Das Zauberschloss.

[210] Vor grauen Zeiten, da hatte ein Padischah einen Sohn. Eines Tages wollte die Mutter dieses Jünglings ihn verheiraten und ging deshalb auf die Brautschau. Nach langem Suchen fand sie endlich ein Mädchen, das einwilligte, worauf sie Hochzeit hielten. Am Hochzeitsabend begann der Sohn des Padischah, nachdem er Abdest nahm, den Kôran zu lesen und sagte dem Mädchen, sie möge sich nur zur Ruhe begeben. Das Mädchen legte sich nieder und als es eingeschlafen war, nahm der Jüngling ein Schloss aus seiner Tasche hervor.

Dieses Schloss erhielt er noch als Kind von seinem Lala und es besass die Eigenschaft, dass jeder Schlafende, so man das Schloss auf ihn legte, alle seine Sünden, die er je begangen, hersagte. Der Jüngling nahm nun das Schloss und legte es an den Nacken des schlafenden Mädchens. Darauf hub das schlafende Mädchen an: »Ich habe jenen gewissen Bej so und so lange geliebt, so und so lange tändelten wir mit einander« und noch mehr dergleichen sprach sie. Hierauf jagte der junge Mann das Mädchen aus dem Zimmer und verstiess sie. Seine Mutter wollte ihm ein anderes Mädchen suchen, allein der Jüngling ging darauf nicht ein.

Einst ging er mit seinem Lala spazieren. Als sie an einem[211] Orte ausruhten, erblickten sie ein armes Mädchen. Dem Jüngling gefiel das Mädchen überaus und sofort sprach er zum Lala, dass er dieses Mädchen zur Frau nehmen wolle. Sogleich nahmen sie das Mädchen mit sich in die Stadt und ohne Wissen der Mutter des Schehzade, liessen sie einen Konak bauen, unterbrachten dort das Mädchen und unterwiesen es, wie es sich zu benehmen habe, wenn seine Mutter zu ihr auf Brautschau kommt. Dann ging der Jüngling zu seiner Mutter und sprach zu ihr: »Dort und dort habe ich ein Mädchen gesehen, gehe hin und wenn du es liebgewinnst, so halte um ihre Hand an.«

Die Mutter ging in den Konak, wo sie freundlich aufgenommen wurde und das Mädchen gefiel ihr. Sie eilte dann in das Seraj zurück und sagte ihrem Sohne, dass sie das Mädchen liebgewonnen und dass ihre Familie reich zu sein scheint. Hierauf hielt der Jüngling um ihre Hand an. Einige Male weigerte man sich, als ob sie das Mädchen nicht hergeben wollten, schliesslich willigten sie aber doch ein. Es wurde Hochzeit gemacht und am Hochzeitsabend, als das Mädchen eingeschlafen war, legte der Jüngling das Schloss auf sie, allein das Mädchen sagte gar nichts und so wusste er, dass sie sündenfrei ist.

Das junge Paar lebte glücklich, bis eines Tages ein Krieg ausbrach. Es verbreitete sich der Glaube, dass der Krieg insolange nicht zu Ende gehen wird, bis der Sohn des Padischah nicht daran teilnehmen werde. Der Padischah schickte daher seinen Sohn in den Krieg. Als der Schehzade in's Feld zog, öffnete die Sultana das Fenster um ihren Mann mit ihren Blicken zu begleiten. Da geschah es, dass der Sohn des Peri-Padischah sie beim Fenster zufällig erblickte, und sich sofort in sie verliebte. Er rief eine einheimische alte Frau herbei, übergab ihr mit Diamanten besetzten Holzschuhe, einen Gürtel, einen Kopfschmuck und schickte diese[212] Sachen der Frau des Schehzade zum Geschenke. Unter dem Vorwande, dass sie die Amme der Sultana sei, konnte die alte Frau in den Palast gelangen, wo sie sich zur Sultana hineindrängte und ihr von der Liebe des Peri meldete. Die junge Frau wollte davon nichts hören. Als aber die Alte sagte, dass sie sie, wenn sie dem Peri nicht Gehör schenkt, so verhexen werde, dass sie weder Hände noch Füsse wird rühren können, erschrak die Sultana und sprach: »Ich gehe nur dann zum Stelldichein mit ihm, wenn er während ich diese Holzschuhe vergrabe, mir den Garten mit Diamanten und Edelsteinen belegen lässt und sämmtliche Bäume damit schmücket.« Die alte Frau hinterbrachte diese Botschaft dem Peri, worauf dieser im Nu die Sache zur Ausführung bringt. Dann ging die Alte und führte den Jüngling zur Sultana.

Zu zweien gingen sie in den Garten hinab und wie sie so dort spazieren gingen, zeigte sie dem Jüngling einen hohen Stein und bat ihn auf den Stein zu steigen und von dort auf das Wasserbecken herunter zu schauen, um zu sehen, wie es glänzet. Es war dies nur eine List von der Frau, mit der sie ihm beikommen wollte. Der Jüngling stellte sich auf den Stein und als er herabschaute, stiess sie ihn mit einem Wurf hinab, so dass er hinunter kollerte. Sie warf dann noch einige grosse Steine auf ihn und erschlug ihn.

Nach einiger Zeit kehrte der Padischah-Sohn vom Kriege zurück. In der ersten Nacht nahm er, als seine Frau eingeschlafen war, das Schloss hervor und legte es ihr an den Hals, worauf sie also zu sprechen begann: »Der Sohn des Peri-Padischah verliebte sich in mich.« Der Schehzade liess sie gar nicht weiter reden, sonder weckte sie sofort aus dem Schlafe und jagt sie aus dem Zimmer hinaus. Die Frau zog hierauf Männerkleider an und ging in den Garten hinab.

Als am andern Tage auch der Königssohn im Garten spazieren[213] ging, erblickte er die mit Schmuck behangenen Bäume. Darüber wunderte sich der Königssohn und als er seine Hand nach einem Edelsteine ausstreckte, schrie ihn seine als Mann verkleidete Frau so an, dass er vor Schrecken fast erstarrte. Nun trat seine Frau auf ihn zu und erzählt die Sache zu Ende, wie sich dieselbe in Wirklichkeit zugetragen. Der Königssohn bereute seine Tat vom Herzen, nahm seine Frau wieder zu sich und sie lebten bis zu ihrem Tode in glücklicher Ehe mit einander.

Quelle:
Kúnos, Ignaz: Türkische Volksmärchen aus Stambul. Leiden: E.J.Brill, (1905), S. 210-214.
Lizenz:
Kategorien: