II.

[92] Sanassar wohnte in Sassun. Die Götzen des Vaters lassen ihm keine Ruhe; deshalb macht er sich auf und zieht zu seinem Vater und zu seiner Mutter nach Bagdad. Sein Vater sass am Fenster und sieht, sein Sohn Sanassar kommt geritten. Er erkannte ihn und sagte: »O gross bist du, mein Gott!15 Wie hast du dein Opfer hierher gebracht! Gewiss wirst du auch das zweite16 bald gewaltsam herbringen.«

Die Mutter – sie war eine Christin – fing an zu weinen und um ihre Kinder Thränen[92] zu vergiessen. Der Vater nahm ein scharfes Schwert, ging hinaus, rief seinen Sohn und sagte: »Komm, mein Sohn, wir werden den grossen Gott anbeten; ich will dich ihm opfern.«

Der Sohn sagte: »Väterchen! Dein Gott ist gross, sehr wunderbar; sogar in der Nacht liess er uns keine Ruhe; gewiss wird er auch bald sein zweites Opfer mit Gewalt hierher bringen.«

Der Vater nahm den Sohn und beide gingen in den Götzentempel. Der Sohn sagte zum Vater: »Väterchen, du weisst doch, dass wir noch als kleine Kinder das Haus verlassen haben; wir kannten die Kraft deines Gottes nicht.«

Der Vater sagte: »So, so, mein Sohn!« verbeugte sich und betete.

Der Sohn sagte: »Väterchen, was für ein wunderbarer Gott dein Gott ist! Als du dich verbeugtest, wurde es mir finster vor den Augen und ich habe nicht bemerkt, wie du es gemacht hast.«

Er sagte: »Väterchen, Väterchen, verbeuge dich noch einmal, ich will sehen, wie du es machst, um es auch zu machen.«

Als sich der Vater das zweite Mal verbeugte, rief der Sohn: »Brot und Wein – der Herr lebt!« ergriff dann die Keule und trieb[93] seinen Vater, den Kalifen, auf sieben Ellen weit in die Erde. Dann nahm er die Keule und zerschlug die Götzenbilder, alle wie sie waren, nahm dann Silber in seinen Rockschoss, brachte es der Mutter und sagte: »Nimm das, Mütterchen, zum Schmucke für dich!«

Die Mutter fiel zu Boden, verbeugte sich vor ihm und sagte: »Ich danke dir, Schöpfer des Himmels und der Erde; es ist gut, dass du mich aus den Händen dieses grausamen Menschen erlöst hast!«

Sie verheiratete Sanassar und setzte ihn anstatt des Vaters auf den Thron. Dieser bleibt hier.17

Wir kehren zu Abamelik zurück.

15

Im armenischen Texte heisst es wörtlich: »Mag ich für dich sterben, grosser Gott!«

16

Abamelik.

17

Hier bricht die Erzählung von Sanassar ab. In dem weiteren Teile der Erzählung wird seiner nicht mehr erwähnt.

Quelle:
Chalatianz, Grikor: Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1887, S. 92-94.
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