17. Das Rakshasschloß.
17. Das Rakshasschloß

[255] Es lebte einmal vor langer Zeit ein verwittweter Rajah, der hatte zwei kleine Töchter. Nicht lange nach dem Tode seiner ersten Frau verheiratete er sich wieder und die zweite Frau kümmerte sich nicht um ihre Stiefkinder und behandelte sie oft unfreundlich. Der Rajah aber, ihr Vater, fragte nicht nach ihrem Ergehen, sondern erlaubte seiner Frau sie zu behandeln, wie sie Lust hatte. Darüber waren die armen, kleinen Mädchen sehr unglücklich, und die eine sprach eines Tages zur anderen: »Laß uns hier nicht länger bleiben. Komm mit in den Dschungel, denn hier liegt Niemandem etwas daran, ob wir da sind oder nicht.« Nun gingen sie beide fort in den Dschungel und ernährten sich dort manchen Tag von Dschungelfrüchten. Als sie schließlich eine große Strecke zurückgelegt hatten, kamen sie an ein schönes Schloß, das gehörte einem Rakshas. Aber der Rakshas sowohl als seine Frau waren nicht zu Hause. Da sagte die eine Prinzessin zu der anderen: »Dieses schöne Schloß in Mitten des Dschungels kann nur einem Rakshas gehören. Der Eigenthümer scheint ausgegangen zu sein. Wir wollen hineingehen und sehen, ob wir nicht darinnen etwas zu essen[256] finden.« – Sie gingen in das Rakshashaus, fanden dort ein wenig Reis, kochten denselben und aßen ihn. – Nun fegten sie das Zimmer aus und stellten alle Möbeln im Hause hübsch sauber zurecht. Aber kaum hatten sie das gethan, so kamen der Rakshas und seine Frau nach Hause. Die beiden Prinzessinnen erschraken heftig, rannten oben auf das Haus und versteckten sich dort auf dem flachen Dache. Von hier aus konnten sie von der einen Seite in den inneren Hofraum hinabsehen, von der anderen aber die weite Gegend überblicken. Das war der Lieblingsaufenthalt des Rakshas und seiner Frau. Hier oben saßen sie an heißen Sommerabenden, hier worfelten sie das Korn und hingen das Zeug zum Trocknen auf. Die beiden Prinzessinnen fanden hinter einigen Korngarben, die zum Dreschen bereitstanden, hinreichenden Schutz. Als der Rakshas das Haus betrat, sah er sich um und sprach zu seiner Frau: »Es muß irgend Jemand das Haus in Ordnung gebracht haben, es ist hier Alles so rein und sauber. Frau, hast Du das gethan?« »Nein«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wer es gethan haben mag.« »Es hat auch jemand den Hofraum abgefegt«, fuhr der Rakshas fort. »Ich habe es nicht gethan und weiß nicht, wer es that.« Dann lief der Rakshas überall herum und hielt die Nase in die Luft und sprach: »Irgend Jemand muß hier sein. Ich rieche Menschenfleisch und Blut. Wo kann das Menschenkind sich versteckt haben?« »Dummes Zeug«, schrie seine Frau. »Riechst Du wirklich Menschenfleisch und Blut? Das ist kein Wunder, hast Du doch eben hundert tausend Leute erschlagen und gefressen. Es wäre im Gegentheil merkwürdig, wenn Du das Fleisch und Blut nicht röchest?« Sie stritten sich noch über diesen Gegenstand hin und her, bis schließlich der Rakshas sagte: »Laß es gut sein, ich weiß es auch nicht, doch bin ich sehr durstig, laß uns deßhalb etwas Wasser trinken.« So[257] gingen der Rakshas sowohl wie seine Frau zu einem Brunnen, der nahe bei dem Hause war, ließen einen Eimer hinab, zogen ihn wieder gefüllt herauf und tranken. Die Prinzessinnen, welche oben auf dem Hause standen, sahen das. Nun war die jüngste der zwei Prinzessinnen ein sehr kluges Mädchen, und als sie den Rakshas und seine Frau am Brunnen sah, sagte sie zu ihrer Schwester: »Jetzt will ich etwas thun, worüber wir uns hernach beide freuen werden.« Und dann lief sie schnell die Treppe hinunter, schlich sich ganz nahe zum Rakshas und seiner Frau, die gerade auf den Zehen standen und sich über den Brunnenrand lehnten, erfaßte einen der Hacken des Rakshas, und einen von den Hacken seiner Frau, gab jedem einen kleinen Ruck, so daß sie kopfüber in den Brunnen hinabfielen und dort unten ertranken. Beide der Rakshas sowohl wie seine Frau. Die Prinzessin wandte sich nun zu ihrer Schwester und sagte: »Ich habe die Rakshas getödtet!« »Was, beide?« schrie ihre Schwester. »Ja beide«, sagte sie. »Kommen sie auch ganz gewiß nicht wieder?« sagte die Schwester. »Nein niemals«, erwiederte sie.

Als die Rakshas nun todt waren, nahmen die Prinzessinnen das Haus in Besitz und wohnten in demselben eine lange Zeit hindurch sehr glücklich. Sie fanden dort viele Haufen reicher Gewänder und Juwelen, Gold und Silber, welche die Rakshas den von ihnen ermordeten Leuten, geraubt hatten. Rings um das Haus standen Schafställe und Hütten für das Hornvieh, welche normal den Rakshas gehörten. An jedem Morgen trieb nun die jüngste Prinzessin die Heerden auf die Weide und trieb sie Abends wieder heim, während die älteste zu Hause blieb, den Haushalt führte, und das Essen kochte. Dann sagte wohl die jüngere und klügere Prinzessin beim Fortgehen zu ihrer Schwester »Nimm Dich in Acht, kommt jemals ein Fremder, sei es ein[258] Mann, eine Frau oder ein Kind, in unser Haus, so verstecke Dich womöglich, damit niemand unsren Aufenthalt hier erfährt, und klopft jemand an die Thür und bittet um einen Trunk frischen Wassers, oder bettelt um etwas Nahrung, – so ziehe, ehe Du es ihm reichst, zerissene Kleider an, bemale Dein Gesicht mit Ruß und verunstalte Dich so sehr Du kannst. Es darf kein Mensch sehen, wie schön Du bist, sonst entführen sie Dich am Ende und dann wären wir für immer getrennt« »Ja, das ist ein guter Rath«, antwortete die andere Prinzessin; »ich will ihn befolgen.« Es verging ein geraume Zeit, doch Keiner kam des Weges daher. Einstmals aber, als die jüngste Prinzessin wieder ihr Vieh auf die Weide getrieben hatte, kam ein junger Prinz, der Sohn eines benachbarten Rajah, der schon manchen Tag lang mit seinen Begleitern im Dschungel gejagt hatte, an diesen Ort und suchte Wasser, denn er und sein Gefolge waren müde von der Jagd, und sie durchirrten vergebens den Dschungel, um frisches Wasser zu finden. Als der Prinz das einsamstehende Schloß sah, erstaunte er und sprach: »Das ist doch merkwürdig. Wer mag nur hier in Mitten des Waldes ein solches Haus gebaut haben? Wir wollen eintreten. Der Eigenthümer desselben giebt uns sicher einen Trunk Wasser.« »Nein, nein, thut das nicht!« riefen seine Begleiter. »Es ist ganz gewiß ein Rakshashaus.« »Das will ich eben sehen«, erwiderte der Prinz. »Ich kann mir nicht denken, daß hier ein schreckliches Wesen wohnt. Man hört ja keinen Laut, auch sieht man nicht ein einziges lebendes Geschöpf.« Nach diesen Worten klopfte er an die verschlossene Thür und rief: »Will der Eigenthümer dieses Hauses so barmherzig sein und mir und meinen Leuten ein wenig zu trinken geben?« Keine Antwort erfolgte, denn die Prinzessin, die ihn wohl hörte, war schnell in ihre Schlafkammer gelaufen, um ihr Gesicht mit Ruß zu schwärzen und[259] ihre reichen Kleider mit Lumpen zu bedecken. Der Prinz aber ward ungeduldig, rüttelte an der Thüre und schrie: »Ihr, die Ihr darinnen seid, laßt mich hinein! Wenn Ihr das nicht thut, so erbreche ich die Thüre.« Hierüber erschrak die arme, kleine Prinzessin auf das heftigste, und nach dem sie ihr Gesicht schwarz gemacht und sich so viel als möglich verunstaltet hatte, lief sie mit einem Wasserkruge die Treppe hinab, – öffnete die Thür und gab dem Prinzen den Krug, doch sprach sie kein Wort, denn sie fürchtete sich. – Der Prinz war ein sehr gescheuter Mann, und als er den Wasserkrug an den Mund setzte, dachte er in seinem Sinne: »Was ist das für ein seltsam aussehendes Geschöpf, das mir dieses Wasserglas gereicht hat. Wenn sie kein so schmutziges Gesicht hätte und nicht so unordentlich angezogen wäre, sähe sie gewiß recht hübsch aus. Sie hat an den Händen eine merkwürdig schwarze Farbe? Die sieht so unnatürlich aus.« Als er darüber nachdachte, warf er urplötzlich anstatt das Wasser zu trinken, der Prinzessin das Glas ins Gesicht. Die Prinzessin sprang mit einem leisen Schrei zurück, während das von ihrem Gesichte niederströmende Wasser den Ruß fortspülte und ihre feine durchsichtige Haut und ihre edelgeformten schönen Züge sichtbar wurden.

Der Prinz aber ergriff ihre Hand und sprach: »Sage die Wahrheit, wer bist Du? Wie kommst Du hierher? Wer sind Deine Eltern? Warum wohnst Du hier ganz allein im Dschungel? Steh mir Rede, oder ich schlage Dir den Kopf ab!«

Und er that so, als wolle er sein Schwert ziehen. Die Prinzessin war so erschreckt, daß sie kaum zu sprechen vermochte. Doch das Beste, was sie thun konnte, war, ihm zu erzählen, daß sie, eine Rajahtochter, ihrer grausamen Stiefmutter wegen in den Dschungel gelaufen sei, und daß sie dieses Haus gefunden und seitdem darin gelebt habe. Und als sie ihre Geschichte beendet[260] hatte, fing sie an zu weinen. Da sprach der Prinz: »Hübsches Mädchen, vergieb mir mein rauhes Wesen. Sei nicht ängstlich. Ich will Dich mit nach Haus nehmen und Dich zu meiner Frau machen.« Aber je mehr er zu ihr sprach, desto mehr erschrak sie. Ihr Herz klopfte so angstvoll, daß sie nicht verstand, was er sagte, und sie antwortete nicht, sondern schluchzte heftig. Sie hatte dem Prinzen keine Silbe von ihrer Schwester gesagt, sie hatte ihm nicht einmal mitgetheilt, daß sie eine habe; denn sie dachte: »Dieser Mann hat gesagt, er wolle mich tödten. Wenn er hört, daß ich eine Schwester habe, so bringt er sie sicher auch um.« Der Prinz, der wirklich ein gutes Herz hatte, und der nie daran gedacht haben würde, die beiden, kleinen Schwestern voneinander zu trennen, wußte nun durchaus nicht, warum sie so traurig war und sich so sehr fürchtete. Und da er merkte, daß sie nicht einmal auf seine zuredenden Worte achtete, so sagte er zu seinen Dienern: »Helft dieser Dame in eine Sänfte; wir wollen nach Haus.« Und so geschah es.

Die Prinzessin sah sich in einer Sänfte eingeschlossen und wußte nicht wohin sie getragen wurde. Sie dachte an den Kummer ihrer Schwester, die bei ihrer Rückkehr das Haus leer erblicken würde und beschloß deßhalb einige Zeichen auszustreuen, damit sie den Weg, den sie genommen, zu finden vermöge. Um ihren Hals trug sie eine aus mehreren Perlensträngen zusammengesetzte Kette. Die zerriß sie, schnitt aus ihrem Saree viele kleine Stückchen Zeug, band je eine Perle in ein solches Sareestückchen, damit es schwer genug sei, um gerade herunter auf die Erde zu fallen. Dann warf sie eine Perle zur Sänfte hinaus, dann eine zweite und dritte. Und das that sie auf dem ganzen Wege, bis sie den Palast erreichte, in dem die Eltern des Prinzen wohnten. Die letzte, ihr noch gebliebene Perle warf sie gerade vor die Schloßpforte.[261]

Der alte Rajah und die Ranee empfingen die schöne Prinzessin, die ihr Sohn mit heim brachte, hoch erfreut. Und als sie ihre Erlebnisse hörten, sprachen sie: »Ach das arme Ding! Welch eine traurige Geschichte! Nun sie aber bei uns ist, wollen wir Alles thun, was in unserer Macht steht, um sie glücklich zu machen.« Dann wurde die Hochzeit mit großer Pracht und Herrlichkeit gehalten. Und sie beschenkten die Prinzessin mit wunderschönen Kleidern und kostbaren Juwelen. Auch behandelten sie dieselbe sehr liebevoll. Aber dessenungeachtet blieb sie traurig und unglücklich; dachte sie doch immer an ihre Schwester und fand trotzdem nicht den Muth den Prinzen oder seinen Vater zu bitten, sie holen zu lassen.

Unterdessen war die jüngste Prinzessin, welche die Heerden zur Weide getrieben, als der Prinz ihre Schwester entführte, heimgekehrt. Im Hause angelangt, fand sie wohl die Thüre weit geöffnet, allein Niemand stand davor. Sie eilte die Treppen hinauf; ihre Schwester war nicht oben; das ganze Haus war leer und verödet. Wie einsam fühlte sie sich! Die Dunkelheit brach heran. Es war ihr nicht mehr möglich hinauszugehen, um sie draußen zu suchen. So wartete sie die ganze Nacht hindurch und weinte. »Es muß hier jemand gewesen sein und meinen süßen Liebling geraubt haben! O Schwester, Schwester!« Am andern Morgen setzte sie in aller Frühe ihre Nachforschungen fort. Da fand sie plötzlich, eingewickelt in ein kleines Stück Saree eine der Perlen, die zur Halskette ihrer Schwester gehörten. Ein wenig davon entfernt lag eine zweite, und dann wieder eine und so fort den ganzen Weg entlang, den der Prinz genommen hatte. Da ward es der Prinzessin klar, daß ihre Schwester das gethan habe, um sie auf den rechten Pfad zu leiten, und deßhalb wanderte sie ruhig weiter, um ihren Liebling zu suchen. Sie ging weit, sehr weit. Sie brauchte sechs[262] Monate um durch den Dschungel zu gelangen, denn schnell reisen konnte sie nicht. Die tagelangen Fußtouren ermüdeten sie allzu sehr, und zuweilen vergingen zwei Tage, ehe sie wieder eine, in einem Stückchen Saree eingewickelte Perle fand. Endlich erreichte sie die große Stadt, in der aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Schwester wohnte. Nun aber war diese Prinzessin wirklich ungemein schön, ebenso so schön wie klug, – und als sie vor die Stadt kam, dachte sie: »Wenn mich die Leute sehen, so entführen sie mich am Ende, wie meine Schwester, und dann sehe ich sie nie wieder. Ich will mich deßhalb ganz unkenntlich machen.« Während sie nun hierüber weiter nachsann, sah sie das Skelet einer armen, alten Bettlerin am Wege liegen. Die Frau war augenscheinlich vor Hunger gestorben. Der Leichnam sah so ausgetrocknet aus. Er bestand wirklich nur aus Haut und Knochen. Die Prinzessin nahm die Haut, wusch sie, und wie man sich einen Handschuh über die Hand zieht, so zog sie sich dieselbe über ihr eigenes liebliches Gesicht und den Hals. Dann nahm sie sich einen langen Stock, lehnte sich auf diesen und wankte so der Stadt zu. Die Haut der alten Frau war ganz ausgedörrt und voller Runzeln, so daß die Leute, die sie vorbei gehen sahen bei sich dachten: »Was ist das für eine alte, häßliche Frau!« – Es ahnte Niemand, daß in der falschen Haut ein wunderliebliches, schönes Mädchen stecke. So wanderte sie weiter, fand bald hier bald dort eine Perle, – und gerade vor der Schloßpforte lag die letzte. Daran erkannte sie mit Bestimmtheit, daß ihre Schwester in der Nähe sein müsse, aber wo, das wußte sie freilich nicht. Wie gern wäre sie in den Palast gegangen und hätte nach ihr gefragt, aber die Wachen würden die alte, elendaussehende Frau nicht hinein gelassen haben. Auch durfte sie es nicht wagen, sie durch eine der Perlen zu bestechen, denn dann hätte man sie sicher[263] für eine Diebin gehalten. So beschloß sie denn, sich immer in der Nähe aufzuhalten und es geduldig zu erwarten, ob ihr nicht ihr gutes Glück fernere Nachrichten über ihre Schwester zuführen werde. Dem Palaste gerade gegenüber stand ein kleines Pachthaus. Zu demselben ging die Prinzessin und stellte sich vor die Thür. Die Pächterin sah sie und sprach: »Arme, alte Frau, sag an, wer bist Du, warum kommst Du hierher und wo sind Deine Freunde?« »Ach« erwiderte, die Prinzessin: »ich habe keine. Ich bin bin eine arme, alte Frau und habe weder Vater noch Mutter, weder Sohn noch Tochter, weder Bruder noch Schwester. Sie sind alle todt und keiner sorgt sich um mich. Ich aber muß nun von Thür zu Thür gehen und mein Brod erbetteln.«

»Sei nicht traurig, meine gute Mutter«, erwiderte freundlich die Pächterin. »Du magst in unsrer Vorhalle schlafen, und etwas Essen sollst Du auch haben.« Das nahm die Prinzessin dankbar an und verbrachte dort manche Nacht, und jeden Tag reichte ihr die gute Pächterin ein wenig Nahrung. Von ihrer Schwester aber hörte sie die ganze Zeit hindurch nichts.

Nun lag in der Nähe des Schlosses ein großer Teich und aus demselben wuchsen einige schöne, mit glänzendrothen, Lotusblumen bedeckte Pflanzen. Der Rajah liebte diese königliche Blume über die Maßen und lobte sie oft. Und weil sich dieser Teich nicht weit vom Pachthause befand, so pflegte die Prinzessin allmorgendlich sehr früh, – ungefähr um drei Uhr, ehe die Sonne aufging, hinzugehen, sich die alte Frauenhaut abzuziehen, sie zu waschen und zum Trocknen aufzuhängen. Dann wusch sie sich Gesicht und Hände, badete ihre Füße in dem kühlen Wasser und kämmte ihr schönes Haar. Auch pflückte sie sich gewöhnlich eine Lotusblume. Trug sie doch schon als Kind oft eine Lotusblume im Haar und schmückte sich gern mit derselben.[264] Es war so wonnig sich in vergangene Zeiten zurückzuträumen! Wie war sie fröhlich, bis der Wind die alte Frauenhaut getrocknet hatte! Dann zog sie diese wieder an, warf die Lotusblume fort und humpelte vor Sonnenaufgang zur Pächterhütte zurück.

Nach einiger Zeit bemerkte der Rajah, daß irgend jemand einige seiner Lotusblumen pflückte. Wachen wurden ausgestellt, und die Weisen des Königreiches steckten die Köpfe zusammen, um den Dieb ausfindig zu machen. Als schließlich die Aufregung über dieses Ereigniß immer mehr um sich griff, sprach der zweite Rajahsohn, der ein tapfrer, junger, edler Prinz und ein Bruder von dem war, der die Prinzessin im Walde gefunden »ich will dem Diebe schon auf die Spur kommen.« Nun wuchsen zufälliger Weise verschiedene schöne Bäume um den Teich. Auf einen derselben kletterte der Prinz eines Abends, bildete sich aus den Zweigen eine Art Schutzdach, um den Nachtthau abzuhalten und wachte dort, wie seine Vorgänger, manche Stunde hindurch ohne den geringsten Erfolg. Die Lotuspflanzen ruhten still im Mondenschimmer. Es wehte nicht einmal ein diebischer Wind, der eine der schönen Blumen hätte knicken können. Der Prinz wurde immer müder und wähnte schon, die schuldige Person, wer sie auch sein möge, würde nicht mehr kommen. Da auf einmal erschien jemand in früher Morgenstunde, ehe es hell ward. Und wer war es? Niemand anders, als die alte Frau, die er manchmal vor der Schloßthüre gesehn hatte. »Seltsam«, dachte der Prinz. »Ist das die Diebin? Was thut denn diese alte Frau mit Lotusblumen?« Aber nun denkt Euch sein Erstaunen, als sich diese alte Frau auf die Stufen, die zum Wasser hinunterführten, niederließ und anfing sich die Haut von ihrem Gesicht und ihren Armen abzuziehen und unter der gelben verschrumpelten Haut[265] das lieblichste Antlitz hervorsah, das er je gesehen. So hübsch, so jung, so frisch, so strahlend schön, daß des Prinzen Augen von diesem Anblicke, wie von einem plötzlich aufleuchtenden, goldenen Blitzstrahle geblendet wurden. »Ach«, dachte er: »Ist es ein irdisches Mädchen oder ein Geist? Ein Teufel oder ein Engel in menschlicher Gestalt?«

Die Prinzessin löste ihre glänzend schwarzen Haare, pflückte eine rothe Lotusblume, steckte sie hinein, kühlte ihre Füße im Wasser und belustigte sich dann damit, daß sie sich eine von den Perlenschnüren, die ehemals zu ihrer Schwester Halsband gehört hatten, um den Hals band. Sobald aber die Sonne aufging, warf sie die Lotusblume fort, bedeckte ihr Gesicht und ihre Arme mit der alten verschrumpften Haut und eilte fort. Der Prinz eilte augenblicklich nach Hause, und sprach zu seinen Eltern: »Vater, Mutter, ich möchte gern die alte Frau heirathen, die täglich dort drüben vor dem Pachthofe steht.« »Was!« riefen sie: »Bist Du, Knabe, irre geworden? Das alte, runzlige Frauenzimmer willst Du heirathen? Das ist unmöglich, bedenke doch, daß Du ein Königssohn bist. Es gibt ja auf Erden genug Prinzessinnen und Königinnen, warum willst Du gerade dies elende Bettlerweib heirathen?« Er aber antwortete: »Es ist mein heißester Wunsch. Bin ich Euch nicht immer ein guter und gehorsamer Sohn gewesen? Ich bitte Euch deßhalb, erfüllt mir nur dies eine Mal meinen Willen!« Als sie sahen, daß es ihm wirklich Ernst damit war, und daß er doch darauf bestehen würde, gaben sie seinem heftigen Flehen nach und sandten wenn auch traurigen und bekümmerten Herzens ihre Wachen aus, um die alte Frau, die ja in Wirklichkeit eine verkleidete Prinzessin war, in das Schloß zu holen, woselbst sie dem Prinzen vermählt ward. Und zwar geschah das so still und heimlich, wie möglich, denn die Familie schämte sich der Heirath. Kaum[266] war die Hochzeit vorüber, so sagte der Prinz seiner jungen Frau: »Mein liebes Weib, wie lange beabsichtigst Du Deine alte Haut zu tragen? Bitte, sei so gut und lege sie ab.« Die Prinzessin begriff nicht, wer ihm ihr Geheimniß verrathen haben könne, oder ob er selbst dahinter gekommen sei und dachte in ihrem Sinne: »Wenn ich die alte häßliche Haut ablege, und mein Gemahl merkt, daß ich gut aussehe, so wird er mich im Schloß einschließen und wird mich nicht ausgehn lassen, und dann sehe ich mich außer Stande meine Schwester zu suchen. Nein, ich will sie lieber anbehalten.« Deßhalb antwortete sie ihm: »Ich verstehe nicht, was Du meinst. Ich bin nun einmal, wie die Jahre mich gemacht haben. Seine Haut kann niemand wechseln.« Da stellte sich der Prinz, als sei er zornig und sprach: »Wirf die alte, häßliche Vermummung von Dir oder ich bringe Dich um.« Sie aber hielt ihm den Kopf dar und sprach: »Tödte mich nur, es kann darum doch niemand seine Haut abstreifen.« Und all' diese Worte murmelte sie so undeutlich, als sei sie eine sehr alte Frau, die alle ihre Zähne verloren habe und nun nicht mehr ordentlich sprechen könne. Der Prinz aber lachte heimlich für sich und dachte: »Ich will doch sehen, wie weit sie den Spaß treibt.« Die Prinzessin aber behielt die alte Frauenhaut an. Nur jeden Morgen, etwa um drei Uhr, vor Sonnenaufgang erhob sie sich, streifte die Haut ab, wusch sie und zog sie wieder an. Das bemerkte der Prinz und deßhalb stand er auch einmal in aller Frühe auf und folgte ihr leise in das anstoßende Zimmer, wo sie die Haut wusch und sie auf dem Boden zum Trocknen aufspannte. Schnell nahm er dieselbe, lief damit fort und warf sie ins Feuer. Nun hatte die Prinzessin keine alte Frauenhaut mehr. Sie sah sich daher gezwungen in ihrer natürlichen Gestalt zu erscheinen. Und als sie nun traurig über die ihr entwendete Vermummung dastand, eilte ihr Gemahl herbei und[267] sagte lachend: »Nun mein Herz, wie ist Dir? Wo blieb Deine Haut? Kannst Du sie abstreifen, mein Liebling?« Die freudevolle Nachricht von der Verjüngung der alten Frau verbreitete sich bald durch das ganze Schloß. Alle Leute, die die schöne Prinzessin erblickten, riefen: »Wie gleicht sie der schönen Dschungeldame, die unsren jungen Rajah heirathete!« – Der alte Rajah und die Ranee waren über alles stolz auf ihre Schwiegertochter und führten sie zur Frau ihres ältesten Sohnes. Kaum aber hatte die Prinzessin das Zimmer ihrer kleinen Schwägerin betreten, als sie auch in derselben ihre lang verlorne Schwester wiedererkannte, und sie fielen einander in die Arme. Da herrschte ringsum große Freude; die glücklichsten aber von all den glücklichen Leuten waren die beiden Prinzessinnen, und sie blieben nun in Eintracht und Freude ihr Leben lang beisammen.


17. Das Rakshasschloß
Quelle:
Frere, M[ary]: Märchen aus der indischen Vergangenheit. Hinduistische Erzählungen aus dem Süden von Indien, Jena: Hermann Costenoble, 1874, S. 255-268.
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