[164] 39. Klubud singal

Es war einmal eine alte Frau, die hieß Magas und lebte im Dorfe Ngaraberug in der Landschaft a Imelik. Als sie eines Tages in ihrem Tarofeld arbeitete, die Stengel von den Wurzeln schnitt und sie wusch, da erblickte sie plötzlich im Wasser ein Kind. Sie ließ alles liegen, nahm das Kind in die Höhe und trug es nach Hause, wo sie ihm alle erdenkliche Pflege angedeihen ließ. Der Knabe wuchs rasch empor, und als er so groß war, daß er allein zum Bach gehen und wieder zurückkommen konnte, da regte sich auch schon in ihm die Tatenlust. Einmal sah er [164] die Leute auf Bambusflößen zum Fischen fahren. Er griff schnell nach einem Tarospieß, steckte ihn auf eine Bambusstange und sprang auf eins der Flöße, um sie zu begleiten. Die Leute gingen auf das Riff; er blieb jedoch auf dem Floß, und als eine Schule Papageifische vorüberschwamm, da speerte er den kleinsten und zog ihn auf das Floß hinauf. Die Leute auf dem Riff fingen nur kleines Seezeug. Sie wurden neidisch, und als es heimging, da wollten sie den Fisch des Knaben haben. Doch der gab ihn nicht her und trug ihn seiner Pflegemutter hin, die sich sehr darüber freute und ihn fortan Klubud singal nannte. Die Fischer hatten sich aber über die Undankbarkeit des Knaben geärgert und nahmen ihn fürderhin nicht wieder mit.

Es dauerte gar nicht lange, da war der Junge stark, selbst ein Floß zu führen. Auf seiner ersten Fahrt nahm er drei Tarospieße mit, und als wiederum eine Schule Papageifische vorüberschwamm, tauchte er mit den Spießen hinab und tötete drei Fische, die er nach oben auf das Floß brachte. Die anderen Leute waren ebenfalls wie sonst auf das Riff gezogen und sahen nun mit grenzenlosem Erstaunen, was Klubud singal gefangen hatte. Der kümmerte sich nicht weiter um sie, sondern fuhr nach Haus. Und als er an dem Landungsplatz anlegte, schenkte er einen Fisch dem Sohn von Reblued, dem Oberhäuptling von Galegui, den zweiten schnitt er in Stücke und verteilte ihn an die Knaben, die dort gerade auf den Steinen hockten, und den dritten brachte er seiner Pflegemutter. Den Tag darauf begab sich Klubud singal nach Garegui und wollte mit Reblued Freundschaft machen. Er wurde gut aufgenommen, denn der Oberhäuptling fand großen Gefallen an dem Knaben und gedachte, sich seine Fähig- und Geschicklichkeiten sehr zunutze zu machen. Er lud ihn ein, bei ihm zu bleiben und versprach ihm seine Tochter zur Frau. Es dauerte auch gar nicht lange, da war Klubud singal zum Schwiegersohn des Reblued geworden, obwohl er noch sehr jung war.

Eines Tages ging er wieder einmal fischen, und weil er [165] zehn Speere mitgenommen hatte, brachte er auch zehn Fische mit herauf. Seine Freunde kamen auf ihren Flößen herbei und waren über den kühnen Fischer entzückt, mit dem sie fortan allein noch zum Fang ausziehen wollten, denn das Sammeln von dem Kleinzeug auf dem Riffe deuchte ihnen nun zu ärmlich. Die zehn Fische wurden aber dem Reblued ins Haus gesandt, der zwei davon an die Pflegemutter seines Eidams schickte und die übrigen im Dorfe verteilen ließ. Bald darauf bat Klubud singal seinen Schwiegervater, er solle den jungen Leuten den Auftrag geben, Bambus, Lianen und Bast herbeizubringen, damit er einen Fischkorb machen könne. Das geschah auch; und als alles beisammen war, ging er damit auf seinen Fischgrund; nur seine Frau und sein Freund begleiteten ihn. Er fing viele Fische und sandte sie durch seinen Schwager heim. Aber er selbst tauchte dann mit Bambus, Lianen und Bast im tiefen Wasser unter und fertigte sich dort einen Fischkorb. Damit fing er viele Fische, während seine Frau oben auf dem Flosse wartete. Eine Stunde vor Sonnenuntergang gingen die beiden dann heim.

Und jeden Tag fischten sie in derselben Weise, bald hier, bald da. Einmal fuhren sie auch nach dem großen Riffeinlaß von Ngaramau. Dort sollte das Unheil geschehen. Denn während Klubud singal unten im Wasser fischte und seine Frau oben auf dem Floß wartete, kamen gerade einige Fischer von der Insel Ngarekeklau des Weges, die im Auftrage ihres Häuptlings, des a Ugelkeklau, Fische für ein bevorstehendes Fest fangen sollten. Als sie die Frau erblickten, fielen sie über sie her und entführten sie nach ihrer Insel; zum Zeichen, daß sie einen guten Fang getan hatten, steckten sie eine Arekablattscheide an eine Bambusstange und richteten sie als Siegeszeichen auf. Die Frau vom Ugelkeklau sah von ihrem Haus aus, das oben auf der Höhe der Insel stand, die Fischer kommen. Als sie das Siegeszeichen bemerkte, rief sie schnell ihren Mann herbei und hieß ihn an den Strand gehen und nachsehen, was für einen Fang die Fischer getan hatten. Ugelkeklau ging also an den Strand; o, wie [166] war er überrascht, als er die schöne Frau dort im Boote sah! Sie gefiel ihm so, daß er sie alsbald mit nach oben nach seiner Behausung auf dem Berge nahm. Und als seine Gattin ihm entgegeneilte, da rief er ihr nur zu: »Pack du nur deine Sachen zusammen und zieh in ein anderes Haus. Die Frau ist meine Festbeute und soll allein bei mir bleiben!«

Als Klubud singal wieder an die Oberfläche kam und das Floß leer fand, ging er tief bekümmert zu seiner Pflegemutter und klagte ihr sein Leid. Sie wurde sehr traurig; was würde Reblued nur sagen? Angstvollen Herzens band sie sich, wie die Palaufrauen in solchen Fällen zu tun pflegen, ein Bastband um den Leib und begab sich zum Oberhäuptling, um ihm die böse Kunde zu bringen. Klubud singal wollte jedoch nicht, daß seine alte Pflegemutter hart angelassen würde; und so faßte er sich ein Herz und ging selber zum großen Häuptling und erzählte ihm, was sich zugetragen hatte. Der Alte wurde sehr ärgerlich und jagte ihn im Unmut von dannen, und weil er an das Unglück glaubte, traf er die Vorbereitungen zu einem Leichenfest für seine Tochter.

Klubud singal kehrte zu seiner Pflegemutter zurück, und beide beklagten bitterlich ihr arges Mißgeschick. Sie dachten hin und her, wie sie wohl etwas über Reblueds Tochter erfahren könnten, und schließlich sagte die Alte zu ihrem Sohn: »Geh, schau dich nach einem gadepsungel-Baum um; wenn du einen findest, dann schlag ihn an und sieh, ob Blut herauskommt. Ist es der Fall, so hau ihn um und schnitze dir aus dem Stammholz einen Vogel.« Klubud singal tat, was die Mutter ihm sagte, aber er suchte vergeblich nach dem Baum; und so sagte die Alte: »Sei nur ruhig! Geh morgen früh hinter das Haus, dort liegt ein gadepsungelstamm, den schlage an!« Der Jüngling tat, wie ihm geheißen, und als er den Stamm anschlug, floß Blut heraus; da schnitzte er sich aus dem Stamm einen Vogel. Es wurde ein Fregattvogel. Als er ihn fertig hatte, erzählte er es seiner Pflegemutter. Die gab ihm weitere Ratschläge. [167] »Tu den Vogel in einen Korb und bedecke ihn mit Taroblättern. Dann bring ihn hinters Haus auf die Heide und warte dort, und wenn ein Vogel vorüberfliegt, dann mußt du sagen: ak ruaol ra busog! Ich lese eine Feder auf.« Er folgte dem Rate; und alle vorüberfliegenden Vögel ließen auf den Anruf hin Federn fallen. Die tat er in den Korb und trug ihn nach Haus. Die Mutter wies ihn jetzt an, den Holzvogel mit den Federn zu bestecken und eine Höhlung hineinzumachen, in die er dann kriechen solle. Als das geschehen war, nahm die Alte einen Kokoswedel und schlug damit unter Zauberworten auf den Boden, worauf sich der Vogel in die Lüfte erhob und langsam wieder zur Erde zu rückkehrte.

Nun mußte Klubud singal Fische fangen, die geräuchert wurden. Auch Taro wurde gekocht. Als so der Reisemundvorrat fertig war, sagte die Alte: »Nimm das Essen mit in den Vogel hinein, lege ein paar Matten dazu, fliege los und suche deine Frau.« Denn die Alte glaubte, daß die Frau ihres Sohnes nur entführt worden, aber nicht tot war. Wieder schlug sie den Boden mit dem Kokoswedel; der Vogel erhob sich in die Lüfte und flog über Palau hin davon. Er flog lange hin und her, und nach vielem Suchen gewahrte er endlich auf dem Berge von Ngarekeklau seine Frau. Sie saß neben dem Ugelkeklau, und beide lausten einander. Er richtete seinen Flug hinab in die Nähe des Paares, um sich zu vergewissern, ob sie es auch wirklich wäre. Und sie war es wirklich: Da indessen alle Leute zusammenliefen, um den merkwürdigen Vogel zu sehen, erhob er sich rasch wieder, damit sie ihn nicht mit Steinwürfen herabholten. Dabei hörte er noch gerade, wie ein Mann zum Ugelkeklau sagte, die Fischer wollten einen großen Fang tun, und der darauf erwiderte: »Gut, dann können wir ja morgen mit dem Fest beginnen und die Kokosnuß zerbrechen.« Klubud singal flog nun dahin, wo die Leute fischten und ließ sich auf dem Boote des Ältesten der Fischergenossenschaft, des Tegogo aus Golei, nieder. Der reichte ihm einen Fisch hin, und Klubud [168] singal holte ihn mit der Hand herein, so daß gar niemand merkte, daß der Vogel nur ein nachgebildeter war. Sie fingen viele Fische, und auf der Heimfahrt ließ Tegogo sein Boot von den übrigen schleppen und machte mit seinen Leuten den Vogel fest. Sie hißten auch wie damals, als sie die Frau des Klubad singal entführten, das Siegeszeichen. Als Ukelkeklau es gewahrte, rief er der Frau zu: »Schau, da liegt ein großer Klumpen auf dem Boot, was das wohl sein mag!« Sobald die Fischer am Strand gelandet waren, schickten sie ihm die Botschaft, sie hätten viele Fische gefangen, aber den Rest weggeworfen wegen eines großen schweren Vogels, den sie gefangen und am Boote festgebunden hätten. Was getan werden solle? Ugelkeklau sagte: »Bringt erst einmal alle Fische herbei und dann den Vogel. Den bindet ihr am besten an einem Brotfruchtbaum fest.« So geschah es, und Ugelkeklau konnte ihn mit seiner gestohlenen Frau ruhig betrachten.

Als nun die Fische verteilt wurden, piepte der Vogel oft ein wenig. Da erhielt er viele Fische und schließlich auch süße Speisen. Zur Genugtuung und Freude des Insassen, aber zur Besorgnis des Ugelkeklau, obwohl der den Betrug nicht merkte. Am folgenden Tag wurden die Fischer abgelohnt. Alles blieb bis zum Abend beieinander, und erst nach Auszahlung des Geldes begaben sich die Gäste heim. Den Tag darauf wurden die Gehöfte gereinigt und das Dorf gesäubert. Aber erst nachmittags, als Ugelkeklau baden gegangen war, blieb die Frau allein. Klubud singal öffnete nun die Tür im Vogel und winkte. Seine Frau erkannte ihn sogleich. Als sie sich anschickte, zu ihm zu eilen und ebenfalls in den Vogel hineinzusteigen, da rief er ihr zu, rasch noch den Korb mit dem Gelde und etwas süße Speise mitzunehmen. Sie brachte auch alles herbei und begab sich damit in den Vogel hinein. Klubud singal löste alsdann das Tau, mit dem der Vogel festgebunden war, und wartete auf die Rückkehr der Leute. Es dauerte nicht lange, da kamen sie zurück, und wie Ugelkeklau die Frau nicht fand, dachte er, sie wäre ausgegangen. [169] Er blieb ruhig im Hause sitzen. Bald danach kam ein Trupp junger Leute, die mit Krach und Gepolter eine Last Feuerholz vor dem Hause abwarfen. Der Vogel erschrak vor dem Lärm, und als er sich wiederholte, da flog er plötzlich hoch hinauf in die Lüfte, auf und davon. Erstaunt sahen Ugelkeklau und die übrigen ihm nach; Klubud singal richtete aber den Kurs auf Galegui nach dem Hause von Reblued. Dort war die Totenfeier noch nicht beendet. Das ganze Haus saß noch voll von Menschen. Klubud singal öffnete die Tür; und als alle herbeiströmten, stieg er mit seiner Frau heraus. »O, da ist ja Turang, unser Liebling, die Totgeglaubte!« riefen sie alle und sandten nach seiner Pflegemutter. Klubud singal holte noch den Geldkorb, und dann zogen sie vereint ins Haus des Reblued, wo die Trauerversammlung weinend beieinander saß. Als sie die Eintretenden gewahrten, da wandelte sich rasch der Schmerz in helle Freude um, die noch größer wurde, als Klubud singal das Geld des Ugelkeklau unter sie verteilte.

Unterdessen besichtigten die Dorfkinder von Galegui den seltsamen Vogel. Da die Tür durch einen aufgestellten Stock offengehalten wurde, stiegen sie hinein, um ihn aus Neugier auch innen zu betrachten. Plötzlich stieß eins gegen den Stab; die Tür fiel zu, und durch den Lärm hob sich der Vogel in die Lüfte und entschwand nordwärts. Wo heute Ngardmau liegt, ging er nieder. Er verwandelte sich in Land, auf dem die Kinder sich ansiedelten und so das jetzige Ngardmau begründeten.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 164-170.
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