Der Windteufel.

[124] Märchen, Märchen, Märchelein, zwei Katzen machten einen Sprung, die Kröte flog auf Flügeln hin, Tante-Floh fiel zu Boden, die Felsen stürzten auf sie hin. Der Hahn war Imam, Rasierer war die Kuh, es beteten die Gänschen, meine Mutter weinte in ihrer Wiege, als sie mein Vater schaukelte; dies alles war zu der Zeit, als ein Padischah alt war.

Der alte Padischah hatte drei Söhne und drei Töchter. Eines Tages erkrankte der Alte und wie viel Hodscha, Ärzte, man auch immer herbeiholte, sein Zustand verbesserte sich doch nicht. »Ich bin nun dem Tode verfallen,« dachte er bei sich, liess seine Söhne zu sich rufen und sprach zu ihnen also: »Wenn ich gestorben bin, so werde der von euch Padischah, der drei Nächte lang an meinem Grabe die Wacht hält; meine Töchter aber gebet denen zu Frauen, die sie zuerst verlangen.« Er starb und wurde geziemend begraben.

Damit das Reich nun nicht ohne Padischah bleibe, so ging denn der älteste Sohn zum Grabe seines Vaters, sass auf seinem Teppich und betete bis Mitternacht, den Anbruch des Morgens erwartend. Aber plötzlich entstand im Dunkeln ein so grosser Lärm, dass der Jüngling erschrak, sich auf die Beine machte und bis zu seiner Wohnung nicht stehen blieb. Die nächste Nacht ging der mittlere Sohn zum Grabe,[125] sass dort bis Mitternacht, als sich aber der grosse Lärm erhob, nahm er seine Beine in die Hände und lief davon. Nun kam der Jüngste an die Reihe.

Er nahm seinen Handschar hervor, steckte denselben in seinen Gürtel und ging in den Friedhof. Um Mitternacht hörte er den grossen Lärm, wobei Himmel und Erde erzitterte. Der Jüngling schritt nun in der Richtung vorwärts, woher der Lärm kam und als er dort anlangte, stand ein grosser Drache vor ihm. Er nahm seinen Handschar hervor und stach ihn in den Drachen, so dass derselbe kaum noch Kraft hatte, zu sagen: »Wenn du der rechte Mann bist, so stich noch einmal.«

»Ich nicht,« versetzte der Prinz, »meine Mutter hat mich auch nur einmal zur Welt gebracht.« Der Drache verendete. Der Prinz wollte ihm nun die Ohren und die Nase abschneiden, aber im Dunkeln sah er nicht und als er herumtappte, erblickte er in der Ferne ein Licht. Er ging der Richtung nach, gelangte in die Nähe des Lichtes, wo er an einer Ecke einen Greis erblickte. Dieser hatte zwei Knäule in der Hand, ein weisses und ein schwarzes; das schwarze wickelte er auf, das weisse liess er in die Welt rollen.

»Was machst du da, Väterchen?« fragte ihn der Prinz. »Ja, mein Sohn, dies ist mein Geschäft, ich sammle die Nacht und lasse den Tag hinausrollen.«

Der Prinz sprach: »Väterchen, mein Geschäft ist noch schwerer, als das deine.« Hierauf fesselte er den Alten, damit er den Tag noch nicht loslassen könne und schritt dann vorwärts um irgendwo ein Licht zu finden. Er gelangte vor eine Burg, wo sich vierzig Männer beratschlagten.

»Was habt ihr vor?« fragte sie der Prinz. »Wir möchten in die Burg hineingelangen, um sie auszurauben,« antworteten die vierzig, »aber wir wissen nicht, auf welche Weise wir dies ausführen sollen.«[126]

»Ich werde euch hinein helfen,« sagte der Prinz, »wenn ihr mir Licht gebt.« Die Räuber versprachen es ihm bereitwillig. Er nahm nun Nägel hervor, schlug sie in die Mauer der Burg bis hoch zum Dach hinauf, kroch an ihnen empor und rief nun herab: »Also kommt jetzt einzeln herauf, so wie ich heraufgekommen bin.« Sie kletterten hinauf. Aber der Jüngling schlug jedem, so wie er oben anlangte, das Haupt ab, warf ihre Körper in die Burg hinein und vernichtete auf diese Weise alle vierzig Räuber.

Dann stieg er in die Burg hinab, wo im Hofe ein schöner Palast stand, dessen Tor er öffnete und eine Schlange erblickte, die auf eine Säule neben der Stiege hinaufkroch. Er durchbohrte sie mit seinem Handschar, vergass dabei sein Schwert aus der Schlange herauszuziehen und liess es zurück. Er stieg die Treppe hinan, trat in ein Gemach, wo eine schöne Jungfrau schlief. Er machte die Türe zu und trat in ein anderes Gemach, wo er im Bette eine noch schönere Jungfrau erblickte. Auch diese Türe zog er zu, ging in ein anderes Gemach, das überall mit Metallen bedeckt war und wo eine solch schöne Maid schlief, dass er sich mit tausend Seelen in sie verliebte.

Nun machte er auch diese Türe zu, kroch auf die Burg hinauf und zog immer abwärts steigend die Nägel heraus. Er ging zum Greise, den er gefesselt hatte. »O mein Sohn,« rief dieser ihm von weitem zu, »wo warst du so lange! Die Rippen schmerzen schon den Menschen vom langen Liegen.« Der Jüngling löste ihm die Fesseln, der Alte liess nun das weisse Knäul weiter rollen; der Jüngling ging aber zum Drachen zurück, dem er die Ohren und die Nase abschnitt und in seine Tasche steckte. Er kehrte nun heim in den Palast, wo man inzwischen den ältesten Sohn zum Padischah gemacht hatte. Er liess es bewenden und sprach nichts darüber.[127]

Einige Zeit herum kam ein Löwe in den Palast und trat vor den Padischah hir. »Was willst du?« fragte ihn der Padischah. »Deine älteste Schwester will ich freien,« versetzte der Löwe. »Einem Tiere gebe ich sie nicht hin,« sagte der Padischah und beinahe hätte man den Löwen fortgetrieben, wenn der Prinz nicht gesagt hätte: »Unser Vater hat es uns aufgetragen, dass wir sie dem geben sollen, der sie zuerst verlangt.« Er nahm die Maid an der Hand und übergab sie dem Löwen, der sie mit sich nahm.

Am nächsten Tage kam ein Tiger und verlangte vom Padischah die mittlere Maid. Die beiden älteren Brüder wollten sie ihm nicht geben, aber der Jüngste forderte sie wieder auf, so zu handeln, wie es ihr Vater gewünscht habe. Er gab die Maid dem Tiger hin.

Am dritten Tage flog ein Vogel in den Palast und verlangte die jüngste Sultanstochter. Der Padischah und sein Bruder wollten nicht einwilligen, aber der Jüngste setzte es doch durch, dass der Vogel mit der Maid davonflog. Dieser Vogel war der Padischah der Peri's, der smaragdene Anka. Aber sehen wir nun, was indessen in der Burg geschah.

In jener Burg wohnte auch ein Padischah, der ebenfalls drei Töchter hatte. Als er in der Frühe hinaustrat, sah er, dass Jemand im Palaste gewesen sei; er ging in den Hof, erblickte beim Treppenaufgang die entzwei gehauene Schlange und den Handschar, und als er nun weiter ging und herumblickte, sah er auch die vierzig Leichen. »Das konnte kein Feind, sondern nur ein guter Mensch tun,« dachte er sich, »der hat uns von den Räubern und der Schlange befreit.« Der Handschar gehört dem guten Freunde, aber wo ist er! also beratschlagt er sich mit seinem Lala.

»Das können wir nur so erfahren,« sagte der Vesir, »wenn wir ein grosses Bad bereiten lassen und Jedermann dazu einladen, damit er sich umsonst bade. Jeden einzelnen[128] Menschen beobachten wir scharf und bei dem sich die Scheide des Handschar befindet, der ist unser Befreier gewesen.« Der Padischah tat auch also, liess das Bad bereiten und jedermann eilte herbei um zu baden.

Eines Tages sagte der Lala: »Jeder war schon hier im Bade, nur die drei Prinzen sind noch zurück. Der Padischah liess nun die drei Prinzen benachrichtigen; sie kamen denn auch in's Bad und als man ihren Anzug betrachtete, fand man beim Jüngsten die Scheide des Handschar«. Sogleich liess der Padischah den Prinzen zu sich rufen und sprach zu ihm: »Du hast mir eine grosse Wohltat erwiesen, wünsche dir dafür, was du willst.« »Ich wünsche von dir nichts anderes,« versetzte der Prinz, »als deine jüngste Tochter.«

»Wehe, mein Sohn, hättest du dir nur die nicht gewünscht,« seufzte der Padischah, »meine Krone, mein Reich gebe ich dir, nur begehre nicht dieses Mädchen!« »Wenn du mir dieses Mädchen gibst, so nehme ich sie,« sagte der Prinz, »anderes brauche ich nicht!«

»Mein Sohn,« flehte der Padischah, »ich gebe dir meine älteste Tochter, ich gebe dir die mittlere, ich gebe dir beide. Der Feind meiner jüngsten Tochter aber ist der Windteufel, denn ich habe sie ihm nicht gegeben und muss sie nun im metallenen Gemache bewachen, damit diese Dew-Brut nicht in ihre Nähe gelange. Denn dieser Windteufel ist ein solches Ungeheuer, dass ihm weder eine Kanone schaden, noch ihn ein Auge bewachen kann; dem Winde gleich fliegt er einher und als Wind erscheint er.«

Vergebens bat der Padischah, er möge sich die Maid aus dem Kopfe schlagen und sich nicht selbst auch in Gefahr stürzen, der Prinz hörte nicht auf sein Wort. Er bat ihn so lange vergeblich, bis er endlich der Sache überdrüssig ward, ihm die Maid gab und die Hochzeit feiern liess. Die beiden[129] Brüder bekamen die beiden anderen Jungfrauen und kehrten in ihr Reich zurück, während der Jüngste dort blieb, damit er seine Gattin vor dem Dew schütze.

Die Zeit verging und der Prinz lebte mit seiner schönen Frau glücklich seine Tage. Eines Tages sprach er zur Gattin: »Herrin, bis lang habe ich mich von deiner Seite nicht gerührt; ich möchte nun auf die Jagd gehen, wenigstens eine Stunde lang!«

»Wehe, mein König,« versetzte seine Gattin, »wenn du von mir gehst, so weiss ich, dass du mich nimmer wiedersehen wirst.« Aber er bat und versprach, dass er bald heimkehren wolle und die Gattin willigte denn ein. Er nahm nun seine Waffen und ging in den Wald.

Der Windteufel wartete eben auf diese Gelegenheit. Er fürchtete sich vor dem berühmten Prinzen und getraute sich nicht sie von seiner Seite zu rauben, aber als dieser seinen Fuss aus dem Palaste setzte, so erschien er dem Winde gleich und verschwand mit der Frau.

Es verging nicht lange Zeit, so kehrte der Prinz heim und fand seine Gattin nicht vor. Er lief zum Padischah, von dort wieder zurück, aber der Dew hatte die Frau geraubt und nirgends war sie zu finden. Er weinte und klagte bitterlich, warf sich zu Boden, sprang wieder empor, bestieg sein Ross und – entweder die Gattin, oder den Tod, er reitet in die weite Welt hinaus.

Tage lang, Wochen lang schweifte er ruhelos, denn ihn trieb sein Leid immer nur vorwärts. Da erblickte er einen Palast, aber nur so verschwommen, denn er konnte ihn nicht einmal genau betrachten. Es war dies der Palast seiner ältesten Schwester. Die Maid blickte gerade zum Fenster hinaus und sie verwunderte sich, dass sich ein Mensch hieher verirrt habe, wo weder ein Vogel fliegt, noch eine Karawane vorbeizieht. Sie erkannte nun ihren Bruder. So gross war[130] die Freude beider, dass sie vor Küssen und Umarmungen gar nicht zu Wort kommen konnten.

Abends sagte die Maid dem Prinzen: »Bald kommt der Löwe; wie gut immer er mich auch behandelt, so ist er doch nur ein Tier und könnte dir vielleicht ein Leid zufügen.« Sie verbarg nun ihren Bruder.

Abends kam der Löwe heim und als sie nun beisammen sassen und plauderten, fragte ihn die Maid, was er machen würde, wenn einer ihrer Brüder herkäme. »Wenn der älteste käme, so würde ich ihn mit einem Schlage töten; wenn dein mittlerer käme, so würde ich ihn auch töten; aber wenn der jüngste käme, so würde ich ihn auf meinen Armen in Schlaf lullen.«

»Nun also dieser ist gekommen,« versetzte seine Frau. »Wo ist er, bring ihn her geschwind, damit ich ihn sehe,« schrie der Löwe und als nun der Prinz hervortrat, wusste der Löwe vor Freude nicht, was er anfangen solle. Er fragte ihn, woher er komme, wohin er gehe. Der Jüngling erzählte nun, was ihm geschehen sei und dass er den Windteufel aufsuchen wolle.

»Ich kenne ihn nur dem Namen nach,« sagte der Löwe, »aber besser ist es, wenn du dir mit ihm nichts zu schaffen machst, denn du erreichst dadurch doch nichts.« Aber der Prinz hatte keine Ruhe, blieb noch die Nacht dort; am nächsten Morgen aber stieg er wieder zu Ross. Der Löwe begleitete ihn, zeigte ihm den rechten Weg und dann ging der eine rechts, der andere links.

Der Prinz schritt nun fürbass weiter und erblickte bald einen anderen Palast, der seiner mittleren Schwester gehörte. Die Maid erblickte den Menschen und kaum dass sie in ihm den Bruder erkannte, so lief sie ihm entgegen und führte ihn in den Palast. In freudigem Gespräch verbringen sie die Zeit und gegen Abend sagt die Maid dem Prinzen: »Bald wird[131] mein Tiger-Gemahl hier sein; ich verberge dich, damit dir kein Leid zustosse.« Und sie verbarg ihren Bruder.

Abends kam der Tiger heim und seine Frau fragte ihn, was er beginnen würde, wenn einer ihrer Brüder zufällig herkäme.

»Die beiden älteren würde ich töten,« sagte der Tiger, »aber wenn der jüngste käme, so würde ich ihn auf meinen Knien einschläfern.« Die Maid brachte nun den Prinzen hervor. Der Tiger hatte darüber grosse Freude und fragte ihn, woher er komme und wohin er gehe? Der Jüngling erzählte nun auch ihm sein Leid und fragte ihn, ob er den Windteufel kenne? »Dem Namen nach,« versetzte der Tiger. Auch er suchte den Jüngling vom gefährlichen Vorhaben abzureden, aber kaum dämmerte der Tag, so machte sich der Prinz schon auf den Weg. Der Tiger zeigte ihm den Weg und dann trennten sie sich.

Durch eine Wüste zog er hin und erblickte in der Ferne etwas dunkles. Was kann das wohl sein, dachte er sich, und als er näher kam, bemerkte er einen Palast. Dieser gehörte seiner jüngsten Schwester. Die Maid blickte gerade zum Fenster hinaus und »O, mein Bruder!« schrie sie freudig, so dass sie beinahe zum Fenster hinausstürzte. Das ganze Haus lärmten die erfreuten Geschwister auf. Der Jüngling freute sich, dass er seine drei Schwestern gesehen hatte, aber wegen seiner Frau war er voll Unruhe.

Damit wir die Sache nicht in die Länge ziehen, kurz, bevor es Abend wurde, sprach die Maid zu ihrem Bruder: »Gleich kommt mein Vogel-Gemahl; ich verberge dich, damit ich sehe, wie er dich empfangen wird!« Sie verbarg also den Jüngling.

Mit lautem Flügelschlag flog der Anka herbei und kaum dass er sich ausruhte, so fragte ihn schon seine Frau, was er machen würde, wenn einer ihrer Brüder ihn besuchte.[132]

»Die beiden älteren,« sprach der Vogel, »würde ich in meinen Schnabel nehmen, mit ihnen bis zum Himmel hinauffliegen und sie von dort herabwerfen; wenn aber der jüngste käme, so möchte ich ihn auf meine Flügel setzen und so einschläfern!« Die Maid rief nun den Prinzen herbei.

»O mein Kindlein,« rief der Vogel, »wie kommst du her, wie konntest du keine Furcht vor diesem Wege haben?«

Der Jüngling erzählte ihm nun sein Leid und bat Anka, er möge ihn zum Windteufel führen.

»Den kann man nicht so leicht antreffen,« sagte der Vogel, »wenn du ihn aber auch antriffst, so erreichst du damit gar wenig und es ist besser, wenn du die Sache aufgibst und hier bei uns bleibst.«

»Nein,« sagte der entschlossene Prinz, »entweder befreie ich meine Frau, oder ich gehe zu Grunde.« Als nun der Anka sah, dass er ihn von seiner Absicht nicht abbringen könne, so schilderte er ihm den Palast des Windteufels. »Jetzt gerade schläft er,« sprach der Anka, »und du kannst dir deine Frau abholen, aber wenn er erwacht und dich erblickt, so bringt er dich um. Du kannst ihn nicht einmal wahrnehmen, denn kein Auge erblickt ihn, kein Schwert schadet ihm; gib auf dich Acht!«

Am nächsten Tage machte sich der Jüngling auf den Weg und erblickte bald einen endlos grossen Palast, der weder Türen, noch Rauchfänge hatte. Dies war der Palast des Windteufels. Seine Gattin sass gerade beim Fenster und als sie ihn erblickte: »Wehe, mein Sultan,« sprang sie zu ihm herab. Der Prinz umarmte sie und ihre Freude und ihr Weinen nahm kein Ende; kaum dass der Frau der gräuliche Dew einfiel. »Er schläft erst seit drei Tagen«, sagte sie endlich, »eilen wir von dannen, bevor sein vierzigtägiger Schlaf abgelaufen ist.« Sie setzten sich also auf's Ross, eilten rasch von dannen, aber sie waren noch am Wege, als am vierzigsten Tage der[133] Windteufel er wachte. Er ging zur Türe der Maid, bat, sie möge die Türe öffnen, damit er wenigstens ihr Anlitz einen Augenblick lang sehe. Dann begann er zu jammern, doch auch jetzt bekam er keine Antwort. Schlechtes ahnend sprengte er die Türe und fand die Maid nicht vor.

»So, Prinz Mehmed, du bist hergekommen und hast mir die Sultanstochter geraubt! na, warte nur! geht nur, eilet nur, ich werde euch schon einholen!« Hierauf setzte er sich ruhig nieder, trank seinen Kaffee, rauchte seine Pfeife aus, dann erhob er sich und eilte ihnen nach.

Der Prinz eilte mit der Sultanstochter rastlos weiter, aber da fühlte die Frau den Wind des Dew und schrie auf: »Wehe, mein König! der Windteufel ist hier!« Wie der Sturm überfiel sie das unsichtbare Ungeheuer, ergriff den Jüngling, zerbricht ihm die Arme und Beine, zertrümmert sein Haupt, seine Gebeine; nicht ein Glied blieb ihm ganz.

Die Maid begann bitterlich zu flehen: »Wenn du ihn nun getötet hast, so erlaube mir wenigstens, dass ich seine Knochen aufklaube und ihn in einen Sack lege. Vielleicht wird sich jemand finden, der ihn beerdigt.« Der Dew hatte nichts dagegen einzuwenden. Die Maid legte nun die Knochen des Prinzen in einen Sack, küsste sein Ross auf's Auge, band den Sack auf seinen Rücken und flüsterte ihm in's Ohr: »Trag, mein Ross, diese Knochen an den richtigen Ort!« Der Dew führte die Maid hierauf in seinen Palast zurück, aber die Macht ihrer Schönheit war so gross, dass sie dadurch den Teufel gleichsam zu ihrem Gefangenen machte. Sie liess das Ungeheuer nicht einmal in ihre Nähe kommen, nur vor der Türe ihres Gemaches durfte es sich zeigen.

Inzwischen trug das Ross des Jünglings Gebeine fort, blieb damit vor dem Palaste der jüngsten Schwester stehen und wieherte so laut, dass es die Maid hörte. Sie eilte zum Ross herab und als sie den Sack erblickte und darin die Gebeine[134] ihres Bruders, begann sie so bitterlich zu weinen, warf sich so heftig zu Boden, als ob man ihre Knochen zerschmettert hätte. Sie konnte kaum die Ankunft ihres Gatten, des Anka erwarten.

Mit lautem Flügelschlag kam endlich der Vogel-Padischah, der smaragdene Anka, heim und als er die zerschmetterten Knochen des Prinzen erblickte, rief er alte seine Untertanen, alle Vögel der Welt, zusammen. »Wer war von euch im Garten des Paradises?« frug er die Vögel. »Ein alter Uhu, der war einmal dort,« sagten die Vögel, »aber der ist jetzt so alt, dass er sich nicht mehr rühren kann.«

Der Anka sandte einen Vogel, damit dieser den Uhu auf dem Rücken herbringe. Der Vogel flog fort und kehrte mit dem Uhu auf dem Rücken zurück.

»He, Väterchen,« fragte ihn der Padischah, »warst du jemals im Garten des Paradises!«

»Ja, mein Söhnchen,« hüstelte der alte Vogel, »vor langer, langer Zeit, als ich kaum zwölf Jahre alt war, damals war ich dort, seither aber nicht.«

»Nun, wenn du einmal dort gewesen bist,« sprach der Anka, »so gehe nun zum zweiten Mal hin und bring mir von dort ein Fläschchen voll Wasser.« Vergeblich sträubte sich dagegen der Uhu und erklärte, dass ihm der Weg dahin gar weit sei, dass er dazu keine Kraft habe. Der Padischah liess ihn auf den Rücken eines Vogels setzen und so in den Garten des Paradieses fliehen, woher er dann ein Fläschchen Wasser brachte und dann in sein Nest heimkehrte.

Der Anka nahm nun die Gebeine des Jünglings hervor und nachdem er sie alle an die richtige Stelle gelegt und zusammengefügt hatte, besprengte er sie mit dem Wasser, worauf der Jüngling zu gähnen begann, als ob er nur geschlafen hätte. Er blickte herum und fragte den Anka, wo er eigentlich sich befinde und wo seine Frau sei?[135]

»Habe ich es dir nicht gesagt,« sprach der Anka, »dass dich der Windteufel ergreifen wird! Er hat deine Knochen zerschmettert, die wir in einem Sack gefunden haben. Jetzt aber gib die Sache auf, denn wenn er dich noch einmal erwischt, so wird er deine Knochen nicht in dem Sack liegen lassen.«

Aber der Jüngling wollte nicht von seiner Absicht lassen, sondern machte sich zum zweiten Mal auf den Weg zu seiner Frau.

»Wenn du um jeden Preis hingehen willst,« so gehe zuerst zu deiner Frau und sage ihr, sie möge erforschen, was der Talisman des Dew sei. »Wenn du dann diesen erlangen kannst, so fällt auch der Windteufel deiner Macht anheim.«

Der Prinz bestieg also wieder sein Ross, eilte zum Palaste des Teufels hin und da der Dew eben schlief, so konnte er mit seiner Gattin sprechen. In grosser Freude versprach die Frau, dass sie den Talisman des Dew erforschen wolle, wenn anders nicht, so durch Schmeicheleien. Der Prinz verbarg sich auf einem nahen Berge und wartete dort auf gute Nachricht.

Als nach vierzig Tagen der Windteufel aus dem Schlafe erwachte, ging er zur Türe der Maid hin: »Geh' mir aus den Augen!« rief ihm die Maid zu, »vierzig Tage lang schläfst du, damit ich vor Langeweile meines Lebens überdrüssig werde!«

Der Dew freute sich, dass sie ihn eines Wortes würdigte, und fragte sie hocherfreut, was er ihr geben solle, womit sie sich die Langeweile vertreiben könne. »Was könntest du mir geben,« sagte die Maid, »du selbst bist ja lauter Wind. Du hast vielleicht nicht einmal einen Talisman, mit dem ich mich unterhalten könnte.«

»O, meine Herrin,« sprach der Dew, »in fernem Lande ist mein Talisman und gar schwer kann man bis hin kommen.[136] Wenn es noch einen so kühnen Mann gebe, wie es dein Mehmed gewesen, so könnte derselbe vielleicht dahin gelangen.«

Die Maid war nun auf den Talisman neugierig und schmeichelte dem Dew so lange, bis dieser sein Geheimnis verriet. Nur das eine bat er von der Maid, dass sie ihn wenigstens neben sich sitzen lasse. Die Maid gönnte ihm diese Glückseligkeit und vernahm so die Geschichte vom Talisman des Windteufels.

»Auf der Oberfläche der siebenten Meeresschichte,« begann der Dew zu erzählen, »ist eine grosse Insel; auf dieser Insel grast ein Ochs; im Bauche dieses Ochsen befindet sich ein goldener Käfig; im Käfig sitzt eine weisse Taube. Diese kleine Taube ist mein Talisman.«

»Aber wie kann man auf diese Insel gelangen?« fragte die Sultanstochter.

»Auf folgende Weise,« sagte der Dew. »Dem Palaste des smaragdenen Anka gegenüber ist ein grosser Berg; auf der Spitze dieses Berges befindet sich eine Quelle. Aus dieser Quelle trinken jeden Morgen die vierzig Meerrosse. Wenn sich nun jemand findet, der den einen Fuss eines dieser Rosse, während es trinkt, beschlagen, es satteln und besteigen kann, so kann er dahin gelangen, wohin er will. ›Was befiehlst du, mein Herr?‹ fragt ihn dann das Meerzauberpferd und trägt ihn dahin, wohin er will!«

»Was nützt mir dieser Talisman,« sprach die Maid, »wenn ich nicht einmal in seine Nähe gelangen kann!« Nun jagte sie den Dew aus ihrem Gemache hinaus und als seine Schlafzeit ankam, eilte sie mit der Nachricht zu ihrem Gatten. Der Prinz stieg nun rasch zu Rosse, eilte in den Palast seiner jüngsten Schwester und erzählte die Sache dem Anka.

In der Früh rief der Anka fünf Vögel herbei und sprach zu ihnen: »Tragt den Prinzen zur Quelle jenes Berges und[137] wartet dort, bis die Meerzauberrosse erscheinen. Bald werden zum Wasser ihrer vierzig kommen und während sie trinken, ergreifet eins, beschlägt es, sattelt es und setzt den Prinzen auf dasselbe, bevor es seinen Kopf aus dem Wasser gezogen.«

Die Vögel packten den Prinzen, trugen ihn zur Quelle des Berges und kaum dass die Rosse ankamen, so taten sie mit einem derselben also, wie es ihnen der Anka aufgetragen hatte. Der Prinz sass nun auf dem Rosse, dessen erstes Wort war: »Was befiehlst du, mein lieber Herr?«

»Auf der Oberfläche der siebenten Meeresschichte ist eine Insel: dahin möchte ich gelangen,« sprach der Prinz.

Mit einem »Schliess die Augen!« flog der Prinz dahin, mit einem »Öffne die Augen!« befand er sich auf dem Ufer der Insel.

Er stieg vom Rosse, dessen Zaum er in die Tasche steckte und ging den Ochsen zu suchen. Während er auf der Insel herumging, begegnete er einem Juden, der ihn frug, auf welche Weise er hergelangt sei?

»Ich habe Schiffbruch gelitten,« sagte der Jüngling, »mein Schiff ist untergegangen; ich selbst konnte nur mit Mühe her schwimmen.«

»Ich,« sprach der Jude, »stehe im Dienste des Windteufels, der hier auf der Insel einen Ochsen hat, den ich Tag und Nacht bewache. Möchtest du nicht mein Diener werden? du hast täglich nur diesen Trog mit Wasser zu füllen.«

Der Prinz benützte die Gelegenheit und konnte kaum erwarten, dass er einmal den Ochsen erblicke. Der Jude führte ihn hin und kaum war er allein mit dem Tiere, so schlitzte er ihm den Bauch auf, nahm den goldenen Käfig heraus und eilte an's Meeresufer. Er nahm dort aus seiner Tasche den Zaum hervor, schlug damit die Wogen, das Ross erschien und frug: »Was befiehlst du, mein lieber Herr?« Er wünschte sich vor den Palast des Windteufels.[138]

»Schliess' die Augen! – öffne die Augen!« und sie befanden sich vor dem Palaste. Der Prinz hob seine Gemahlin zu sich auf's Ross hinauf und: »Was befiehlst du, lieber Herr?« er wünschte sich zum smaragdenen Anka hin.

Das Zauberpferd flog mit ihnen dahin zum Palaste des Anka, als der Dew aus seinem Schlafe erwachte.

Er sah, dass die Maid verschwunden sei, und eilte ihr nach. Die Sultanstochter fühlte schon den Wind des Dew, der sie schon beinahe eingeholt hatte, als das Zauberross ihnen zurief, sie sollen der Taube im Käfig den Kopf abreissen. Sie hatten gerade nur noch so viel Zeit, um dies tun zu können. Der Wind hörte auf, der Teufel verreckte.

Voll Freude kamen sie zum Palaste des Anka, liessen das Zauberross los und blieben dort, um auszurasten. Am folgenden Tage gingen sie zur anderen Schwester, am dritten Tage zur dritten Schwester und nun erfuhr der Prinz, dass sein Löwen-Schwager König der Löwen, sein Tiger-Schwager aber König der Tiger sei.

Schliesslich kamen sie in der Heimat der Maid an. Sie feierten nochmals ihre Hochzeit vierzig Tage und Nächte lang, dann zogen sie in's Reich des Prinzen. Dort zeigte er die Zunge und die Nase des Drachen vor, und weil er den Wunsch seines Vaters erfüllte, so wählte man ihn zum Padischah. In Freude und Seligkeit lebten sie bis an ihr Lebensende.

Quelle:
Kúnos, Ignaz: Türkische Volksmärchen aus Stambul. Leiden: E.J.Brill, (1905), S. 124-139.
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