IX.

[128] Es versammelten sich die Brüder Davids und kamen zu Chandud-Chanum. Sie befühlten ihre Brust und es kam Milch heraus; gewiss hatte sie ein Kind gehabt. Und sie ratschlagten mit einander und sagten: »Wenn sie ein Kind geboren hat, so muss es dort in Kachiswan sein.«

Sie zogen nach Kachiswan46 und sagten zu dem dortigen Statthalter: »Von unserem Bruder und unserer Schwägerin lebt hier ein Kind, wo ist es?«

Jener sagte: »Es ist nichts da!«

Sie sagten: »Wir haben ein Zeichen; in der Brust unserer Schwägerin war Milch.«[128]

Jener sagte: »Sie hatte eine Tochter, aber die ist gestorben.«

Sie sagten: »Wir haben auch für die Verstorbenen unser Kennzeichen; das Grab unseres einjährigen Toten ist einen Schritt lang, das des zweijährigen zwei Schritte u.s.w.«

Sie gingen auf den Friedhof, aber sie fanden nicht ein einziges Grab nach ihrem Schritte.

Zönow-Owan sagte: »Wickelt mich in Felle, ich will schreien!«

Für Mcher gruben sie einen Keller unter der Erde, sperrten ihn hinein und stellten eine Wache hin.

Sie wickelten Zönow-Owan in Felle und er schrie; Mcher erkannte seine Stimme und wollte heraus, aber die Grossmutter sagte zu ihm: »Das ist nicht die Stimme deiner Verwandten, das ist Kinderlärm und Trommelwirbel.«

Als Mcher zum dritten Male diese Stimme hörte, schlug er die Thür ein und ging hinaus. Eine Thür zerschlug die andere; vom Schlage seines Fusses prallte die erste Thür an die zweite, die zweite an die dritte und so zerschlug er alle sieben Thüren und ging hinaus.

Er sieht, dort sind seine Oheime, aber der Vater ist nicht da. Er fragte seine Oheime.[129] Diese sagten ihm, die Chlater hätten seinen Vater erschlagen. Er fing an zu weinen und fiel mit dem Gesicht zu Boden. Als er zu Boden fiel, stürzten die Oheime herbei, aber so sehr sie sich auch bemühten, konnten sie ihn nicht umdrehen.

Die Thränen Mchers durchfurchten die Erde und flossen wie ein Bach. Nach drei Tagen drehte sich Mcher um. Er sprang sofort auf das Pferd seines Vaters, ritt nach Chlat und drehte die Stadt um. Noch bis jetzt zerstört er sie ...

Und er ging auf den Gipfel Nemrut47. Er sieht, es raucht etwas und der Rauch wird immer stärker. Er sieht, nur eine Greisin ist am Leben geblieben. Er ergriff sie, bog zwei Bäume um, band ihre Füsse an die Bäume und liess sie los. So tötete er sie. Seitdem raucht es in Chlat nicht mehr.

Von dort erlaubte er den Oheimen in ihre Wohnorte zurückzukehren und er selbst ritt nach Tosp.48

Man sagt, er sei auch jetzt noch dort,[130] und jetzt zeigt man noch sein Pferd und bis jetzt fliesst der Harn seines Pferdes noch aus dem Felsen.

46

Das Städtchen Kagisman, unweit Kars.

47

Ein hoher Berg unweit Chlat, nordwestlich vom See von Wan. Über diesen Berg existieren viele interessante Sagen. Hier soll z.B. Haik, der Stammvater der Armenier Nemrod begraben haben. Daher der Name.

48

Name eines Gebietes, dessen Hauptstadt Wan ist.

Quelle:
Chalatianz, Grikor: Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1887, S. 128-132.
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