande war, sie zu befreien, hörte er auch auf, von seiner Tochter zu sprechen.

So ging ein Jahr vorüber, da wurde der Hai krank, denn er[83] fühlte sich beschwert und konnte nicht mehr schwimmen; daher ging er an's Meeresufer, rieb sich mit dem Bauche am Ufer an den Steinen und sperrte das Maul auf. Jûsif kam heraus. Er schaute auf und sah, dass er sich auf dem Lande befand und die Hand des Mädchens in der seinigen hielt. Er zog nun das Mädchen hinter sich her, und so kamen sie alle beide heraus. Sie sagten zu einander: »Wir wollen den Hai nicht tödten, denn er hat uns eine Woltat erwiesen«. Dann machten sie sich beide auf und kamen in ein Schloss; dort fanden sie ein Weib aufgehängt mit dem Kopfe nach unten und den Fassen nach oben. »Warum bist du hier?« fragten sie. »Mîr-Meḥamma hat mich hierher gebracht«, antwortete sie; »ich war verheiratet, und er hat mich hierher entführt; er wohnte mir bei, dann sagte er zu mir: ›Warum bist du keine Jungfrau mehr?‹ und hing mich so auf«. – Das Weib war wunderschön; neben ihr waren Schwert und Schild [Mîr-Meḥamma's] aufgehängt. »Wo ist denn Mîr-Meḥamma?« fragte Jûsif. »Er ist hinausgegangen«, antwortete jene. Da hing sich Jûsif das Schwert und den Schild um den Hals; bald darauf kam Mîr-Meḥamma, trat hinein und schaute Jûsif an. Ohne mit einander zu reden, packten sie sich. Jûsif aber warf ihn zu Boden und setzte ihm das Schwert an die Kehle; aber jener öffnete die Brust und wies sich als Mädchen aus. »Wer bist du denn?« fragte Jûsif. »Ich bin ein Zwitter«, antwortete jener. »Wenn er eine Frau wäre«, dachte Jûsif, »so würde er mich nicht zu tödten suchen; aber da er auch etwas vom Manne an sich hat, so wird er mich tödten wollen«. Desshalb nahm er ihm das Leben und erlöste das Mädchen. »Woher bist du?« fragte er sie. »Ich bin von Qara«, antwortete sie. »Wie hat er dich denn in seine Gewalt gebracht?« »Man hat mich in's Haus meines Schwiegervaters heimgeführt und ich wurde schwanger; da ging ich Gras holen, um es den Kühen zu bringen; aber auf dem Berge gebar ich und legte das Kind auf den Boden, raufte Gras aus und füllte den Sack damit; beim Suchen nach dem Gras überwältigte mich der Schmerz, und da ich den Knaben nicht mehr erblickte, dachte ich, die Elfen hätten ihn weggenommen; darauf kam ich nach Hause zurück und erzälte dies der Familie meines Schwiegervaters; diese suchten den Knaben und forschten ihm nach; endlich erzälten die Leute, ein Bauer habe ihn gefunden, und bei dem Bauern sei er herangewachsen; dann habe er den Bauern und dessen Söhne erschlagen und sei von den Statthaltern festgenommen worden, und nun wisse man nicht, wohin diese ihn gebracht hätten; desshalb schlugen mich die Angehörigen meines[84] Schwiegervaters, bis ich erzürnt fortging in's Gebirge; darauf hat mich Mîr-Meḥamma hierhergebracht, dies ist meine Geschichte«. »Schön«, sagte jener und erkannte, dass es seine Mutter war, »sei du meine Mutter und diese hier meine Frau!« aber er sagte ihr nicht: »Ich bin dein Sohn«. Sie war es zufrieden.

Unterdessen hatte in der Stadt, wo man ihn gefangen genommen hatte, das Mädchen, welchem Jûsif beigelegen hatte, ihm einen Sohn geboren. Dieser hiess Dschinni. Auch er mordete täglich Jemand aus der Stadt und setzte die Stadt ganz in Belagerungszustand; auch den Statthalter tödtete er. Man sagte dem Dschinni: »Du bist ja der Sohn Jûsif's«, und meinte damit, er habe den Statthalter dafür getödtet, dass dieser seinen Vater in's Meer geworfen habe. Niemand in der Stadt wagte mehr, in seiner Gegenwart zu sprechen. Da zog Jûsif mit seiner Frau und seiner Mutter wieder in die Höle auf dem Wege vor der Stadt, wo man ihn gefangen genommen hatte, und tödtete jeden, der aus der Stadt herauskam. Auch Dschinni vernahm, es wohne Jemand in der Höle seines Vaters, der habe zwei Weiber bei sich. Die Mutter des Jünglings aber, welcher Jûsif beigelegen hatte, war noch am Leben; und als sich nun Dschinni bereit machte, gegen jenen auszuziehen, zog sie mit ihm, indem sie sagte: »Langsam, mein Sohn; kämpft nicht mit einander; es könnte vielleicht dein Vater sein«. Das Weib ging hin, und wie Jûsif sie erblickte? rief er: »Das ist die, welcher ich beiwohnte, als man mich festnahm«. »Die bin ich«, antwortete sie. Er wollte auf sie los und sie umbringen, jedoch sie rief: »Das sei ferne von mir, dass nach dir ein anderer Mann mich berührt hätte; und ich habe dir einen Sohn geboren, der heisst Dschinni, und dieser hat mehr Leute als du in der Stadt getödtet und hat auch den Statthalter umgebracht, der dich damals hat festnehmen lassen, alles um deinetwillen, und jetzt sagst du: ›Ich will sie tödten!‹« »Wo ist mein Sohn?« fragte er. Sie rief ihn herbei und sagte zu ihm: »Das ist dein Vater«, und zu Jûsif: »Das ist dein Sohn; wenn ihr nun wollt, so kämpft mit einander«. Jene aber küssten einander; dann brachen sie auf, nahmen die Weiber mit und gingen beide in die Stadt. Dort liessen sie sich nieder und herrschten über die Stadt. »Das sind meine Weiber«, sagte er zu Dschinni; »und das ist deine Grossmutter; aber nenne sie nicht Grossmutter!« »Gut!« antwortete dieser. Dann wohnten sie bei einander.

Einst sass Jûsif bei der Tochter des Mîr-Akâbir und fragte sie: »Kennst du noch die Stadt deines Vaters?« »Ja«. »Wo ist sie[85] denn?« »In Wân«, antwortete sie. »So lass uns in die Heimat deines Vaters ziehen«, schlug er vor. »Auf«. »Aber«, fiel er ein, »wenn nun deine Angehörigen sagen: ›Wir wollen unsre Tochter nicht hergeben‹, wirst du nach deines Vaters oder nach meinem Wunsche handeln?« »Nach dem deinigen«, antwortete sie. »So lass uns schnell reisen«. Da machten sie sich auf und reisten bis vor die Stadt Wân; daselbst liegt ein Dorf, welches Chischchischôke heisst; dort stiegen sie ab. Um das Dorf liegen Gemüse- und Baumgärten; in diese Gärten gingen sie hinaus, um sich zu vergnügen. In jenem Dorfe wohnte ein Diener des Mîr-Akâbir zur Beaufsichtigung, und dieser erkannte die Tochter seines Herrn, auch sie erkannte ihn; aber er war der Sache nicht so sicher, um ihr sagen zu können: »Du bist die Tochter des Mîr-Akâbir«. Nachdem der Bursche sie angesehen hatte, stieg er zu Pferde und ritt, es ihrem Vater zu berichten: »Ich habe eine Frau gesehen in Begleitung von zwei Männern; ich meine, es sei deine Tochter, kann's aber nicht glauben; es ist die Gestalt deiner Tochter, und der Gang deiner Tochter und die Sprache deiner Tochter«. »Wo ist sie denn?« fragte er. »Sie ist in Chischchischôke«. Da stieg Mîr-Akâbir mit seinen Söhnen zu Pferde, und sie ritten in Begleitung des Dieners nach dem Dorfe. Dort fanden sie sie im Garten. Als ihr Vater sie ansah, sagte er: »Sie ist es«; die Söhne aber behaupteten: »Sie ist es nicht«. »Ruft ihre Mutter«, befal er; »diese wird sie erkennen; und wenn sie es nicht ist, wird sie es auch unterscheiden«. Man rief die Mutter herbei; alle Leute sahen ihnen zu; die Mutter aber erkannte sie sofort und weinte. Da begann auch das Mädchen zu weinen, und jene riefen: »Warhaftig, es ist unsre Tochter«. Hierauf nahm Mîr-Akâbir alle mit sich nach Wân, und man hielt Rat. Man kündigte dem Jûsif an: »Wir wollen dir unsre Tochter nicht zur Frau geben«. »Hier ist das Mädchen«, antwortete er; »mit Gewalt will ich sie nicht heiraten; wenn sie sagt: ich will ihn nehmen, so könnt ihr nichts dawider haben, und wenn sie sagt: ich will ihn nicht nehmen, so will ich nichts dawider haben«. »Was erklärst du? Mädchen!« fragten sie. Sie antwortete: »Ich will nicht von ihm lassen; wenn ihr mir den Kopf abschneidet, so will ich doch keinen andern als ihn zum Manne nehmen«. Da hatten sie nichts einzuwenden! Jûsif aber sprach zu ihrem Vater: »Bin ich gekommen, um sie zu freien?« »Nein«, antwortete dieser. »Habe ich sie entführt?« »Nein«. »Ich war in der Tiefe des Meeres«, erzälte er, »und im Bauche des Haifisches; und dort habe ich sie gefunden; da ist sie; ist es denn[86] nicht so?« »Ja«, erwiderte sie. »Sie hat alles angewendet, dass ich in der Tiefe des Meeres ihr beiwohnen sollte; aber ich habe es nicht getan; Gott hat sie mir geschenkt, dass sie mir zu Teil wurde, und du kannst sie mir mit Gewalt wegnehmen?« »Nein«, antwortete er. »Wenn du nicht ihr Vater wärest, so hätte ich ein Gericht über die Stadt ergehen lassen«. »Aha«, sagte jener; »du bist geworden wie der schöne Jûsif«. »Der bin ich selber, der schöne Jûsif«, erwiderte er. »Ist das wahr?« »Frage deine Tochter!« »Ist es wahr? meine Tochter!« »Ja, er ist es«, antwortete diese. Darauf blieben sie einen Monat bei Mîr-Akâbir; da erzälte ihm Mîr-Akâbir einmal: »Es gibt eine Stadt Namens Höngelchan, bei der Stadt, wo du mit den Statthaltern gekämpft hast; wir haben vernommen, dass nach dir daselbst Jemand sich hat sehen lassen, den man Dschinni nennt und der ebenfalls tapfer ist; du bist tapfer und er ist es«. »Das ist mein Sohn«, erwiderte Jûsif. »Ist das wahr?« »Ja«. Darauf erzälte ihm Jûsif seine Geschichte und die seines Sohnes, wie er sein Sohn sei; dann rief er die Frau herbei und fragte sie: »Ist es nicht so?« »Freilich«, antwortete sie. »Haben mich nicht die Statthalter bei dir gefangen genommen?« »Freilich«. – Hierauf verweilten sie ein Jahr bei jenen; dann aber machten sie sich auf, nahmen von Mîr-Akâbir Abschied und zogen in das Land Qara, das Vaterland Jûsif's. »Kennst du das Haus deines Schwiegervaters?« fragte er seine Mutter. »Ja«, antwortete sie. »Mutter«, rief er. »Ja«. »Ich bin dein Sohn, welchen der Bauer gefunden hat; darauf habe ich in der Stadt das und das getan«. Da küsste sie ihn vor Freude. »O mein Sohn«, rief sie; »Dank sei Gott, dass ich dich gefunden habe, vater- und mutterlos, und du doch zwei Weiber und einen Sohn bekommen hast; jetzt kann ich wol sterben«. Nun zogen sie in das Dorf seines Vaters, den er nicht kannte; aber seine Mutter kannte ihn; eines Abends gelangten sie dorthin. »Wollt ihr nicht Gäste beherbergen?« fragten sie. »Freilich, willkommen«, antworteten jene. Eben in jener Nacht wollte man dem Vater Jûsif's ein Weib freien. Seine Familie hatte desshalb einen Schmaus veranstaltet und lud die Leute ein, essen zu kommen und für ihn freien zu gehen. Im Laufe des Gesprächs fragte Jûsif: »Worüber beratet ihr euch denn?« Man antwortete: »Unsre Geschichte lässt sich gar nicht erzälen«. »Wie so?« fragte er. »Dieser Mann hatte eine Frau; dieselbe gebar im Gebirge, und ihr Sohn ging verloren; desshalb schlug sie ihr Mann« – sie hörte aufmerksam zu – »sie aber entfernte sich grollend; da fand sie[87] Mîr-Meḥmma der Räuber, entführte sie und tödtete sie; nun wollen wir für den Mann ein Weib freien, weil er keine Frau hat«. »Hört auf mit dem Freien!« rief Jûsif. »Warum?« »Seine Frau ist bei mir! ich habe sie dem Mîr-Meḥamma abgenommen«. »Du lügst«, sagten jene; »du bist doch nicht der schöne Jûsif oder Dschinni?« »Komm hierher«, rief er; (er sagte nicht: »Mutter!«). Sie kam herbei. »Welcher von allen diesen ist dein Mann?« fragte er. »Dieser ist es«, antwortete sie. »Und welcher ist dein Schwiegervater?« »Dieser«. »Bei Gott, es ist wahr«, erwiderten jene. »Und ich bin der schöne Jûsif«, sagte er. »Ist das wahr? Frau«, fragten sie. »Ja«. »Und ich bin ihr Sohn, und mich hat der Bauer gefunden, und so und so habe ich an der Stadt getan, und das ist mein Sohn Dschinni; wenn ihr's nicht glaubt, so sollen die Weiber euch alles erzälen, wie es geschehen ist«. Da glaubten sie es und freuten sich sehr, und es entstand grosser Jubel; einen Monat hindurch bewirtete man die Leute und liess dazu die Pauken schlagen und die Flöten blasen.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 80-88.
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