Das Weinfaß im Helfenstein.

[30] Eine Meile von Trautenau in Böhmen, auf dem Riesenberge, liegt der Helfenstein, ein hoher Fels, auf dem sonst ein Raubschloß stand. Dieses Raubschloß aber ist versunken und niemand weiß, wo die Menschen, die darin lebten, hingekommen sind. Im Jahre 1614 lebte zu Marschendorf eine junge Magd, die nicht weit von diesem Felsen das Vieh hütete. Eines Tages nun hatte sie mehrere Kinder bei sich. Zu diesen sprach sie: »Kommt, laßt uns hin zum Helfenstein, ob wir ihn vielleicht offen finden und das große Weinfaß sehen.« Die Kinder waren neugierig und giengen mit. Als sie zu dem Felsen kamen, stand dieser offen und durch eine Eisenthür, daran ein Schloß mit vielen Schlüsseln hieng, gelangten sie glücklich in das Innere[30] des Berges. Erst kamen sie in ein weites Vorgemach. Als sie weiter giengen gelangten sie in einen großen Saal, dort lag allerhand Hausrath, besonders ein großes zehneimeriges Faß Wein, davon waren die meisten Dauben abgefallen, allein es hatte sich eine fingerdicke Haut angesetzt, so daß der Wein nicht herauslaufen konnte, und wenn sie diese mit Händen angriffen, schlotterte es und gab nach, wie ein Ei mit weicher Schale. Indem sie nun solches betrachteten, kam ein Herr aus einer schönen Stube, mit einem rothen Federbusch auf dem Hut, in der Hand eine große zinnerne Kanne, Wein zu holen. Beim Thüraufmachen warfen sie einen Blick in die Stube, wo es sehr lustig herzugehen schien. An zwei Tischen saßen schöne Mannsund Weibsbilder, hatten Musik und waren fröhlich. Als der Mann, der den Wein zapfte, die Kinder erblickte, hieß er sie willkommen und in die Stube gehen. Diese aber erschracken und wünschten sich weit davon. Endlich faßte die Magd ein Herz und sagte, sie wären zu unsauber und nicht angeschickt zu so wohlgeputzten Leuten zu gehen. Der Mann bot ihnen hierauf zu trinken an und reichte ihnen die Kanne. Als sie sich entschuldigten, hieß er sie warten, bis er für sie eine andere Kanne geholt hätte. Während er abwesend war, sagte die Aelteste: »Laßt uns hinausgehen, es möchte nicht gut werden; man sagt, die Leute seien in den Bergen hie verfallen.« Da giengen sie eilends heraus, hinter sich hören sie nach wenig Schritten ein Knallen und Fallen, daß sie heftig erschracken. Nach einer Stunde sagte die Aelteste wieder: »Lasst uns noch einmal hin und sehen, was das gewesen ist, das so gekracht hat.« Die anderen wollten nicht, da aber die Große so kühn war, allein hinzugehen, folgten die andern nach. Sie sahen aber weder Eingang[31] noch eiserne Thüre, der Fels war fest zu. Wie sie das Vieh eingetrieben, so erzählen sie alles den Eltern, diese berichten es dem Verwalter; allein der Fels blieb zu, so oft man ihn auch in Augenschein genommen. (Nach Gebhart, Oesterreich. Sagen S. 265.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 30-32.
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