[92] Steht sehr nahe der »Geschichte der syrischen Geliehen« in 1001 N. (Bresl. Übers.) XI p. 191 ff., dem »Abenteuer einer Vesyrs-Tochter« 1001 T. IV p. 355 ff., der entsprechenden Geschichte bei CARDONNE, Mél. II p. 36 ff., dem albanesischen Märchen »Das Mädchen im Kasten« im ArchfLitg. XII p. 127 ff., der »Erzählung vom Daerebeg« bei LERCH, Forsch. I p. 53 ff. und »Jusif Baschari« bei PRSOC. KurdS. St. VIII. Auf die Verwandtschaft des albanesischen Märchens mit den abendländischen Crescentiasagen wies bereits R. KÖHLER ebend. p. 132 f. hin. Über diese vgl. KÖHLER'S Bemerkung daselbst p. 133 not. und dann besonders MUSSAFIA in den Sitzungsberichten der phil.-histor. Cl. der kaiserl. Akademie d. Wiss. LI (Wien 1866) p. 660 ff. und LIEBRECHT in GGA 1867 p. 1798 ff.
Es war einmal ein junger Mann, der hatte eine Mutter. Sie waren sehr arm und hatten nichts ausser einem Spinnrad für Kattun. Eines Tages sagte seine Mutter: »Mein Sohn! geh nach der Stadt Mossul und verkaufe diesen Spinnrad.« Da nahm er den Spinnrad, brachte ihn nach Mossul und verkaufte ihn. Für das Geld für den Spinnrad kaufte er einige Sachen fürs Haus und einige Stücke Zuckerrohr. Als er nach Hause kam und die Sachen zu Hause niederlegte, griff die Mutter hastig nach ihnen und fand die Zuckerrohre. Da wusste sie gar nicht, wie ihr war, und sprach: »Sohn! was sind das für Dinge? die sind ja so schön!« »Das sind Zuckerrrohre, Mutter«, antwortete der junge Mann. »Wozu sind sie«, fragte sie. »Zum Essen«, erwiderte er. Da ass sie von ihnen, und sie schmeckten ihr. »Wie süss sie doch sind, mein Sohn«, rief sie aus, »warum brachtest du nicht [noch] andere?« »Ich hatte nur soviel (?) Geld«, versetzte er, »und das habe ich ganz ausgegeben.« – »Wo säet man diese, und wo wachsen sie?« »In Baghdad giebt es deren sehr viele«, antwortete der junge Mann, »sie wachsen aber in[93] Bassra und in den dortigen Gegenden.« – »Kannst du mich nach einem Orte bringen, wo ich mich an ihnen umsonst sattessen kann?« – »Gewiss, Mutter, wenn wir nach Bassra gehen, so kannst du umsonst von ihnen essen.« – »Dann wollen wir dorthin gehen«, sagte sie, »damit wir uns umsonst an den Zuckerrohren sattessen können.« »Gut, Mutter«, antwortete er.1
Am folgenden Tage machte er sich auf, nahm seine Mutter mit sich, und sie gingen nach Mossul. (Von) da setzten sie sich in einen Kahn und fuhren nach Baghdad. Daselbst, in Baghdad, blieben sie einige Tage, bis er Arbeit gefunden und sich einiges Geld erworben hatte. Dann setzte er sich in ein Fahrzeug und fuhr nach Bassra; seine Mutter hingegen liess er bei einigen Leuten als Dienerin zurück. Dort ging er in der Stadt auf Arbeit aus.
Die Leute, bei denen seine Mutter war, befahlen ihr und sprachen: »Du kannst ja keine Arbeit verrichten; geh, setze dich vor die Zuckerrohrpflanzung und sei da Wächterin.« Darüber freute sie sich sehr und rief aus: »Ich gehe eine Pflanzung bewachen!« Sie wurde nun hingeschickt und ging zur Pflanzung. Da machte sie sich auch gleich daran, Zuckerrohr zu essen [und ass], bis sie satt war.
Ihr Sohn war inzwischen in der Stadt in Dienst getreten. Eines Tages war er auf den Markt gegangen, da erblickte er einen Mann mit einer Kiste auf dem Kopfe, der rief aus: »Ein jeder, der diese Kiste kauft, wird es bereuen, und ein jeder, der sie nicht kauft, wird es auch bereuen.2 Ihr Preis beträgt zwanzig Tscherchis.« Da sprach der junge Mann zu sich: »Hoffnung! Bei Gott, ich kaufe die Kiste. Mir hat man ja zwanzig Tscherchis gegeben, und ich habe[94] nichts dafür gegeben.«3 Er nahm also die Kiste, zahlte ihren Preis und trug sie nach dem Hause, in dem er logierte.4
Eines Tages sah er einen ihm befreundeten Kaufmann nach Bassra reisen. Da sagte er zu ihm: »Du gehst nach Bassra – ich bitte dich, diese Kiste mitzunehmen und sie den Händen5 meiner Mutter zu übergeben. Sie dient bei dem und dem.« »Schön«, antwortete der Kaufmann, »ich will sie für dich hinbringen.«
Der Kaufmann war ein Jude, und als er die ihm anvertraute Kiste hintransportierte, kam er auf den bösen Gedanken, sie zu öffnen. Er begann auf sie zu schlagen, um sie zu öffnen; es gelang ihm aber nicht, und er wusste auch nicht, wo ihre Thür war. Da wollte er sie zerbrechen. Doch da kam eine Stimme aus der Kiste, die rief: »Kaufmann! was ist dir, warum willst du die Kiste zerbrechen?« Der Kaufmann antwortete: »Öffne, damit ich sehe, wer du bist.« »Lass doch von mir ab«, erwiderte sie, »wenn du mich nicht siehst, ist es besser.« »Das geht nicht«, antwortete der Kaufmann. »Dann gewähre mir einige Zeit Frist«, bat sie. Er wartete ein wenig, und unterdessen nahm sie ein Mittel und strich ihren Körper damit ein, worauf sie schwarz wurde wie die Nacht. Hernach öffnete sie die Kiste. Als der Kaufmann sie dann anblickte, siehe, da war sie ein scheusslich schwarzes Weib. Da rief er ihr zu: »Schliesse die Thüre zu! schnell! ich kann dich nicht ansehen! wie hässlich bist du doch!« Sofort machte sie die Thür zu.
Er fuhr nun nach Bassra. Hier übergab er die Kiste der Mutter des jungen Mannes und sagte, zu ihr: »Nimm diese Kiste, dein Sohn hat sie mir gegeben.« Sie nahm sie, legte sie in ihrer Wächterhütte im Garten nieder [und liess[95] sie da liegen], bis die Nacht anbrach. Dann öffnete die Frau die Kiste, und [da fand sie darin ein Mädchen, das] glänzte wie die Sonne. Sie gerieten gleich in Freude über einander [und freuten sich], bis der folgende Tag(?) anbrach.6
Am folgenden Tage sagte sie zur Mutter des jungen Mannes: »Auf! wir wollen in die Stadt gehen!« Sie machten sich auf, gingen in die Stadt, und sie sagte zur Mutter des jungen Mannes: »Sei du meine Schwiegermutter, und dein Sohn sei mein Mann.« »Schön!« antwortete diese. Dann sagte sie zu ihrer Schwiegermutter: »Geh, kaufe uns ein eingefallenes Haus, damit wir uns da Häuser aufbauen lassen.«7 Da machte sie sich auf, ging hin und kaufte ein eingefallenes Haus mitten in der Stadt, dann zogen sie Arbeiter herbei, die begannen Steine und Gips zu verarbeiten, dann zu bauen, und nur zwei bis drei Monate dauerte es, da waren sie mit dem Baue fertig; dann richteten sie ihn ein.
Doch ihr Mann kam nicht, und sie hatte Häuser wie Königsschlösser errichten lassen. Die Kaufleute hörten nun von der Frau, bekamen Absichten auf sie und besuchten sie. Viele wollten um sie anhalten; aber sie sagte immer: »Ich lasse mich nur unter folgender Bedingung mit euch ein: Ich habe einen Papagei; wer ihn mit Geld bedecken kann, dem will ich gehören.« Da brachten sie viel Geld und legten es auf den Papagei, konnten ihn aber nicht bedecken, weil er sich immer erhob und dann über dem Gelde umherflog.[96] So konnten sie nicht zu der Frau gelangen. Schliesslich kam der jüdische Kaufmann und bemühte sich sehr bei ihr, sie zu bekommen; es gelang ihm aber nicht. Da sagte sie zu ihm: »Auch dir will ich eine Bedingung stellen. Ich werde meinen Papagei auf die Erde stellen; wenn du ihn mit Geld bedecken kannst, dann gehöre ich dir; kannst du es aber nicht, so gehört alles Geld, das du bringst, mir.« Der Jude war damit einverstanden und brachte viel Geld; er konnte aber den Papagei nicht zudecken, sondern dieser flog über all dem Gelde herum. Da nahm sie ihm all das Geld ab, und er ging mit leeren Taschen und abgewirtschaftet nach Hause.
In seinem Ärger schrieb der Jude einen Brief an ihren Mann: »Freund! Aus dem Gegenstande, den du mir anvertraut und durch mich geschickt hast, stieg eine Frau heraus, und die baute sich ein Schloss. Und alle Leute gehen bei ihr aus und ein.8 Den Tag über gehen hundert zu ihr herein und hundert heraus.« Dabei konnte kein einziger zu ihr gelangen, denn sie hatte einen Thorhüter an die Thüre ihres Schlosses hingestellt.
Als nun der Brief in die Hände ihres Mannes gelangte, ward er sehr böse und wütend. Und sofort brach er auf und begab sich nach dem Hause, das seine Frau gebaut hatte. Als er daselbst angekommen war, kamen zwei Diener, fassten ihn an und halfen ihm vom Rücken des Pferdes absteigen. Dann stieg er in ein Zimmer, das durchweg schön mit Polstern und Kissen ausgelegt war, und setzte sich da nieder, ohne ein Wort zu reden. Sie sahen [staunend], wie er, als sie ihn anredeten, ihnen nicht antwortete. Die Frau brachte ihm dann Kaffee; doch er nahm die Tasse und schleuderte sie auf die Erde, so dass sie zerbrach. Darauf brachte sie ihm eine Pfeife mit einem Mundstück von Bernstein.[97] Er nahm aber die Pfeife und das Mundstück und schleuderte sie auf die Erde, so dass sie zerbrachen. Dann brachte sie ein Mittagsmahl von Reispilav. Doch er nahm die Schüssel und warf sie auf die Erde. Da dachte sich die Frau: »Vielleicht ist er ......;9 er spricht jetzt nicht und isst nicht und thut überhaupt nichts!« Und den ganzen Tag blieb er so: er ass nicht, trank nicht, sprach nicht und that nichts. Auch seine Mutter sprach ihn an, aber er antwortete ihr nicht. In ihrem Ärger und Kammer ging die Frau hin und setzte sich an ein Fenster und versank in Schlaf. Und er, wie besessen – der Teufel hatte es ihm eingeflösst, und sein Zorn war (wieder) aufs Äusserste gestiegen – stand auf, ging an sie heran und warf sie aus dem Fenster mitten auf die Strasse. Aber es passierte ihr nichts. Sie erhob sich wieder, nahm Geld, legte es in ihren Busen und verliess die Stadt. Sie ging den ganzen Tag, dann kam sie an ein Wasser, gross wie der Zab10 – es war um Sonnenuntergang. Daselbst erblickte sie einen Schiffer mit einem Kelek. »Setze mich nach der andern Seite über und nimm dafür deinen Lohn«, sagte sie. »Ich habe keine Zeit«, erwiderte er, »denn der Tag ist zu Ende, und ich will nach Hause gehen. Wenn ich dich übersetze und dann zurückkehre, dann ist es für mich im Fenster bereits dunkel.«11 »Dann habe die Güte«, versetzte sie, »binde einen Strick an den Kelek; ich[98] will dann über den Fluss fahren, bis ich ans andere Ufer gelangt und ans Land gestiegen bin; dann ziehe deinen Nachen zurück. Du kannst dir Lohn nehmen, soviel du willst, und ausserdem erweisest du mir noch eine Gefälligkeit.« Sie gab ihm dann den Lohn, setzte sich in den Kelek, und er band ein Seil daran.
Sie stiess ab und fuhr dahin, bis sie in der Mitte des Wassers angelangt war. Dann nahm sie ein Messer heraus, hieb das Seil durch und fuhr auf dem Wasser dahin. Der Besitzer des Keleks begann zu weinen und den Kopf hin und her zu werfen; doch sie fuhr auf dem Wasser die ganze Nacht hindurch, bis der Morgen anbrach. Früh kam sie an eine Stadt, aber sie fuhr mitten auf dem Flusse weiter und kam vor dem Schlosse des Königs jener Stadt vorbei. Dieser sah gerade aus dem Fenster und erblickte eine schöngestaltige Frau, die auf dem Wasser dahinfuhr. Da befahl er seinen Dienern und sprach: »Fahret schnell hin, holet die Frau ein und nehmet sie fest!« Als sie hinter ihr herfuhren, fragte sie sie: »Was wollt ihr?« »Der König will dich haben«, antworteten sie. »Ich weiss, was euer [König] will«, versetzte sie, »aber gehet und saget ihm«: »König,12 geh, schicke vierzig Mädchen, Töchter von Vornehmen, Fürsten und Magnaten, dass sie kommen und wir spielen und bis Abend spazieren fahren; Abends wollen wir dann alle zusammen zum Könige kommen, und ich will dann auch seine Frau werden.« »So spricht die Frau«, meldeten sie dem König. »Sie spricht gut«, erwiderte er, »gehet und bringet die Mädchen zusammen.« Da gingen sie, brachten die Töchter der Magnaten zusammen, und die setzten sich in den Kelek. Sie fuhren einmal [den Fluss] abwärts ....13,[99] dann fuhren sie wieder aufwärts, oberhalb der Stadt, dann wieder abwärts. Den ganzen Tag fuhren sie bald auf-, bald abwärts, bis Sonnenuntergang. Als die Sonne unterging, schlug sie die Richtung abwärts ein und sprach: »Freundinnen! euer Schicksal hängt von dem meinigen ab. Wir wollen in der Welt herumziehen.« Und sie fuhren dahin.
Es war Nacht geworden, der König schaute aus und erwartete sie, aber sie kamen nicht. Sie fuhren nun auf dem Wasser dahin, einen Tag und zwei und drei. Eines Tages sahen sie, wie vierzig arabische Reiter am Ufer entlang ihnen nachritten und an sie herankommen wollten. Da rief sie ihnen zu: »Was wollt ihr, ihr Reiter?« »Ein jeder von uns will ein Mädchen von euch«, erwiderten sie. »Ihr sprechet gut«, versetzte sie; »aber ein jeder von euch gehe und bringe einen Schlauch Wein und einen Schlauch Arak. Auch Speisen bringet mit euch. Dann wollen wir essen und trinken und uns einen guten Tag machen; und hernach sollt ihr uns bekommen.« »Schön«, antworteten sie. Sie gingen dann, brachten Wein, Arak und Speisen.
Inzwischen hatte sie aber ihren Gefährtinnen befohlen und gesagt: »Von euch koste keine Wein oder Arak, ihnen aber schenket immer ein, bis sie betrunken sind. Wenn sie dann betrunken sind, schlachte eine jede einen ab. Hernach wollen wir ihre Gewänder und Pferde nehmen und fortreiten.« »Schön«, antworteten die Mädchen. Sie begannen nun zu trinken. Ein jeder umfasste ein Mädchen mit dem Arm [, und sie tranken], bis sie ordentlich berauscht waren. Da nahm eine jede von ihnen ein Messer heraus, sie hieben damit auf die Hälse der Männer und köpften sie alle. Dann nahmen sie deren Gewänder und Rosse, bestiegen diese und Yallah! Sie zogen mehrere Tage durch die Wüste und kamen schliesslich an eine grosse Stadt. Vor der Stadt lag ein fremdes Heer, und als jene in die Nähe der Stadt kamen, erschraken die Bewohner der Stadt und sagten: »Auch von der anderen Seite ist ein Heer gekommen!« Und andrerseits[100] bekam auch das fremde Heer Furcht wegen der Einnahme der Stadt, in der Meinung, sie wären der Stadt zu Hilfe gekommen. Aber * wiederum kamen sie heraus, nicht von der Seite und nicht von der Seite,14 ritten an die Stadt heran und schickten sich an, mit jenem fremden Heere zu kämpfen. Die vierzig Mädchen stürzten sich auf das Heer und vernichteten es [fast] durch Morden und Abschlachten. Das fremde Heer wurde geschlagen, es machte sich dann auf und zog ab. Die vierzig Mädchen aber zogen in die Stadt ein, und, da sie Männerkleider trugen, konnte man sie von Männern nicht unterscheiden, und die Leute der Stadt dachten, sie wären Männer.
Zu der Zeit war gerade der König der Stadt gestorben, und die Bewohner derselben wollten einen [neuen] König über sich einsetzen. Sie beriefen alle Bürger zusammen und liessen den Vogel der Herrschaft los, damit sie denjenigen zum König über sich einsetzten, auf dessen Kopf er sich niederliesse.15 Der Vogel stieg in die Höhe, flog oben herum und liess sich dann auf dem Kopfe jener Frau, der Führerin der Mädchen, nieder. Da sagten aber die Bürger: »Wir wollen ihn nicht, diesen Fremden! Wer weiss, von welchem Orte und aus welchem Lande er herkommt. Wir wollen den Vogel noch einmal loslassen.« Er wurde wieder[101] losgelassen, flog auf, drehte sich herum und liess sich [wieder] auf dem Kopfe der Frau nieder. Und wiederum sagten sie: »Das geht nicht an, wir wollen ihn nicht. Gehet«, sagten sie, »führet den Mann in ein Haus, damit er sich nicht mehr auf seinem Kopfe niederlässt.« Sie führten ihn in ein Haus, der Vogel wurde dann losgelassen, flog in die Höhe, drehte sich herum, nahm dann den Weg durch ein Fenster des Hauses, in dem die Frau sich aufhielt, und liess sich auf ihrem Kopfe nieder. Und wieder nahmen sie ihn nicht an, sondern sagten: »Das geht dennoch nicht, das ist ein Fremder, das geht nicht, dass er König über uns wird.« Sie führten ihn dann in ein anderes Haus, verstopften die Fenster und alle Öffnungen, und darauf liessen sie den Vogel los. Er flog in die Höhe, drehte sich herum und kam dann an jenes Haus. Als er die Person nicht sah, suchte er ein Fenster oder sonst eine Öffnung, um hereinzukommen, er sah aber keine. Aus Ärger liess er sich auf dem Dache des Hauses nieder, über dem Orte, in dem die Frau sich aufhielt. Da sagten sie: »Liebe Leute! das ist von Gott, lasset nun von ihm ab! Auf! wir wollen ihn zum Könige über uns einsetzen.« Sie machten ihn nun zum König, und jene vierzig Mädchen wurden ihre (!) Diener. Sie residierte im Regierungspalais.
Hernach liess sie ein grosses Stadtthor bauen und alle übrigen Thore schliessen. Sie sagte sich: damit keiner durch ein anderes Thor eintritt als durch dieses. Sie stellte auch einen grossen Bottich mit kaltem Wasser am Thore hin und liess ihr Bild malen und über jenem Bottich aufhängen. Dann stellte sie an dem Bottich Wächter auf und sagte zu ihnen: »Passet auf! Wer herkommt, trinkt, auf das Bild sieht und dann seufzt und den Kopf schüttelt, den nehmet fest und bringet zu mir.« »Schön, Freund!« antworteten sie. Es verstrich so einige Zeit .....
Aber wir wollen wieder zu unserer ersten Erzählung zurückkehren: zu ihrem Manne, der im Schlosse war. Er[102] war so mit seiner Frau verfahren und hatte sie aus dem Fenster16 gestürzt. Doch nachher bereute er es, der Verstand kam ihm wieder in den Kopf, und er sprach: »Was habe ich gethan? Ich habe nicht gefragt, ich habe nichts gesehen, was sich so verhielte. Woraufhin (?) habe ich sie also aus dem Fenster geworfen?« In seinem Kummer sagte er nun: »Ich will sie suchen gehen; vielleicht finde ich sie.« Er machte sich also auf, und wanderte, sie suchend, von einer Stadt zur andern, einen Tag, zwei, ein Jahr, und kam schliesslich in die Stadt, in der seine Frau lebte. Als er eintrat, trank er Wasser aus dem Bottich. Hierbei fiel sein Blick auf das Bild, er betrachtete es und erkannte, dass es seine Frau war. Da begann er zu seufzen, und Thränen flossen ihm aus den Augen. Da kamen sie, packten ihn und führten ihn vor den König, d.h. vor seine Frau. »König! sei gnädig!« sagten sie, »dieser Mann trank Wasser, erblickte das Bild, seufzte dann und weinte.« »Gehet«, erwiderte sie, »führet ihn ins Gefängnis.« Sie erkannte, dass es ihr Mann war.
Kommen wir nun zum jüdischen Kaufmanne. Auch er machte sich auf, als er sah, dass die Frau aufs Geratewohl in die weite Welt zog, und ging sie suchen. Auch er zog von einer Stadt zur andern und kam nach jener Stadt. Er trat durch das Thor ein und trank Wasser aus dem Bottich. Er erblickte dabei das Bild, schüttelte den Kopf und seufzte. Da kamen die Wächter, nahmen ihn fest und führten ihn vor den König. »König! sei gnädig!« sagten sie, »dieser Mann blickte, als er trank, auf das Bild, schüttelte den Kopf und seufzte.« »Führet auch ihn ins Gefängnis«, sagte sie, »und lasset ihm Bitternis zu Teil werden. Dagegen lasset euch den ersten Mann angelegen sein, logieret ihn in einem schönen Zimmer ein und erweiset ihm Gutes.« So machten sie es denn auch.
Kehren wir jetzt zum Schiffer zurück! Als er sah, dass sein Kelek ihm entführt sei, machte auch er sich auf[103] um seinen Kelek wiederzubekommen. Auch er kam nach der Stadt, trank Wasser und erblickte das Bild. Er erkannte die Frau, schüttelte darauf den Kopf und seufzte. Er wurde nun auch von den Wächtern festgenommen und vor den König gebracht. »König! sei gnädig!« sagten sie. »Dieser Mann trank Wasser, erblickte das Bild, seufzte dabei und schüttelte den Kopf.« »Gehet«, erwiderte sie, »nehmet auch diesen fest und lasset ihn euch angelegen sein.«
Am folgenden Tage befahl sie ihren Dienern und sprach: »Gehet, bringet den ersten Mann, den ihr festgenommen habt.« Sie brachten ihn. »Was ist dir?« fragte sie ihn, »warum schütteltest du den Kopf, seufztest und weintest sogar?« »Meine Lage ist die«, erwiderte er. »Ich kaufte einmal in Baghdad eine Kiste und schickte sie mit einem Kaufmann nach Bassra an meine Mutter. Aus der Kiste kam eine Frau heraus, eine Frau, wie es keine zweite giebt. Sie liess mir schöne Häuser bauen, und alle Kaufleute konnten es mit ihr an Klugheit und Verstand nicht aufnehmen. Viele wollten sie sich zur Frau nehmen, aber sie nahm es nicht an und zerriss das zwischen mir und ihr bestehende Band nicht17 – sie war ja von mir gekauft. Schliesslich kam ein jüdischer Kaufmann, der mein Freund war, und wollte sie nehmen. Es war der, welcher sie von Baghdad nach Bassra zu meiner Mutter gebracht hatte. Sie stellte ihm eine Bedingung, er wurde aber besiegt, und sie nahm ihm viel Geld ab. Darüber ward er nun sehr ärgerlich, und in seinem Ärger schrieb er an mich einen Brief des Inhaltes: ›Aus der Kiste kam eine Frau heraus, die baute Häuser und begeht nun schändliche Dinge.‹ In meinem Ärger machte (auch) ich mich auf, ging nach Bassra und begab mich nach dem Hause. Da kamen zwei Diener, nahmen mich unter den Arm und brachten mich ins Haus. Dann kam die Frau zu mir, aber[104] ich redete nicht mit ihr. Sie brachte mir Kaffee, aber ich ergriff die Tasse und zerbrach sie. Sie brachte mir eine Pfeife – ich zerbrach auch sie. Sie brachte mir etwas zu essen – ich schüttete es aus. ›Warum bist du böse?‹ sprach sie zu mir – ich antwortete ihr nicht. Da ging sie an ein Fenster, setzte sich da hin, und infolge ihres Kummers schlief sie ein. Ich war ärgerlich bis aufs äusserste, und so ging ich hin und warf sie zum Fenster hinaus. Aber ich weiss, sie ist nicht gestorben, sondern aufs Geratewohl in die weite Welt gezogen. Nachher kam meine Mutter und sagte zu mir: ›Was hast du gethan? Warum hast du sie auf die Strasse gestürzt?‹ ›Sie verdient es so‹, erwiderte ich. ›Ich hörte, dass sie hässliche Dinge that und sich der Liebe preisgab.‹ Da antwortete meine Mutter: ›Eine so vornehme Frau wie sie giebt es in ganz Bassra nicht. Der Jude hat nur aus Aerger so an dich geschrieben.18 Warum handelst du ohne Nachforschung?‹ Darauf bereute ich es sehr, und jetzt irre ich nach ihr herum. Als ich nun das Bild am Stadtthor sah, das ihr ähnlich sieht, seufzte und weinte ich, denn sie kam mir in den Sinn.« Da sagte die Frau: »Du verdientest geköpft zu werden. Warum handelst du so, ohne vorher nach dem wahren Sachverhalt zu forschen und nachzufragen?« »Ich bin schuldig, Freund«, antwortete er. Da fragte die Frau: »Wenn du jetzt deine Frau erblicktest, würdest du sie erkennen?« »Ich weiss nicht«, sagte er; »sie ist schon seit langer Zeit weg, seit etwa zwei Jahren.« »Gut«, sagte sie, »setze dich hin.«
Sie sagte nun zu den Dienern: »Bringet den zweiten.« Da kam der jüdische Kaufmann, und sie sagte zu ihm: »Junger Mann, sage die Wahrheit, sonst lasse ich dir den Kopf abhauen. Warum betrachtetest du, das Bild, als du[105] aus dem Bottich trankest,19 seufztest und schütteltest den Kopf?« »Freund«, erwiderte er, »gieb mir Zeit, damit ich es erzähle.« »Erzähle«, sagte sie, »wie dein Herz es begehrt.« Er erzählte nun: »Eines Tages, als ich in Baghdad war und im Begriffe war, nach Bassra zu gehen, gab mir ein Mann, ein Freund von mir, eine Kiste und sagte zu mir: ›Ueberbringe sie mit eigener Hand meiner Mutter.‹« Er erzählte nun, wie es sich zugetragen hatte, und der andere Mann hörte es. Da sagte dieser zur Frau: »Lieber König! das ist jener jüdische Kaufmann, welcher einen Brief an mich schrieb und mir mitteilte: Deine Frau führt sich so auf.« Sie sagte dann zum Juden: »Setze auch du dich hin!«
Darauf befahl sie den Dienern und sprach: »Gehet, bringet auch den andern her.« Auch dieser kam. »Junger Mann!« sagte sie zu ihm, »warum betrachtetest du das Bild, als du trankest, schütteltest dann den Kopf und seufztest?« Der Mann antwortete: »Freund! Ich bin ein armer Mann, ein Schiffer. Eines Tages war ich am Wasser,20 da sah ich eine Frau herankommen, und die sagte zu mir: ›Setze mich ans andere Ufer über.‹ ›Es ist nicht mehr Zeit‹, erwiderte ich, ›dich überzusetzen und dann wieder zurückzukehren. Komm morgen, dann will ich dich übersetzen.‹ ›Nein‹, sagte sie, ›jetzt!‹ und schluchzte sehr vor mir. Mein Herz ward nun zu ihr entbrannt, und als sie mir noch den doppelten Lohn gab, sagte ich ihr, ich wolle sie übersetzen. Doch sie sagte mir: ›Du brauchst nicht mitzukommen: sondern binde ein Seil an den Kelek, ich will dann an das andere Ufer übersetzen und ans Land gehen, und du ziehe dann deinen Kelek zurück.‹ ›Geh,‹ sagte ich, ›und setze dich in den Kelek.‹ Sie setzte sich hinein, fuhr aufs Wasser hinaus,[106] und als sie in der Mitte desselben angekommen war, siehe, da bemerkte ich gleich, wie sie ein Messer herausnahm, auf das untere Ende21 des Seiles hieb und es durchschnitt. Sie fuhr dann mitten auf dem Flusse weiter, und wie ich das sah, rief ich: ›Bei deinem Schicksal, wohin fährst du? Du wirst noch untergehen, ebenso wie mein Kelek.‹ Aber sie lieh mir ihr Ohr nicht,22 liess es nicht auf mich hören, und ich konnte nicht zu ihr gelangen. Sie entfernte sich nun in jener Nacht, und ich machte mich am folgenden Tage auf. Ich dachte mir: ›Ich will sie suchen gehen, vielleicht finde ich meinen Kelek‹, und so kam ich schliesslich nach dieser Stadt. Jetzt sind meine Kinder wohl schon vor Hunger zu Grunde gegangen, und ich weiss nicht, was ich thun soll.« Da sagte die Frau: »Wenn du jetzt jene Frau sähest, würdest du sie erkennen?« »Ich weiss nicht, Freund«, erwiderte er, »vielleicht würde ich sie erkennen.« »Du hast deinen Lohn,«23 erwiderte sie.
Hernach befahl sie den Dienern und sprach: »Gehet, gebet ihm ein edles Pferd und eine Satteltasche voll Goldstücke, und mag er dann nach Hause gehen.« Sie gaben sie ihm, und er reiste nach Hause.
Darauf befahl sie den Dienern und sprach: »Bringet Holz herbei.« Und sie brachten viel, viel Holz herbei. Da fesselten sie den jüdischen Kaufmann, legten ihn auf das Holz und zündeten ein Feuer unter ihm an, bis er mit zu Asche wurde. Nachher sagte sie zu jenem Manne: »Ich bin deine Frau.« Da freuten sie sich sehr. »Kommet her«, sagte sie dann zu den Grossen der Stadt, »ich will euch etwas erzählen:[107] Ich bin eine Frau; mein Mann ist jetzt gekommen. Wollt ihr, dass mein Mann König wird, gut, dann wollen wir bei euch bleiben. Wollt ihr es nicht, dann wollen wir nach Hause gehen.« Da antworteten sie: »Wir wollen erst alle zusammen die Sache überlegen, und dann wollen wir es dir sagen.« Sie gingen dann weg, berieten sich mit einander und sagten: »Mag ihr Mann bei ihr bleiben, denn sie leitet unser Reich gut.« Dann kamen alle Grossen und sagten zu ihr: »Mag dein Mann König über uns werden.« Und ihr Mann wurde König. Und zu den Mädchen, die mit ihr gekommen waren, sagte sie: »Wenn es euch gefällt, bleibet hier, wo nicht, dann gehet nach eurer Stadt.« Da sagten sie: »Wir bleiben bei dir bis zum Tode.« Sie blieben dort, und sie gab sie an Grosse der Stadt, und sie lebten da in Frieden.
1 | Auch der Jüngling aus Oman in 1001 N. IV p. 204 reist nach Bassra wegen der schönen Früchte, die daselbst wachsen. |
2 | Über diesen Ausdruck vgl. meine Bemerkung in ZA IX p. 318. Noch andere Nachweise giebt R. KÖHLER a.a.O. |
3 | Der Sinn dieser Worte ist mir nicht klar. |
4 | Der Kauf eines Mädchens in einer Kiste kommt auch in der Geschichte des Fischers Chalîfa vor (1001 N. IV p. 62), im Übrigen hat aber diese Erzählung mit der unsrigen keine Verwandtschaft. |
5 | Im Texte steht der Singular. |
6 | Ich bringe pirja, allerdings zweifelnd, mit kurd. per »demain« (vgl. JABA, Dict. p. 87 a) zusammen. Der Übersetzer giebt ġâjeh mâ jekûn; er fasst also pirja im Sinne »Fülle« (pers. pur) auf. Aber dagegen scheint wil dpišle, zu sprechen, denn »bis eine Fülle [der Freude] eintrat« wird der Verfasser wohl nicht haben schreiben wollen. |
7 | Die Orientalen lassen noch jetzt, wie in den ältesten Zeiten – vgl. F.v. LUSCHAN in den Mitteilungen aus den orientalischen Sammlungen der Kgl. Museen zu Berlin, Heft XI p. 27, – den Bauschutt ihrer durch starken Regen oder Feuer eingestürzten Lehmhäuser liegen, und die früheren Besitzer oder andere bauen auf ihm weiter. |
8 | D.h. sie haben intime Beziehungen zu ihr; vgl. den ähnlichen Ausdruck bei TEWFIK, Schwänke p. 19 No. 29. |
9 | Sollte hier ein Wort fehlen, und čîa »warum?« heissen und zum folgenden Satze gehören? Die Übersetzung hat überhaupt nichts. |
10 | Oder: »wie der grosse Zab«? |
11 | So der Übersetzer (fi rauzen ,atâm ,alajja). Man kann sich ja dabei etwas denken. Der Schiffer will vielleicht sagen, dass es dann in dem Fenster eines am Ufer stehenden Hauses bereits dunkel ist, und er keine Richtung mehr hat; aber das scheint mir doch etwas gezwungen. Auch weiss ich nicht, ob mit Recht khuja, das doch wohl kurd. ḫu ist, mit »Dunkelheit« (= kurd. târi) übersetzt ist. Ich halte es daher nicht für ausgeschlossen, dass in bkâwe – hâwe stecke, trotz b+k, so dass die Worte bedeuten würden, »dann ist die Schlafenszeit für mich da.« |
12 | Das Wort hâkim ist vielleicht aus Versehen an diese Stelle geraten und sollte vor dijaukhun stehen. Der Übersetzer hat es an beiden Stellen. |
13 | Sollte kôpa kurd. kop »niedrig« sein? In der Uebersetzung fehlt es. |
14 | Der Sinn dieser Worte ist mir unklar. |
15 | Vgl. die Glosse bei PRSOC, KurdS. b, p. 32 Anm.: »Der Vogel der Herrschaft, ein buntfarbiger Vogel, setzt sich auf denjenigen, welcher Fürst werden soll, nachdem der alte Fürst gestorben ist.« Zum Hinweise auf ZDMG XXXVI p. 241 füge hinzu RADLOFF, Volkslit. IV p. 143 und KNOWLES, FtKash. p. 159. Hier sind ein Falke und ein Elephant die Königswähler. Auch im indischen Märchen Revtrad pop. IV p. 438 ff. wird derjenige zum Könige ernannt, auf den der heilige Elephant einen Blumenstrauss wirft. In den verwandten europäischen Sagen, die durch den bekannten Jugendstreich Louis Napoleon's ein gewisses aktives Interesse erlangt haben, hat das Niederfliegen des Vogels auf den Helden eine mehr augurale Bedeutung, z.B. in der Sage von Tarquinius Priscus und dem Adler. |
16 | Im Texte der Plural. |
17 | Eigentlich: »sie zerstörte nicht das Los mit mir«. |
18 | Der Übersetzer hielt khšûle khšâwâ, in denen š gleich ursprünglichem t ist (vgl. ZA IX p. 236 f.), für rad. ḫšw und übersetzte: ѕftakar. |
19 | Statt šêlukh dürfte štêlukh zu lesen sein. Die Übersetzung hat ği,ta. |
20 | Im Texte steht eigentlich »auf dem Wasser«; aber die Übersetzung hat: »am Ufer des Wassers«. |
21 | Unübersetzt. Ob p, aḳrâ soviel ist wie b,aḳrâ = b,iḳrâ, also eigentlich »auf die Wurzel«? |
22 | Nâšâ ist hier soviel wie nâṯâ, der Übersetzer fasste es aber in der Bedeutung »Mensch« auf und las dann hwêlâ statt hwillâ; so schrieb er denn: wamâ kâna ,indi,aḥad. |
23 | Der Satz passt eigentlich nicht. Soll er etwa heissen: »Hier hast du deinen Lohn!«? |
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