[140] 51. Der Drache nach dem Winterschlaf

Es war einmal ein Gelehrter, der las im oberen Stockwerk seines Hauses. Es war ein wolkiger Regentag und trübes Wetter. Da sah er ein kleines Ding, das leuchtete wie ein Glühwurm. Es kam auf den Tisch gekrabbelt. Wo es gegangen war, hinterließ es schwarze Brandspuren, gekrümmt wie die Spuren eines Regenwurms. Allmählich schlängelte es sich auf das Buch, und auch das Buch wurde schwarz. Da fiel ihm ein, daß das wohl ein Drache sein könnte. Darum brachte er es auf dem Buche vor die Tür hinaus. Er stand eine gute Weile da; aber es blieb aufgeringelt sitzen, ohne sich im mindesten zu regen.[140]

Da sprach der Gelehrte: »Man soll nicht von mir sagen, daß ich es an Ehrerbietung habe fehlen lassen.« Mit diesen Worten trug er das Buch zurück und legte es wieder auf den Tisch. Dann zog er Feierkleidung an, machte eine tiefe Verbeugung und geleitete es hinaus.

Kaum war er aus der Tür, so sah er, wie es den Kopf hob und plötzlich sich streckte. Mit einem zischenden Laut flog es vom Buche auf, indem es einen leuchtenden Streifen bildete. Es wandte sich noch einmal nach dem Gelehrten um, da war sein Kopf schon so groß wie ein Faß, und sein Leib maß wohl ein Klafter an Umfang. Noch eine Schlangenwindung: da krachte ein schrecklicher Donnerschlag, und der Drache fuhr in die Lüfte.

Der Gelehrte ging dann zurück und sah nach, welchen Weg das Tierchen gekommen war. Hin und her gingen die Spuren bis zur Bücherkiste.

Quelle:
Wilhelm, Richard: Chinesische Volksmärchen.Jena: Eugen Diederich, 1914, S. 140-141.
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