L.

[202] Es war einmal einer Namens Mîrſo, der lebte mit seiner Frau, und es wurde ihnen ein Sohn geboren. »Wie sollen wir ihn nennen?« fragte er sie. »Lass uns ihn Kandar nennen«, antwortete sie. Da nannten sie ihn Kandar. –. Als der Vater eines Tages auf die Jagd ging, erschlugen ihn Leute aus einem andern Dorfe. Man brachte seiner Frau die Trauerkunde, Mîrſo sei erschlagen; da fing sie an zu weinen. Darauf nahm sie zwei Männer aus dem Dorfe, holte mit ihnen den Leichnam und brachte ihn auf dem Maultiere nach Hause. Wer ihn getödtet hatte, konnten sie nicht in Erfahrung bringen. Einen Monat nachher hörte die Frau, 'Aṭmân habe ihn erschlagen; sie wagte nichts zu sagen. –. Kandar wuchs heran. Einst sagte er: »Mütterchen, ich will unser Korn zur Mühle bringen und es mahlen lassen.« »Das kannst du nicht, mein Sohn«, warf sie ihm ein. »Gewiss kann ich es«, erwiderte er, lud unter Beihilfe seiner Mutter den Sack auf den Esel und ging zur Mühle. Als er halbwegs war, überschlug sich der Esel köpflings unter der Last und fiel zu Boden. Kandar band den Sack los und richtete den Esel wieder auf; aber da er allein war, konnte er den Sack nicht wieder aufladen. Da kamen drei Räuber zu ihm (er wusste aber nicht, dass es Räuber waren), die fragten ihn: »Wohin gehst du?« »Ich gehe zur Mühle.« »Wie kommt es, dass dein Sack herunter gefallen ist?« »Der Esel ist gestolpert.« »Wir wollen ihn dir aufladen helfen.« Er war das gern zufrieden und fasste mit einem der Räuber den Sack an;[202] wie er sich aber bückte, packten ihn die beiden andern Räuber. Nun hatte er aber einen Dolch in seinem Gürtel, rasch ergriff er diesen und stach den einen Räuber todt. Darauf kämpfte er mit den beiden andern und tödtete auch diese. Dann lud er den Sack selber auf, ging zur Mühle, liess mahlen und kehrte nach Hause zurück. Port erzälte er seiner Mutter, dass er drei Räuber getödtet habe. »Gott gebe,« erwiderte diese, »dass es der Mörder deines Vaters gewesen ist, den du getödtet hast.« Da fragte er: »Wer hat meinen Vater ermordet?« »'Aṭmân.« »Wo ist 'Aṭmân?« »Er wohnt in jenem Dorfe.« »So will ich gegen ihn ziehen.« »Das kannst du nicht; er möchte dich tödten.« Kandar aber nahm sein Gewehr auf die Schulter, den Dolch hatte er noch im Gürtel stecken, ging hin und fragte nach 'Aṭmân. Als man ihn ihm gezeigt hatte, begab er sich als Gast in sein Haus. »Woher bist du?« fragte 'Aṭmân ihn. »Ich bin ein Fremder.« 'Aṭmân kannte ihn nicht. »Wesshalb kommst du?« »Ich will einen Ochsen zum Pflügen kaufen.« »Ich habe einen hier, morgen früh will ich ihn dir zeigen.« »Gut.« Sie assen zu Nacht und legten sich schlafen. Kandar merkte sich, wo 'Aṭmân schlief. Um Mitternacht stand er auf, ging zu 'Aṭmân, der fest schlief, und durchbohrte ihn mit tödtlichen Dolchstichen. Darauf entfloh er und kam nach Hause. Als am Morgen 'Aṭmân's Leute aufstanden und ihn ermordet fanden, da fragten sie untereinander: »Wer hat 'Aṭmân ermordet?« »Wir wissen es nicht.« »Wo ist der Gast?« »Er ist verschwunden.« »So hat der Gast ihn ermordet.« Sie forschten weiter nach ihm und erfuhren, er sei geflohen. –. Nach einem Monate erfuhr man, dass Kandar der Mörder sei. »Wesswegen hat er ihn ermordet?« hiess es. »'Aṭmân hatte seinen Vater ermordet, und er hat nur seinen Vater gerächt.« Daraufhin sprach man nicht mehr darüber.

'Aṭmân hatte zwei kleine Knaben hinterlassen. Kandar machte sich in der Nacht auf und ward ein Räuber. Er brach in's Haus 'Aṭmân's ein, tödtete die beiden Knaben und plünderte sie aus. Da führte das Dorf 'Aṭmân's Klage gegen ihn in Môçul. Der Statthalter schickte fünf Diener nach ihm und befal ihn zu sich. »Kandar!« sagten die Diener. »Ja!« »Der Statthalter befiehlt dich zu sich.« »Wesshalb?« »Man hat dich verklagt.« »Wer?« »Das Dorf 'Aṭmân's«. »Geht und sagt dem Statthalter, ich käme nicht.« Die Diener gingen und meldeten es dem Statthalter. Darauf schickte dieser zehn Diener und befal ihnen: »Bindet ihn und bringt ihn.« Die Diener richteten ihren Auftrag an ihn aus; als er sich[203] aber zu kommen weigerte, legten sie Hand an ihn, um ihn zu binden. Aber da fiel er über sie her und tödtete fünf von ihnen. Die übrigen eilten zum Statthalter zurück und erzälten ihm: »Er hat fünf getödtet und will nicht kommen.« Nun nahm der Statthalter Soldaten und zog selber gegen ihn. Das Dorf aber ergriff Kandar's Partei und liess nicht zu, dass man ihn verhaftete. So kämpften sie gegen den Statthalter. Kandar selber verfolgte ihn bis vor's Tor von Môçul. Da sagte der Statthalter zu seinen Räten: »Lasst ihn jetzt, ich will darüber an den Sultan berichten.« So ward Kandar's Name berühmt.

Einst sagte er: »Ich will mir eine schöne Stute kaufen.« Da hiess es: »Es ist irgendwo eine Stute, die ist sehr schön, eine bessere gibt's nicht.« »Wo ist sie?« »Bei dem Häuptling der 'Aenĕſe, unterhalb Baghdad's.« »Ich will sie kaufen gehen,« erwiderte er. »Er gibt sie nicht; wenn du ihm auch zwei Millionen bietest, er gibt sie nicht.« »Ich will verflucht sein, wenn ich sie nicht hole,« entgegnete er, nahm Flinte und Säbel und begab sich unter die Beduinen. Dort fragte er, wo die 'Aenĕſe seien. »Du musst noch weiter abwärts ziehen,« sagten die Beduinen. Als er nun zu den 'Aenĕſe kam, fragte er nach dem Zelte des Häuptlings. »Dieses ist das Zelt des Häuptlings«, hiess es. Er ging hin und liess sich dort nieder: »Woher bist du?« fragten sie ihn. »Ich bin euer Gast«, antwortete er, »sie wollten mich zum Soldaten nehmen, da bin ich hergekommen.« »Habe darum keine Sorge mehr,« sagten sie, und er blieb jene Nacht dort. Nach dem Abendessen schaute er sich unter den Pferden um und fand bald heraus, welches das schöne war. In jener Nacht fand er aber keine Gelegenheit, es zu stehlen, er wartete daher bis zur folgenden Nacht. Nach dem Abendessen machte er sich heimlich auf, legte der Stute den Sattel auf, band sie los und stieg auf. An dem Zelteingange war eine Lanze in die Erde gesteckt, die nahm er auch weg und eilte auf dem geraubten Pferde davon. In der Nacht kam er zu den Beduinen. »Woher bist du?« fragten sie ihn. »Ich bin ein 'Aenĕſe.« »Wohin gehst du?« »Meine Frau ist mir weggelaufen, ich suche sie, habt ihr sie nicht gesehen?« »Nein!« Von neuem trieb er sein Pferd an; zwischen Baghdad und Môçul fand ihn der anbrechende Tag. Aber die 'Aenĕſe waren wie Vögel hinter ihm. Er schaute sich um, da sah er, dass die Beduinen und die 'Aenĕſe hinter ihm her waren. Er wandte sich gegen sie und nahm den Kampf mit ihnen auf. Sechsunddreissig hatte er schon getödtet, da bekam er einen Lanzenstich[204] in den Arm. Er umwickelte den verwundeten Arm und kämpfte weiter. Acht andere tödtete er, da wandten sich die Beduinen zur Flucht. Er setzte seinen Weg fort. Noch einmal rückten sie gegen ihn an: »Unsere Männer hat er erschlagen«, sagten sie, »die Stute geraubt, auf! hinter ihm her!« Sie erreichten ihn, wieder wandte er sein Pferd und sprengte auf sie los. »Ich bin Kandar«, rief er, »Kandar bin ich.« Auf seinem schnellen Bosse eilte er den aufs Neue fliehenden nach. Einen erreichte er und stiess ihm die Lanze in den Rücken, dass sie am Herzen herauskam; mit der Lanze hob er ihn vom Pferde in die Höhe und auf der Lanzenspitze nahm er ihn mit sich. Er kam in ein Dorf, da sahen die Leute, dass er einen Todten auf der Lanze hatte. »Gott möge dich stärken!« sagten sie, »er hat einen Mann auf seiner Lanze.« Ihr Staunen war gross. Er kam nach Hause. »Hast du die Stute geholt?« fragten sie ihn. »Ja!« »Hast du sie gestolen? oder hast du sie gekauft?« Da erzälte er ihnen, wie es sich zugetragen hatte, und fragte sie: »Glaubt ihr es nicht? da ist der todte Mann auf der Lanze.« »Wo?« »Hier!« »Bei Gott, es ist wahr.« –. Darauf machten sie ihn zum Herren des Dorfes. Sie hatten ihn sehr gern und schworen bei seinem Haupte.

Einst sagten sie ihm: »Deine Stute ist schön; du müsstest nun noch ein schönes Schwert haben.« »Wo ist ein schönes Schwert?« fragte er. »Qaratâschdîn hat ein schönes Schwert, ein besseres gibt's nicht, aber du kannst nicht wagen, gegen ihn zu ziehen.« »Wesshalb nicht?« »Qaratâschdîn ist ein gewaltiger Held, viele Menschen hat er schon getödtet.« »Ich gehe zu ihm: entweder tödtet er mich auch, oder ich hole das Schwert.« »Steh ab! bitte geh nicht hin, er wird dich tödten.« »Ich bin unter die Beduinen gegangen: der Staub konnte gezält werden und die Beduinen konnten nicht gezält werden, und trotzdem fürchtete ich mich nicht vor ihnen; und vor Qaratâschdîn sollte ich mich fürchten? bei der Erde und beim Himmel, ich gehe zu ihm.« Kandar stieg auf sein Ross, hing sein Schwert um den Hals, nahm die Lanze auf die Schulter, zog hin und fragte, wo Qaratâschdîn wohne. Er kam in ein Dorf, da sah er ein Mädchen am Brunnen Wasser ziehen. Sie war sehr schön. Kandar's Herz erglühte in Liebe zu ihr. Und auch sie schaute Kandar lange an. »Giesse meinem Pferde einen Eimer Wasser in den Trog, damit es trinke«, bat er sie. »Recht gern«, entgegnete sie und goss den Eimer in den Trog vor das Pferd. Dann fragte sie ihn: »Woher bist du?« »Ich bin ein Fremder.« »Vielleicht bist du Kandar?« »Welcher[205] Kandar?« fragte er, sich verstellend. »Kandar, welcher den 'Aṭmân und seine Söhne erschlagen hat.« »Wenn du ihn sähest, würdest du ihn kennen?« »Nein, bei Gott, ich kenne ihn nicht, aber ich habe gehört, wie sie im Zimmer meines Vaters von ihm erzälten.« »Wer ist denn dein Vater?« »Metrûsbek.« »Nun, ich bin nicht Kandar.« »Ich aber bitte von Gott, dass Kandar mich zum Weibe nehmen möge, magst du es nun sein oder nicht.« Da sagte er: »Bei Gott, ich bin Kandar.« Sie legte seine Hand an seinen Fuss und bat: »Steige vom Pferde.« »Wesshalb?« »Komm zu uns, ich will meinem Vater sagen: dieser ist Kandar, und ich nehme Niemand anders als ihn zum Manne.« »Wie heissest du?« »Färdscha-Châtûn.« »Schau, ich will dir etwas sagen, ich gelobe dir bei Gott, dass ich dich zum Weibe nehmen will, aber jetzt lass mich, ich gehe zu Qaratâschdîn, um ihm sein Schwert zu nehmen, dann komme ich wieder, und nachher will ich dich heiraten; tödtet er mich aber, so steht dir frei, zu heiraten wen du willst.« »Jetzt eben ist Qaratâschdîn von uns weggegangen,« entgegnete sie, »er kam in unser Haus, [um mich zu werben], aber wie er's auch anlegte, ich habe ihn nicht zum Manne nehmen wollen.« »Wohin ist er gegangen?« »Geradeaus in der Richtung nach Westen.« Kandar eilte ihm nach. Färdscha-Châtûn aber ging in's Obergemach und weinte. Da fragte ihr Vater sie: »Warum weinst du? bis jetzt habe ich dich noch nie weinen sehen.« »Es brennt wie Feuer in meinem Herzen, Vater.« »Wie so?« »So so.« »Willst du etwa einen Mann? so gebe ich dir einen.« »Ich will keinen andern Mann als Kandar.« »Kandar! wie sollen wir den hierher bringen?« »Gott wird ihn schon schicken.« –. Kandar war unterdessen zur Burg Qaratâschdîn's gelangt, vor derselben war eine Wiese, auf dieser liess er seine Stute grasen und band sie an einen eisernen Pflock fest; die Lanze steckte er neben sie in die Erde. Dann ging er auf die Burg und trat bei Qaratâschdîn ein: »Woher bist du?« fragte dieser. »Ich bin ein Fremder.« Qaratâschdîn schaute ihn an, und Schrecken befiel ihn. Dann sagte er: »Komm, setze dich.« »Nein, ich setze mich nicht.« »Wesshalb nicht?« »Ich komme um deines Schwertes willen, wenn du es mir geben willst, so gib es; wenn nicht, so fassen wir einander.« »Wie sollte ich dir mein Schwert geben? Wir wollen um dasselbe wie gute Freunde mit einander ringen: wenn du mich wirfst, so gebe ich es dir; wirfst du mich aber nicht, so gebe ich es dir nicht.« Die Frau Qaratâschdîn's hatte sich in Kandar verliebt. Ihr Mann fragte ihn: »Wer bist du?« Er antwortete: »Ich bin Kandar.«[206] Da sagte sie: »Stell auf vor ihm, er ist ein Held und du bist ein Held; wer den andern tödtet, [dem will ich gehören].« Das erregte Qaratâschdîn's Zorn. Er stand nun auf, und er und Kandar packten einander. Kandar presste Qaratâschdîn's Brust so zusammen, dass ihm die Augen vor den Kopf traten. »Lass mich los«, rief er, »meine Augen tun mir weh.« Er fürchtete sich. Kandar aber sagte: »Ich lasse dich nicht los«, warf ihn zu Boden und setzte sich rittlings auf ihn. Qaratâschdîn rief seiner Frau zu: »Gib mir mein Schwert!« Sie zog es aus der Scheide, gab es aber dem Kandar. »Mir gib es«, rief ihr Mann. »Du kannst ihn doch nicht tödten«, entgegnete sie, »du liegst ja unter ihm.« Nun tödtete Kandar den Qaratâschdîn; dann hing er sich dessen Schwert um und ging zu seiner Stute. Die Frau Qaratâschdîn's sagte: »Nimm mich mit!« »Was soll ich mit dir anfangen?« »Mache mich zu deiner Frau.« »Pah!« »Wesshalb nicht?« »Bis jetzt hat Qaratâschdîn bei dir geschlafen, ich kann dich nicht brauchen,« entgegnete er. »Wehe! ich bin blind gewesen!« rief sie, »ich gab dir das Schwert und gab es nicht dem Qaratâschdîn.« »Wenn du es ihm auch gegeben hättest, was würde er angefangen haben?« Damit stieg er zu Pferde und ritt weg. Er kam nach Hause. Dort fragten sie ihn: »He! Hast du das Schwert mitgebracht?« »Ja.« »Hast du Qaratâschdîn getödtet?« »Ja, ich habe ihn getödtet und habe seine Frau dort gelassen.« »Warum hast du sie denn nicht mitgenommen?« »Was sollte ich mit ihr tun?« »Du brauchst eine schöne Frau.« »Ich habe eine sehr schöne gesehen.« »Wo?« »Die Tochter Metrûsbek's, des Fürsten der Dschawalî.« »Ist das weit?« »Herwärts von Qaratâschdîn ist ihr Land.«

Färdscha-Châtûn war in's Obergemach gestiegen, in ihrem Herzen sprach sie: »Kandar ist nicht gekommen, Qaratâschdîn hat ihn getödtet«, und weinte. –. Unterdessen war Kandar aufgebrochen und in's Land des Metrûsbek gekommen. Wie nun Färdscha-Châtûn in dem Obergemache durch's Fernrohr schaute, erblickte sie ihn und erkannte ihn. Da freute sie sich sehr. Sie dachte: »Sonderbar! er ist zum Qaratâschdîn gegangen, und jetzt kommt er von Osten.«

Kandar ritt in den Schlosshof, sie stieg hinab zu ihm und führte ihn hinauf in's Zimmer, wo ihr Vater sass. Er trat ein und begrüsste die Anwesenden, alle erhoben sich vor ihm, nur Metrûsbek blieb sitzen. Das verstimmte Kandar; aber Metrûsbek wusste ja nicht, wer er war. »Komm, nimm hier Platz, Kandar«, sagte die Tochter. Wie Metrûsbek den Namen Kandar hörte, stand er vor ihm auf. Dann nahm Kandar Platz, höher als Metrûsbek,[207] und sie begannen die Unterredung. Man brachte Kaffe, und sie tranken. »Woher kommst du?« fragten sie ihn. »Von Hause.« »Wie hast du den 'Aṭmân getödtet?« Da erzälte er ihnen von der Ermordung 'Aṭmân's, von den dreien, die er auf den Wege zur Mühle getödtet hatte, vom Raub der Stute und von der Tödtung Qaratâschdîn's, und ihre Blicke hingen an ihm. Dann fragten sie ihn: »Wesswegen bist du jetzt gekommen?« »Das lasst Färdscha-Châtûn erzälen,« erwiderte er. Diese kam und erzälte, wie sie sich mit einander verabredet hätten, und darauf sagte sie: »Ich nehme keinen zum Manne als ihn.« Metrûsbek antwortete: »Hm! schön! ich will dich dem Kandar geben.« Nun veranstaltete Metrûsbek Kandar's Hochzeitsfest bei sich, er liess hundert Hämmel schlachten und zubereiten, und verheiratete Färdscha-Châtûn mit Kandar. Sie wurden dort Mann und Frau, und Metrûsbek duldete nicht, dass Kandar ein Fünfparastück aus seiner Tasche ausgäbe. Dann liess er seine Tochter ein Pferd besteigen und entliess sie mit Kandar. Dieser sagte ihm beim Abschied: »Wenn Jemand Streit mit dir anfängt, so schicke nur nach mir, und du kannst ganz ruhig sein.« Als Kandar nach Hause kam, veranstaltete er auch dort ein Hochzeitsgelage. Alle Leute sagten: »Schöner als deine Frau ist keine.« Kandar baute sich ein schönes Schloss, sein Name erlangte Ruhm in der Welt. Er tödtete tapfere Männer und liess ihre Köpfe auf der Mauer des Schlosses aufspiessen.

Einst hatte er einen Gast bei sich von den Bohtân-Kurden, wärend er mit seiner Frau zusammen sass und sie liebkoste; da fragte er den Kurden: »Hast du je eine schönere Frau als die meinige gesehen?« »Wirst du mich nicht tödten, wenn ich es dir sage?« gab er zur Antwort. »Nein, habe keine Furcht und sprich.« »Ich habe in der Tat eine schönere Frau als die deinige gesehen.« »Wo?« »Die Tochter des Mîr-Seidîn, unseres Bohtân-Häuptlings, sie neigst Chile, die ist schöner als deine Frau.« »Ist das wahr?« »Ja!« »Wenn sie nicht schöner als meine Frau ist, so tödte ich dich.« »Lass mich so lange hierbleiben, bis du hingehst und sie siehst,« entgegnete der Gast; »ist sie schöner als deine Frau, nun so habe ich Recht, ist aber deine Frau schöner, so tödte mich.« »Schön!« erwiderte Kandar. Färdscha-Châtûn aber ärgerte sich über den Kurden und hiess ihn das Zimmer verlassen. Jedoch Kandar sagte: »Lass ihn in Ruhe«, und sie schwieg. –. Kandar stieg zu Pferde, nahm das Schwert Qaratâschdîn's mit und fragte nach dem Gebirge der Bohtân. In ihr Land gelangt fragte er: »Wo wohnt Mîr-Seidîn?« »In Dêrgule«, war die Antwort. Er ritt[208] nach Dêrgule und kam vor's Schloss. Gule und ihre Mutter sassen am Fenster; Gule fragte: »Wer ist jener, der da zu uns kommt?« »Ich weiss es nicht«, gab die Mutter zur Antwort, »gewiss ein Freier für dich.« »Ich nehme keinen andern als Kandar.« »Wo hast du denn Kandar gesehen?« »Im Traume.« –. Unterdessen hatte Kandar im Zimmer Mîr-Seidîn's Platz genommen. Zwischen diesem Zimmer und dem der Frauen war ein offenes Fenster. Letztere besahen ihn von diesem Fenster aus, wärend er sie nicht sah. Er unterhielt sich mit den Anwesenden. »Woher bist du?« fragten sie ihn. »Ich bin Kandar.« Sobald er sagte, er sei Kandar, entbrannte Gule in Liebe zu ihm. Die Versammlung staunte ihn an. »Kandar«, sagten sie, »hat viele Menschen getödtet.« Sie glaubten nicht recht, dass er Kandar sei. Da erzälte er ihnen seine Geschichte. Darnach fragten sie ihn: »Wesswegen bist du hergekommen?« »Ich komme, um Gule zu sehen.« »Die geben wir dir nicht.« »Wollt ihr sie nicht geben, so will ich sie nur sehen und dann wieder gehen.« Da sagten sie: »So ruft Gule, dass sie herkomme und er sie sehe.« Gule trat in's Zimmer, er schaute sie an und ein Weh befiel sein Herz und er brach zusammen. Da sprangen sie auf und wollten ihn tödten, aber Gule liess es nicht zu, sondern sagte: »Wartet, bis er wieder aufsteht, und dann tödtet ihn, damit wir sehen, ob ihr in Wirklichkeit ihn zu tödten vermögt.« Darauf rieb sie ihm die Herzgrube vor den Anwesenden, er schlug die Augen auf, da sah er Gule neben sich sitzen und freute sich. »Steh auf«, sagte sie, »sie wollten dich tödten, aber ich habe es nicht zugelassen.« Nun fragte er sie: »Willst du mich zum Manne nehmen oder nicht?« »Ich gelobe dir, dass ich dich nehmen will.« »Wenn aber dein Vater nicht zugibt, dass du mich heiratest?« »Mein Vater sitzt da und hört es: gibt er's zu, so ist's gut; gibt er's nicht zu, so tödte ihn vorher.« Da zog Kandar sein Schwert und fragte ihn: »Willst du sie geben oder nicht?« »Ich gebe sie nicht«, erhielt er zur Antwort. Da verriegelte er die Zimmerthüre, damit keiner entfliehen könne, und machte sich mit dem Schwerte über sie her. Er mordete und tödtete sie alle; eine Elle hoch stand das Blut im Zimmer. Die Einwohner des Dorfes entflohen vor Furcht. Kandar aber führte Gule hinunter aus dem Schlosse, bestieg sein Pferd, setzte Gule hinter sich auf dasselbe und ritt nach Hause. Dort heiratete er sie. Dem Kurden schenkte er zwanzig Beutel Geld und ein Ehrenkleid. »Du hast Recht, Kurde,« sagte er ihm, »sie ist schöner[209] als Färdscha-Châtûn.« So ward der Name Kandar's und seiner beiden Frauen berühmt in der Welt.

Die Bohtân aber rüsteten und zogen gegen ihn; da steckte sich Kandar die beiden Schwerter wie Hörner auf den Kopf und kämpfte mit der Lanze gegen sie. Viele von ihnen tödtete er, und die übrigen flohen vor ihm. »Kandar hat zwei Hörner«, sagten sie. Die ganze Welt erfuhr, dass er zwei Hörner habe, und man gab ihm den Beinamen: Abuqarnain (der Zweigehörnte).

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 202-210.
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