XXXI.

[112] Es war einmal ein Mann und eine Frau; sie war seine Frau. Aber sie waren arm, und bekamen einen Sohn. Da sagte die Frau zu ihrem Manne: »Mann, arbeite, damit wir unser Brot zu essen haben«. So viel er aber auch arbeitete, so wurden sie doch nicht satt. Eines Tages machte er sich daran, eine Mauer, die er im Hofe hatte, niederzureissen, um die Steine derselben zu verkaufen; da kam ein Fass voll Goldstücke zum Vorschein. Er rief seiner Frau und seinem Sohne: »Kommt!« »Was gibt's?« »Kommt, es hat sich ein Fass voll Goldstücke für uns gefunden«. »Nur still«, antwortete die Frau, »schreie nicht, damit es Niemand hört«. Darauf brachten sie den Schatz, den Gott ihnen geschenkt hatte, in's Haus, kauften Maultiere, Pferde und Ziegen, der Arme wurde zum reichen Kaufmann, und wenn die Leute fragten, woher dieser Reichtum komme, so hiess es: »Gott hat ihm denselben gegeben«. In der Folge machten sie ihn zum Fürsten über die Stadt, und sein Sohn regierte. Diesem letzteren, der Bischâr hiess, rieten die Leute sich zu verheiraten. Er entgegnete aber: »Ich will nicht heiraten, das sei fern von mir, ausgenommen die Tochter des Chalîfen von Baghdad«. Da machte sich sein Vater auf, nahm zwanzig Mann mit sich und reiste zum Chalîfen von Baghdad. Er trat in dessen Zimmer; sie setzten sich nieder und man bereitete ihm Kaffe und Speise und erwies ihm Ehre, dann unterhielten sie sich mit einander. Der Vater des Jünglings sprach: »O Chalîfe, fragst du denn nicht, warum wir gekommen sind?« »Ich weiss den Grund nicht«, antwortete jener. »Wir sind gekommen um deiner Tochter willen und für unsern Sohn«. »Frage meine Tochter darnach«, entgegnete der Chalîfe; »wenn sie ihn nehmen will, so wollen wir sie ihm geben«. Man liess sie in das Empfangszimmer rufen, und sie kam. Da sagte der Chalîfe: »Meine Tochter!« »Was gibt's?« »Willst du heiraten? Man ist[112] gekommen um deine Hand anzuhalten«. Sie wusste nicht, wer jene waren, daher antwortete sie: »Vater!« »Ja«. »Es sei fern von mir, dass ich einen andern zum Manne nehme, als Bischâr, den Sohn des Kaufmanns, dessen Name in der ganzen Welt berühmt ist, und dessen Schwert aus Blitzeisen ist«. Da sagte der Chalîfe: »Meine Tochter, dieser da ist der Kaufmann«. »Ja, dann will ich heiraten«, sagte sie; »fordere das Heiratsgeld«. Der Chalîfe aber verlangte zehn beladene Maultiere, das Geld, das sie tragen können, sammt den Tieren. »Zu Diensten«, antwortete der Kaufmann. – Darauf machten sie sich auf und kamen nach Hause; vier Monate blieben sie daselbst; dann beluden sie zehn Maultiere und reisten ab. Sie übergaben dem Chalîfen die zehn Maultiere und setzten die Braut in eine Sänfte. Diese aber, die Tochter des Chalîfen, hatte einen Liebhaber; dem hatte sie Weiberkleider angezogen und hatte ihn zu ihrer Sclavin gemacht; nun stiegen sie in die Sänfte, sie nebst dieser Sclavin; die Soldaten führten die Maultiere der Sänfte; so reisten sie, bis sie sie an ihren Bestimmungsort brachten, und dort wies man ihr und der Sclavin ein Zimmer an. So lange die Frau noch Mädchen war, trieb die verkleidete Sclavin Ungebürliches mit ihr. Nun kam der Sohn des Kaufmanns in das Zimmer, um in sein eheliches Recht zu treten. Nach ihm kam aber auch die Sclavin und wohnte seiner Gemalin bei; so oft Niemand zugegen war, genoss sie ihre Liebe.

Eines Tages aber wurde die Frau krank; man holte die Aerzte zu ihr, und der Kaufmann fragte dieselben: »Wo liegt das Uebel der Frau?« Jene antworteten: »Im Kopfe«. »Was bedarf sie?« fragte er die Aerzte. Diese antworteten: »Um gesund zu werden, bedarf sie die Haut eines Löwen, der sieben Jahre alt ist«. Wer soll nun gehen, die Haut herbei zu holen? Bischâr wird gehen. Als Bischâr aufbrach, bat ihn sein Vater, Leute mit sich zu nehmen. »Nein«, sagte er, »ich will allein gehen«. Da hing er sein Schwert um seine Schulter und bestieg seinen braunen Hengst. Er ritt vierzig Tage; da sah er an der Oeffnung einer Höle eine Frau, welche butterte; sie war so schön, dass sie zur Sonne hätte sagen können: »Steige herab, damit ich an deine Stelle hinaufsteige«. Auch sie erblickte den jungen Mann, welcher herangeritten kam, und rief ihm. Da ging er zu ihr und fragte sie: »Was willst du? Mädchen«. »Wohin ziehst du?« fragte sie hinwiederum. »Ich ziehe in der Welt herum«. »Was kann da sein?« fragte sie; »bleibe diese Nacht nur bei uns«. Das gefiel[113] dem Jüngling; er stieg vom Pferde und liess dasselbe in die Höle hineingehen; sie aber breitete ein Polster und Kissen aus, und sie setzten sich darauf. Da fragte sie der Jüngling: »Mit wem wohnst du hier zusammen?« »Mit meinem Vater«, antwortete sie. »Wer ist dein Vater?« fragte er. »Ein Riese«, antwortete sie, »Schön; und wenn er nun Nachts kommt und mit uns Streit anfängt?« »Fürchte dich nicht«, sagte sie, »ich will dich nicht im Stiche lassen, du hast mein Versprechen«. »Schön«, antwortete er. Darauf holte sie Wein und Brantwein herbei, und sie tranken; damit machte sie den Jüngling betrunken, fasste ihn am Arm und zog ihn an sich; da lag er bei ihr, und sie vergnügten sich bis gegen Abend. Als der Unhold von der Jagd heim kam, rief er: »Ooof, ich rieche Menschenfleisch«. Seine Tochter gebot ihm aber ruhig zu sein. Da kam Bischâr heran, und sie packten einander, um miteinander zu ringen. Die Höle erzitterte davon; Bischâr warf ihn zu Boden. Als er aber nach seinem Schwerte griff, ihn zu erwürgen, kam die Tochter des Riesen und sprach zu diesem: »Der da ist mein Mann und hat bei mir geschlafen; was dich betrifft, so geh zum Teufel! willst du, so soll er dich erwürgen, oder willst du, so setze dich dorthin, und halte dich ruhig«. Da schlössen sie mit einander Frieden, setzten sich hin und küssten sich gegenseitig; darauf blieben sie ein Jahr beisammen. Einst fragte der Riese Bischâr: »Was führst du eigentlich im Schilde?« »Ich suche«, antwortete dieser, »eine Löwenhaut von einem siebenjährigen Löwen«. »Zu Diensten«, entgegnete jener. Da stieg er nebst Bischâr zu Pferde und sie ritten in's Land der Löwen. Der Riese hatte aber eine Geliebte bei den Löwen; daher sagte er zu Bischâr: »Bleibe hier, ich will gehen«. »Geh denn«, antwortete jener. Der Riese ging zur Nachtzeit, Bischâr aber schlich hinter ihm her; er trat bei einer Frau in's Haus, Bischâr folgte ihm. Da erblickte ihn die Frau, die Gemalin der Löwen, und rief: »Riese! wer ist der da?« »Mein Schwiegersohn«, antwortete dieser. Die Löwenfrau war aber noch viel schöner als Bischâr's eigene Gemalin und sie verliebte sich in ihn. Sie fragte nach ihren Wünschen. »Wir bitten um das Fell eines siebenjährigen Löwen«, entgegneten sie. Der Riese fragte die Frau: »Wohin ist dein Mann gegangen?« »In das Haus des Königs«, antwortete sie, »zur Abendunterhaltung«. Darauf rief sie einen siebenjährigen Knaben von ihren Nachbarn herbei; sie schlachteten ihn und zogen sein Fell ab; als jene aber im Begriffe waren, aufzubrechen, erklärte die Löwenfrau, sie wolle mitkommen. »Auf denn, geschwind!« sagten jene. Sie stiegen[114] zu Pferde, ritten weg und kamen in die Höle zu dem Mädchen; da stiegen sie ab und speisten zu Abend. Als der Riese eingeschlafen war, sprach Bischâr: »Morgen will ich abreisen«. »Wohin?« fragten sie ihn. »In meine Heimat«. »Wir wollen mit dir kommen«. »Aber wenn der Riese es nicht zulässt?« warf er ein. »Kommt«, sagten sie, »wir wollen ihn tödten«. Da machte sich Bischâr an ihn, griff zum Sehwerte und setzte sich auf ihn; dann erwürgte er ihn und hieb ihm den Kopf ab. Früh Morgens brachen sie auf, bestiegen jedes ein Pferd und reisten ab. Endlich kamen sie in Bischâr's Heimat. Dort heiratete er die Weiber und liess jede in einem besondern Zimmer wohnen. Seine Frau, die Prinzessin, wurde darauf gesund; aber eines Tages, als er zu ihr ging, sah er die Sclavin auf ihr sitzen; da packte er die Sclavin am Arm, schaute sie sich näher an und entdeckte, dass sie ein Mann war. Er zog sein Schwert und hieb ihr den Kopf ab und ebenso seiner Frau; da trugen sie sie fort und begruben sie.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 112-115.
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