5. Der Stecknadelkopf.

[5] Ein Handwerksbursche gieng auf seiner Wanderschaft bei Nachtzeit durch einen finstern Wald und kam zu einer ärmlichen Hütte. Da es eben anfieng arg zu wettern, trat er ein und bat um ein Nachtlager. Der Hauswirt aber sagte: Mein Weib liegt in den Wochen, ich kann euch nicht aufnehmen. Aber der Handwerksbursche bat inständig ihn doch nicht in das schlimme Wetter hinauszustoßen. Da ließ ihn der Hauswirt weiter und wies ihm die Hölle zum Nachtlager an, das ist der Platz hinter dem Ofen. Inzwischen war das erwartete Kind auf die Welt gekommen und war ein Mädchen. In stiller Mitternacht nun, als alles schlief und die Wöchnerin auch, hörte der Handwerksbursche ein leises Geräusch und wie er hinter dem Ofen hervorschaute, gewahrte er drei weiße Frauen, die saßen am Tische und aßen von dem Brode und dem Salze, das man ihnen vorgelegt hatte, und dabei beriethen sie über das Loos des Kindes. Endlich sagte die eine: Wen geben wir ihr zum Manne? Den hinter dem Ofen, erwiederte die andere. Und er soll durch sie den Tod haben, sagte die dritte. Hierauf erhoben sie sich leise und verschwanden. Es waren die Schicksalsrichterinnen, die Sudičky.[5]

Der Handwerksbursche hinter dem Ofen aber erschrack gewaltig, als er die Rede der weißen Frauen gehört hatte. Ich soll so lange warten, bis ich heirathe und dann noch den Tod durch sie haben, dachte er bei sich und stieg leise aus der Hölle heraus, gieng zum Kinde, das ruhig in der Wiege schlummerte und stach ihm eine Stecknadel in den Kopf. Das Kind schrie auf, er aber eilte aus dem Hause und lief davon.

Als das Kind so weinte, erwachte die Mutter; sie wußte aber nicht, was geschehen sei. Das Kind ließ sich denn auch stillen und wuchs auf, ohne daß jemand die Nadel in seinem Kopfe bemerkt hätte. Als das Mädchen erwachsen war, und schon Vater und Mutter verloren hatte, gieng es nach Prag in den Dienst. Hier begegnete ihr oft, wenn sie auf den Markt gieng, ein Mann, der sie immer so freundlich anschaute. Er war zwar nicht mehr jung, aber er gefiel ihr und eh ein Jahr vorüber war, hatten sie sich geheirathet und lebten glücklich und zufrieden. An einem Sonntag-Nachmittage nun bat die Frau ihren Mann, er möge ihr auf dem Kopfe krauen. Der Mann that es ihr; dabei kam er auch auf die Stelle, wo das Stecknadelköpfchen hervorragte. Der Mann erschrack. Es war der nämliche Mann, der damals bei der Geburt des Mädchens in der Hütte ihrer Eltern übernachtet hatte. Er war von dort nach Prag gegangen, war Bürger und Meister geworden und hatte sich ein hübsches Vermögen erworben. Als er aber jetzt den Stecknadelknopf im Kopfe seiner Frau fand, erinnerte er sich alsogleich an jene Nacht und an den Spruch der Loosrichterinnen und fragte die Frau, woher sie das habe? Sie wisse nicht, was es sei, sagte die Frau, es sei ein altes Zeichen. Es ist ein Nadelköpfchen, sagte der Mann, darf ich es herausziehen? Und er faßte das[6] Nadelköpfchen und zog ihr richtig die Stecknadel aus dem Kopfe. Augenblicklich aber strömte auch das Blut hinter der Nadel und ließ sich nicht mehr stillen. In einer Stunde war seine Frau eine Leiche. Da erfaßte den Mann eine wilde Verzweiflung, weil er Schuld sei an dem Tode seiner lieben Frau; er wollte auch nicht länger leben und gab sich selbst den Tod. So gieng der Spruch der Schicksalsrichterinnen doch in Erfüllung. (Emanuele Klauczek aus Prag.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 5-7.
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