III.
Bergentrückte Helden.

[7] Wenn im Verlauf des Jahres die Natur verödete und der umwölkte Himmel statt befruchtenden Regens eisigen Schnee zur Erde niedersandte: da meinte man, die bösen Winterdämonen hätten die Oberhand gewonnen und der Sommergott (Wuotan, Swantowit) mit seinen himmlischen Kriegern sei im Kampfe gegen sie gefallen und zur Unterwelt hinabgestiegen. Dort träumte er in todtenähnlicher Erstarrung dem Frühlinge entgegen. Wenn aber wiederum seine Zeit kam, so erwachte der Sommergott und brach mit den himmlischen Kriegern auf, um neuerdings wider die Winterriesen zu kämpfen, die inzwischen Not und Jammer über die Welt gebracht hatten. Ein furchtbarer Kampf entstand, die Dämonen wurden besiegt – eine stürmische Wetternacht und der Frühling, die schöne goldene Zeit, war wieder eingekehrt im Lande.

Diese Mythe hat sich nun nach zwei Seiten hin weiter entwickelt. Was man von den Vorgängen im Sonnenjahre erzählte, übertrug man später, als der ursprüngliche Sinn der Mythe sich verwischte, auf das Weltenjahr. Man verlegte[8] den furchtbaren Kampf mit den Dämonen an das Ende der Tage und knüpfte daran den Untergang der Welt. Die goldene Zeit, sagte man dann, sei durch die Schuld der Götter und den Tod des Lichtgottes (Baldur) für immer verloren gegangen. Das Verderbniß in der Welt nehme immer zu, bis endlich die furchtbarste Verwilderung einbricht. Drei Jahre hindurch werden ungerechte, widernatürliche Kriege, Mord und Ehebruch die Welt erfüllen. Dann folgt ein furchtbarer Winter, der wiederum drei Jahre dauert. Hierauf geht der lange gefürchtete Kampf zwischen den Dämonen und Göttern los, in welchem die meisten Götter getödtet werden. Götter und Dämonen erschlagen sich wechselseitig; bis endlich die ganze Welt im Weltbrande untergeht. Aber nachdem das Schreckliche vollendet ist, taucht die Erde zum andernmale aus dem Wasser und fängt an schöner und herrlicher zu grünen, der Lichtgott (Baldur) kommt aus der Unterwelt zurück und die goldenen Zeiten kehren wieder.

Wie hier auf das Weltenjahr so wurde anderseits der Mythus vom schlafenden Sommergotte auf die Erde übertragen. Der Sommergott gieng in die Gestalten der Lieblingshelden seines Voltes über. Das geschah insbesondere nach Einführung des Christenthums, wo man die Götter nicht mehr als solche erkannte, sondern in ihnen höchstens Könige und Helden erblickte, die vor grauer Zeit gelebt hätten. So entstanden in Böhmen die Sagen von König Wenzel und den Rittern im Berge Blanik. König Wenzel ist der Gott Swantowit, die Ritter die himmlischen Krieger, an deren Spitze der Gott einst der Erde die schöne goldene Zeit des Frühlings erkämpfen wird. Nur wird jetzt unter der schönen goldenen Zeit die Größe und Herrlichkeit[9] des Böhmerlandes verstanden. So hat die Sage politische Färbung gewonnen; auch mischt sie sich vielfach mit den Mythen vom Weltuntergange.

Daß die Sage vom Berge Blanik, trotz ihrer Aehnlichkeit mit den deutschen Sagen vom Kyffhäuser, slavischen Ursprungs sei, erhellt aus den verwandten serbischen und bulgarischen Sagen von König Marko, der vielfach an Swantowits Stelle getreten ist.

In der Bulgarei glaubt man, der König Marko sei nicht gestorben, sondern lebe noch. Einmal sei er als Handelsmann auf einem Schiffe übers Meer gefahren; ein plötzlicher Sturm aber habe ihn genötigt auf einer wüsten Insel zu landen. Dort habe er wunderschöne Paläste gefunden und in diesen Palästen wohne er gegenwärtig. Bald aber wird die Zeit kommen, wo er wieder auf Erden herumgehen wird.

Nach einer anderen Sage soll sich König Marko irgendwo verborgen halten, seitdem die Flinten erfunden worden. Er habe es nicht glauben wollen, daß eine Flinte eine solche Wirkung hervorbringen könne und habe deshalb einen Versuch gemacht. Dabei sei ihm die Hand durchbohrt worden. Da habe Marko ausgerufen: Jetzt ist es Zeit, daß ich gehe. Wenn das kleinste Kind einen Helden tödten kann, so mag ich nicht länger mehr auf der Erde leben.

Westlich von Vardar in der Nähe des eisernen Thors erhebt sich ein Berg, dort soll der König Marko verborgen sein. Wenn die Reisenden dort vorübergehen, rufen sie: Marko, lebst du? Und wenn das Echo die Worte wiederholt, so sagen sie, Marko habe geantwortet.

Nach serbischem Volksglauben soll der Königssohn Marko im Berge Urvina mit seinem Pferde Scharatz schlafen.[10] Sein Schwert wächst langsam aus dem Berge. Wenn es völlig herausgekommen sein wird, so wird Marko erwachen und sein Volk befreien. Bis jetzt ragt es aber erst bis zur Hälfte aus dem Berge (mündlich). Nach anderen Sagen hat er sich nach Erfindung des Schießpulvers in die Alpen zurückgezogen, wo er noch immer als Eremit in einer Höhle lebt.1

Merkwürdig in mehr als einer Beziehung sind die Sagen von dem huculischen Räuberhauptmann Dobocz in den Karpathen. Es war dies ein ungeheuer starker Mann, der Thüren aus den Angeln hob, Schlösser abdrehte und sich oft, von einer ganzen Compagnie Soldaten umringt, glücklich durchschlug. Er trug ein Drahthemd, das ihn unverwundbar machte. Wegen seiner wunderbaren Heldenthaten wurde er von den Huculen für einen Gott gehalten. Im Gebirge des Streyer Kreises unweit dem Dorfe Polansko liegt in einem Walde ein Felsen, der die Form eines großen Hauses hat. In diesen Felsen sind mit vieler Mühe Zimmer, Fenster und Thüren eingemeißelt. Das soll die Arbeit des Dobocz sein und hier soll er auch gewohnt haben. Doch hauste Dobocz auch auf der Czorna hora inmitten der Karpathen in einer tiefen Höhle, die mit seiner Felsenwohnung bei Polansko durch einen unterirdischen Gang in Verbindung stand. Von hier aus besuchte er seine Geliebte, die Frau eines huculischen Bauern, die eine böse Zauberin war. Sie soll sehr schön und kräftig, aber auch sehr eifersüchtig gewesen sein und alle übrigen Geliebten des berühmten Räubers verzaubert haben. Von ihrem Manne angestiftet fragte sie einst den Räuber, wie er zu verwunden sei. Dobocz antwortete, daß[11] er nur durch eine Glaskugel getödtet werden könne, über welcher 12 heil. Messen gelesen worden wären, doch müßten in der Glaskugel sieben Weizenkörner sein, über deren jedes wiederum zwölf Messen gelesen worden wären. Mit einer solchen Kugel erschoß denn auch der Mann den Räuber, als dieser seine Geliebte besuchen wollte. Zum Tode getroffen nahm Dobocz noch seinen Topor (Axt) und spaltete damit einen ungeheueren Eichenklotz und bestimmte, daß der sein Nachfolger werden solle, der einen ähnlichen Hieb führen könne. Aber niemand war das im Stande. Nach andern aber ist Dobocz nicht todt, sondern von seiner eifersüchtigen Geliebten in die Felsenhöle auf der Czorna hora auf viele, viele Jahre verzaubert. Dort unter jenem Felsen haust er noch bis heute und zählt fortwährend das Geld, das er dort verborgen hat. An gewissen Tagen des Jahres kommt er mit seinen Gesellen heraus und ist dort schon öfters von den Bergbewohnern gesehen worden. Zu der Wohnung selbst soll man erst durch drei eiserne Thüren gelangen, aber die Felsenhöle ist von ungeheurer Tiefe und mancher Bergbewohner, der von Habgier getrieben sich die Reichthümer des berühmten Räubers aus der Tiefe holen wollte, hat da seinen Untergang gefunden. Auch zieht Dobocz jeden, der sich dem Steine nähert, in die Höle hinein, daß er niemals wieder zum Vorschein kommt. Mit diesen Leuten verstärkt Dobocz seine Bande, denn nachdem der Zauber seiner Geliebten gebrochen sein wird, wird er mit seiner Räuberschar wieder zum Vorschein kommen und Rache nehmen an den Menschen, die ihn betrogen haben. An manchen Tagen soll Dobocz seine Frau in der Felsenwohnung bei Polansko besuchen, die dorthin gleichfalls von der eifersüchtigen Bäuerin verzaubert sind.[12] Dann sollen die Bergbewohner dort Musik und Gesang gehört und Licht in der Nacht und viele Männer und Frauen und unter ihnen den schönen Dobocz gesehen haben.2

Eine ähnliche Entwickelung hat die Mythe auch im Persischen, dort glaubt man daß der göttliche Sam nicht todt sei, sondern bloß schlafe, und zur Zeit der Todtenauferstehung erwachen und wiederkommen werde, um die Geschöpfe Ahrimans zu vertilgen und das Reich des Çaosiosch wiederherzustellen.3

1

A. Mickiewicz dei canti popol. illirici. pg. 55.

2

Mitgetheilt von Fr. Langenhahn.

3

Zeitschrift für die deutsche morgenl. Gesellschaft. III, 247.

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 7-13.
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