LII.

[211] Es war einmal ein Jude, der hatte eine Frau; die beiden liebten einander sehr. Auch besass er grossen Reichtum. Eines Tages sagte ihm die Frau: »Meine Sünde komme über dich, wenn du nicht nach meinem Tode nur eine solche zur Frau nimmst, der meine Schuhe passen.« »Schön!« antwortete er. Als die Frau gestorben war, blieb er mit seiner Tochter drei Jahre allein. In diesen drei Jahren probirte er allerwärts den Weibern die Schuhe an, aber keiner passten sie. Nun ging einst seine Tochter zum Wasser und zog die Schuhe an: sie passten ihr wie angegossen. Als der Vater das gewahr wurde, sagte er: »Töchterchen! ich werde dich freien.« »Wie so?« fragte sie. »Die Schuhe passen dir.« Und alsbald fasste er das Mädchen, um sich in seine ehelichen Rechte zu setzen. Da fing sie an zu weinen und sagte: »Geh, hol mir schöne Kleider aus der Stadt, und dann komm.« Mittlerweile ging das Mädchen einen Schlosser rufen und fragte ihn: »Kannst du mir an diesen Kasten ein Schloss von innen machen?« »Ja.« »Ich werde es dir bezalen.« Da machte er ihr ein Schloss von innen, sie gab ihm, was ihm zukam, stieg in den Kasten und legte sich Essen und Geld hinein. Als nun ihr Vater, der Jude, aus der Stadt kam und ihr schöne Kleider brachte, suchte er im ganzen Hause herum, ohne das Mädchen zu finden, auch draussen suchte er sie vergebens, vier Tage lang forschte er nach ihr, aber er fand sie nicht. Da ward er zornig, brachte den Kasten auf den Markt und stellte ihn zum Verkaufe aus. Ein Fürst kaufte ihn und schickte ihn mit den Dienern nach Hause, und als er selbst auch nach Hause gekommen war, liess er ihn sich in's Zimmer setzen. Am Abend ging der Fürst aus, verschloss die Thüre und begab sich in die Stadt. Nun öffnete das Mädchen[211] den Kasten und kam heraus; dann nahm sie Reis heraus und kochte ihn, kehrte drinnen im Zimmer und breitete die Teppiche aus, stopfte die Pfeife und legte sie aufs Sofakissen, und dann begab sie sich wieder in den Kasten hinein. Darauf kam der Sohn des Fürsten, welcher auch ein Fürst war, öffnete die Thüre und schaute hinein; da sah er, dass drinnen gekehrt war, der Teppich hingebreitet, die Pfeife auf dem Sofakissen, das Essen gekocht. Er zündete sich die Pfeife an und fing an zu rauchen; bei sich überlegte er, wer wol das alles so zurecht gemacht haben könnte. Als er zu Nacht gegessen, legte er sich schlafen. Am andern Morgen stand das Mädchen vor ihm auf und bereitete das Frühmal, die Kaffekanne setzte sie aufs Feuer und machte Kaffe mit Zucker, dann stieg sie wieder in den Kasten. Als der Prinz vom Schlafe erwachte, schaute er um sich, und siehe! da war das Frühstück schon fertig und der Kaffe gemacht. Er trank den Kaffe und ass; bei sich sprach er: »Bei Gott! es muss Jemand hier drinnen sein.« Er blieb drinnen, verschloss die Thüre und verbarg sich. Als es Abend geworden, kam das Mädchen heraus, kehrte drinnen, breitete die Teppiche hin, bereitete das Abendessen, stopfte die Pfeife, legte sie aufs Sofakissen und wollte sich wieder in den Kasten hineinbegeben. In diesem Augenblicke rief er Halt und gebot ihr, ruhig stehen zu bleiben. Sie bewegte sich nicht, er kam und setzte sich, und befal ihr, dessgleichen zu tun. Als sie sich zu ihm gesetzt hatte, plauderten sie mit einander und er fragte sie: »Wie kommt es, dass du in dem Kasten bist?« Da antwortete sie: »Mein Vater hat so an mir gehandelt« – und erzälte ihm von den Schuhen; dann fuhr sie fort: »Wenn mein Vater kommt, Prozess gegen dich zu führen, indem er geltend machen wird, dass er dir den Kasten, aber nicht die Tochter verkauft habe, dann rufe mich in die Gerichtssitzung, ich werde ihm seine Antwort geben.« »Ja«, antwortete er und heiratete sie. So schön wie sie war keine unter den Jüdinnen, sie hiess übrigens Çabḥa. Als der Jude, ihr Vater, hörte, dass der Fürst ein einzig schönes Weib Namens Çabḥa in der Kiste gefunden habe, begab er sich, nachdem er sich das Gerücht noch von anderer Seite hatte bestätigen lassen, zum Fürsten, und dieser liess das Gericht zusammentreten. »Was wünschest du, Jude?« fragten sie. »Ich will meine Tochter haben.« »Woher hast du eine Tochter zu fordern?« »Meine Tochter hatte sich mit mir überwerfen und sich in den Kasten versteckt, ich verkaufte den Kasten und nachher fand es sich, dass meine Tochter[212] in ihm war, nun will ich meine Tochter wieder haben.« Der Fürst sagte: »In dem Augenblicke, als ich den Kasten kaufte, sah ich Niemand darin; ruft meine Frau, sie soll in die Sitzung kommen.« Als sie gekommen war, fragte der Fürst: »Ist dies deine Tochter?« »Ja, das ist sie.« Sie aber sagte: »Ich bin nicht deine Tochter; wenn ich deine Tochter gewesen wäre, würdest du nicht so mit mir verfahren sein« – und sich zu der Versammlung wendend – »wenn er mein Vater wäre, hätte er mich dann zur Frau begehrt? bei seinem Heil! ist es nicht so?« »Ja«, antwortete der Vater und dann erzälte er dem Gerichte: »Ihre Mutter band mir's aufs Gewissen, nach ihrem Tode keine andere zu nehmen, als der ihre Schuhe passten; fände sich aber keine, so sollte ich lieber gar nicht wieder heiraten; überall probirte ich herum, aber auf keinen Fuss passte der Schuh, nur ihr, meiner Tochter, passte er; da sagte ich ihr: meine Tochter, nenne mich nicht für der Vater, denn ich will dich heiraten; verhält sich's nicht so?« – »In der Tat«, antwortete die Tochter – »Du gingst in den Kasten«, fuhr er fort, »und ich verkaufte diesen dem Fürsten: ich will meine Tochter haben.« Da erkannte das Gericht: »Schlagt ihm den Kopf ab! Ein Vater, der seine Tochter heiraten will! Schlagt ihm den Kopf ab!«

Vier Jahre waren nach seiner Hinrichtung verflossen, sie hatte unterdessen ein Knäblein und ein Mägdlein mit Gold- und Silberlocken geboren, da ging der Fürst eines Tages auf die Jagd, Wärend er auf der Jagd war, begab sich sein Haushofmeister, der zu Hause geblieben war, zu Çabḥa und verlangte Ungebührliches von ihr; als sie aber sein Ansinnen mit Entrüstung von sich wies, ermordete er ihren Sohn, und als der Fürst von der Jagd zurück kam, brachte er den Kleinen vor ihn und sagte: »Schau, was die Çabḥa getan hat, sie hat den Kleinen ermordet; sie wollte mich zu einer Sünde verführen, aber ich war standhaft, da ermordete sie den Kleinen, indem sie sagte: ich will dir Unheil bereiten; so hat Çabḥa getan!« Da befal der Fürst zween Dienern: »Wickelt sie und die Kinder in eine Filzdecke und bringt sie in's Gebirge, dass ich sie nicht sehe; dort tödtet sie und bringt mir von ihrem Blute, dass ich es trinke.« Die Diener holten sie, wickelten sie in eine Decke und brachten sie in's Gebirge. Nun sagte der eine Diener: »Komm, wir wollen sie tödten,« der andere aber sagte: »Bewahre, lass uns sie nicht morden, denn wir haben Brot von ihrer Hand gegessen, lass uns lieber einen Vogel schlachten und dem Fürsten dessen Blut bringen,[213] das mag er trinken; was weiss er?!« Der an dere war damit einverstanden und sie fingen einen Vogel, schlachteten ihn und füllten ein Fläschchen mit dem Blute desselben. Das brachten sie dem Fürsten. Als sie es ihm gegeben hatten, trank er das Blut, und fragte: »Habt ihr sie getödtet?« »Ja.« »Gut!« antwortete er, aber schon begann Reue in seinem Herzen zu brennen. –.

Unterdessen hatte Çabḥa die Decke geöffnet, das Mädchen war gestorben, und dem Jungen war ja der Kopf abgeschlagen. Da hob sie die beiden auf und ging weiter, bis sie zwei Quellen fand, eine mit trinkbarem und eine mit schlechtem Wasser. »Bei Gott!« sprach sie, »nicht will ich sie in diesem Wasser, das getrunken wird, waschen, sondern lieber in dem schlechten.« Darauf wusch sie sie, um sie zu begraben. Aber durch die Gnade Gottes kam den Beiden Leben zurück. Da freute sie sich sehr, dankte Gott und bat weiter: »Möchte uns doch hier an diesem Wasser ein schattiger Ort durch die Gnade Gottes werden.« Alsbald entstand ein grosses, unvergleichlich herrliches Schloss an dem Wasser. In diesem wohnten sie nun, den Jungen nannte sie Tschälänk 'Afdâl und das Mädchen Ḥaſno. –. Eines Tages erblickte Tschälänk 'Afdâl in der Quelle des schlechten Wassers einen Ring; er holte ihn aus dem Wasser heraus, rieb ihn und sprach dabei: »O Herr! gib mir viele Goldstücke!« Da gab Gott ihm viele Goldstücke. Ebenso sagte er: »O Herr! gib mir Pferde«, und er gab ihm viele Pferde. Als er nun nach Hause kam, fragte ihn die Mutter: »Kind, woher hast du dieses Geld?« »Mütterchen! forsche nicht! was immer du willst, fordere von mir.« »Schön!« antwortete sie, und er forderte Reichtümer, rieb den Ring, und Gott gab sie ihm.

Da kam einmal ein Derwisch zu ihm als Gast, der sang ihm zur Handpauke, und er füllte ihm den Ranzen mit Goldstücken. »Tschälänk 'Afdâl!« sagte der Derwisch, »ich wüsste eine passende Frau für dich, die Tochter des Beduinenhäuptlings.« »Ist sie schön, Derwisch?« fragte er. »Tschälänk 'Afdâl! geh hin, sieh sie dir an und komm wieder, ich bleibe so lange hier; ist sie nicht schön, so schlage mir den Kopf ab; ist sie aber schön, nun, dann hast du mir mein Geschenk schon gegeben.« »Wie heisst sie denn? Derwisch.« »Sie heisst Frâidscha.« Da rieb erden Ring, indem er sagte: »O Herr! gib mir Frâidscha, die Tochter des Beduinenhäuptlings.« Wie er noch da sass, kam sie zu ihm; er schaute sie an und konnte nicht satt werden sie zu schauen. Der Derwisch aber traute sie ihm zum Weibe an.[214]

Einst sass Tschälänk 'Afdâl oben auf dem Schlosse auf dem Sofa mit seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Gattin. Es war Morgen, der Tag war noch nicht heraufgekommen, er schaute durch's Fernrohr und sagte: »Ein Fürst kommt mit seinem Gefolge zur Jagd.« Da antwortete seine Mutter: »Mein Kind, lade ihn zu dir ein« – sie wusste, dass es ihr Mann war. »Gut! Mütterchen!« antwortete er, walte ein schönes Ross aus seinem Stalle, zog sein Festkleid an, nahm den Derwisch mit sich und ging auf die Jagd. Das Gefolge des Fürsten hatte eine Gazelle aufgescheucht und die Heiter waren hinter ihr her. Der junge Mann jagte ihr nach und fing sie. Als der Fürst kam, legte er die Gazelle ihm zu Füssen. »Woher bist du?« fragte ihn der Fürst. »Von diesem Schlosse.« »Wie heissest du denn?« »Ich heisse Tschälänk 'Afdâl.« »Hast du Angehörige?« »Ich habe eine Mutter, eine Schwester, eine Frau und den Derwisch, er ist mein Diener«. »Hast du denn keinen Vater?« »Nein!« Im Herzen des Fürsten brannte es wie Feuer und er fing an zu weinen. »Wesshalb weinst du?« fragte ihn Tschälänk 'Afdâl. »Desshalb!« »Komm, lass uns auf mein Schloss gehen.« Trotzdem der Diener des Fürsten einwandte: »Die Hitze fängt schon an zu brennen«, ging der Fürst mit Tschälänk 'Afdâl und stieg im Schlosse ab. Die Mutter aber hatte sich verborgen. Der Fürst und sein Gefolge nahmen Platz man bereitete ihnen viel Essen – Schüsseln und Löffel waren alle von Silber – man zog das Tischleder herein vor den Fürsten, und dieser ass. Dann fragte er den Tschälänk 'Afdâl: »Welche ist deine Schwester? und welche ist deine Frau?« »Diese ist meine Frau, und jene meine Schwester.« »Schön! Wo ist deine Mutter?« »Meine Mutter ist da im Zimmer.« »So rufe sie.« »Sie kommt nicht.« »Rufe sie nur, ich will ihr ein Geschenk machen.« Da ging er sie rufen, sie aber antwortete ihm: »Geh, sage ihm, ich liesse ihm sagen, wenn er Gericht halten wolle, so käme ich, wenn aber nicht, so käme ich nicht.« Tschälänk 'Afdâl ging zurück und berichtete dies dem Fürsten, und der sagte: »Gut, lass sie kommen.« Da kam sie in die Versammlung, der Fürst betrachtete sie, aber sie hatte ihr Gesicht verschleiert, damit er sie nicht kenne. »Sprich!« sagte er. Da hob sie an: »Es war einmal ein Fürst, der hatte eine Frau, die Tochter eines Juden« – hier fing der Fürst an zu weinen – »der Fürst hatte sie genommen und geheiratet, er bekam zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, ihre Locken waren eitel Silber und Gold. Einst ging der Fürst auf die Jagd; er hatte aber einen Diener, einen Haushofmeister,[215] der begab sich zu Çabḥa und verlangte Ungebührliches von ihr«. Mit Entrüstung wies sie sein Ansinnen zurück, da ermordete er ihren Sohn, und als der Fürst von der Jagd zurückkam, brachte er den Kleinen vor ihn und sagte: »Schau, was die Çabḥa getan hat; sie verlangte von mir, ich möchte mit ihr sündigen oder sie würde ihren Sohn ermorden.« Da befal der Fürst zween Dienern, sie und die Kinder in eine Filzdecke zu wickeln, in's Gebirge zu bringen und dort zu ermorden, und ihm von ihrem Blute zu bringen, damit er es trinke. Die beiden Diener gingen und trugen sie weg. Als der eine sie morden wollte, sagte der andere: »Lass uns sie nicht ermorden, denn wir haben Brot von ihrer Hand gegessen, lass uns lieber einen Vogel schlachten und das Blut dem Fürsten bringen, dass er es trinke; was weiss er!?« Sie gingen und liessen die Frau liegen. »Diese stand auf, fand eine Quelle mit kühlem Wasser und eine mit schlechtem Wasser; da wusch sie die Kinder, um sie zu begraben, aber sie kamen beide wieder in's Leben zurück, und durch die Gnade Gottes wurde ihnen hier ein Schloss,« – damit zog sie den Schleier von ihrem Gesichte und sagte: »Ich bin dein Weib, und dieser ist dein Sohn und diese ist deine Tochter, und dein Diener da hat so gehandelt.« Da schlug er dem Diener den Kopf ab und wohnte fortan in dem Schlosse bei seiner Frau und liess sein ganzes Haus dorthin schaffen. –

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 211-216.
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