[160] 38. Die Mandelsammlerin

[160] In Blissang bei Melegejok lebte einst eine Frau, die hieß Tipetepak. Jeden Morgen zog sie aus, um für sich und ihre alte Mutter Mandeln zu sammeln. Sonst hatten sie nichts zu essen, sie waren sehr arm und hatten nicht einmal Taro. Eines Morgens ging sie wieder aus und wanderte ins benachbarte Ngarabogu nach den Mandelbäumen, die einer Frau namens Komul Kayam gehörten. Sie kletterte auf einen Baum hinauf, um sich die Früchte herabzuholen. Wie sie oben war, kam die Frau Komul Kayam herbei; die wunderte sich, wer wohl auf ihren Bäumen wäre, und um nachzusehen, kletterte sie hinauf. Als aber Tipetepak dies bemerkte, versuchte sie zu entfliehen. Sie kannte den »Zauber des Zusammenkommens«, und sowie Komul Kayam zur Hälfte oben war, sprach sie ihn. Alsbald bog sich der nächste Baum zu ihr herüber, und sie stieg auf ihn hinauf. Das wiederholte sich mehrmals, bis Komul Kayam ihr vorschlug, doch herunterzukommen, um ihre Zauber gegenseitig auszutauschen, denn sie bewahrte das Geheimnis des Zaubersteins Ulokouk. Tipetepak war damit einverstanden, sie stieg vom Baum herab, und die beiden tauschten ihre Geheimnisse aus. Doch Tipetepak ließ bei ihrem Spruch das letzte Wort absichtlich weg, und als Komul Kayam den neuen Zauber versuchen wollte, fiel sie vom Baum herab und blieb tot liegen. Da war Tipetepak allein im Besitz beider Zauber. Der Ulokouk war aber eine am Feuer angebrannte Kokosnuß, die man auf dem Wasser schwimmen ließ. Dann kamen die Fische in Unzahl herbei, und man konnte beliebig viel von ihnen greifen. Das Brennen der Nuß geschah nur einseitig, und stets mußten dabei einige bestimmte Worte gesagt werden.

Eines Tages bat nun der Häuptling von Blissang die Frauen, doch einen Ausflug nach dem Dorfe Ngaramesgang [161] zu machen, um dort den Frauenverein zu besuchen. Tipetepak ging ebenfalls, obschon sie zu geringeren Mitgliedern des Frauenvereins zu Blissang gehörte. In Ngaramesgang wurden sie freundlich empfangen und bewirtet. Ein großes Fest wurde angesagt; der Oberhäuptling Gobakerai bedagal lud noch die übrigen Häuptlinge der Landschaft dazu ein und ließ sagen, sie möchten am andern Tage ins große Versammlungshaus kommen, wo der Frauenverein von Blissang abgestiegen war. Die vornehmste Frau solle ihn aber am Eingang erwarten.

Am andern Tag setzte sich nun die vornehmste Frau morgens in die Tür des Hauses und wartete auf den Oberhäuptling. Wie sie wartete, erschien ein gewaltiges schlangenähnliches Ungetüm mit einem Menschenkopf; darob erschrak sie so sehr, daß sie stracks zur andern Tür des Hauses hinauseilte; und mit ihr die übrigen Frauen. Nur Tipetepak blieb zurück; sie hatte keine Furcht. Sie setzte sich in die Tür und legte ihre kleine Handtasche auf die Schwelle, damit das Ungeheuer den Kopf darauf raste. Allmählich wälzte sich die ganze Masse in das Haus und ringelte sich an der Tür auf. Es war der Oberhäuptling Gobakerai bedagal. Er sagte zu den anderen: »Ich will Tipetepak haben, ihr könnt euch in die anderen teilen und euch mit ihnen vergnügen.« So blieb er bis zum Abend bei ihr und kehrte dann in sein Haus zurück. Solange die Blissang-Frauen da waren, kam er jedoch nicht wieder, denn es war ihm unlieb, ihnen ein Schrecken zu sein. Er wußte schon, was er tun wollte. Als nun der Tag herannahte, wo die Frauen sich von den Häuptlingen verabschieden mußten, da lud er nochmals alle Häuptlinge in das Haus und erschien selbst, um sie zu befragen, ob sie ihren Frauen auch nach altem Brauch Geld geschenkt hätten. Als das geschehen war, nahm er Tipetepak mit und sagte ihr, sie solle sich für die Abreise fertig machen. Er befahl, heißes Wasser herbeizubringen, worin sie sich waschen solle, und entschuldigte sich, daß er sie eine Weile allein lasse. Er wolle einige Nüsse holen. Er stieg auch auf eine Palme, [162] holte jedoch keine Nüsse, sondern legte seine Schlangenhaut ab, hing sie oben auf und kam als schöner Mann wieder herab. Und da Tipetepak mittlerweile durch das heiße Zauberwasser ihre frühere garstige Häßlichkeit abgewaschen hatte, so waren beide nun ein leuchtend schönes Paar, das überall Bewunderung fand. Gobakerai bedagal sagte den andern Häuptlingen, welche die Frauen wegbrachten, sie sollten schon vorangehen; er würde mit Tipetepak nachkommen. Als eine Zeit verstrichen war, machte Tipetepak den »Zauber des Zusammenkommens«, und alsbald waren die beiden auf dem nächsten Rastplatz, bevor die andere Reisegesellschaft eintraf. Da waren sie alle erstaunt, daß Gobakerai bedagal und Tipetepak schon hier waren, obwohl sie zuerst zurückgeblieben waren. Aber sie wagten nicht die beiden zu befragen, wie es kam. Und öfter noch ging es so, bis sie nach Blissang kamen. Dort wurden die Häuptlinge von Ngaramesgang drei Tage lang köstlich bewirtet; sie beschenkten ihre Gefährtinnen und machten sich darauf auf den Heimweg. Gobakerai bedagal aber nahm Tipetepak als seine Frau mit.

Tipetepak wurde schwanger und gebar eine Tochter, die sie bis zu ihrem zwölften Jahre selbst nährte. Eines Tages nahm die Mutter sie wie gewöhnlich mit ins Tarofeld; während Tipetepak nun arbeitete, kam ein Frosch aus dem Sumpf gesprungen, setzte sich vor der Tochter hin, machte seine Mätzchen und bespritzte sie mit Wasser. Zunächst kümmerte sich das Mädchen nicht darum. Erst als es sich täglich wiederholte, erzählte es davon der Mutter, die jedoch den Worten der Tochter keine Aufmerksamkeit schenkte. Immer wieder wiederholte sich das Spiel, bis das Mädchen zur Jungfrau erwachsen und wohl fünfzehn Jahre alt war. Da sagte der Frosch zu ihm, es solle doch am Abend auf ihn warten, er habe es etwas zu fragen. Das Mädchen hatte sich in der langen Zeit an ihn gewöhnt und ihn liebgewonnen. So sagte es freudig ja und machte abends sein Lager in der Nähe der Tür. Der Frosch kam denn auch herbei. Er zog seine [163] Haut aus und stand plötzlich als ein schöner Mann vor dem Mädchen. Es schlief mit ihm bis zum Morgen; dann schlüpfte er wieder in seine Froschhaut und machte sich unbemerkt davon. Dem Mädchen hatte er aber aufgetragen, doch die Mutter zu bitten, sich heiraten zu dürfen. Die willigte ein. Als sie nachmittags wieder im Tarofeld waren, teilte das Mädchen es ihm mit, und noch am selben Abend fand die Hochzeit vor Gobakerai bedagal und Tipetepak statt. Der Froschmann begab sich bald nach dem heiligen Platze in Ngeraod und erzählte seiner Geistermutter von der Heirat. Die freute sich sehr darüber und gab ihm ein kostbares rotes Geldstück mit; das solle er seiner Frau um den Hals hängen. Das geschah; und zum Dank ließ Gobakerai bedagal viel schönes Essen bereiten und sandte es der alten Froschmutter nach Ngeraod. Die nähte nun viele Taschen, füllte sie mit Geld und gab sie dem jungen Paar mit nach Ngaramesgang. Der jungen Frau hängte sie außerdem noch ein besonders wertvolles Geldstück um. Gobakerai bedagal freute sich über das viele Geld und verteilte es unter die Häuptlinge von Ngaramesgang. Der Halsschmuck der jungen Frau befindet sich aber noch heute in Palau.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 160-164.
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