XXI.
Rübezahl.

[318] Wie Bienenberg erzählt, pflegten noch im vorigen Jahrhunderte die Leute aus Melnik und den Niederungen an der Elbe ins Riesengebirge zu den Quellen der Elbe zu wallfahrten und daselbst schwarze Hähne nach uraltem Brauche fliegen zu lassen, damit Rübezahl nicht durch Ueberschwemmungen ihre Felder verwüste.1 Dasselbe bestätigt Krolmus. Er selbst habe, sagt er, im Jahre 1805 und 1814 noch solche Pilger gesehen, von denen die Männer schwarze Hähne, die Weiber schwarze Hennen in das Riesengebirge zu den Quellen der Elbe trugen. Dort ließen sie die Hähne im Walde fliegen, die Hennen aber warfen sie ins Wasser. Drei Tage blieben sie gewöhnlich im Gebirge, sie füllten die mitgebrachten Geschirre mit Wasser und suchten im Walde und besonders in Rübezahls Garten nach Kräutern. Mit dem Wasser wuschen sie daheim das kranke[319] Vieh, und die Kräuter mischten sie demselben ins Fressen; auch räucherten sie damit die Ställe aus, damit sie Glück und Segen hätten.2 Diese Nachrichten sichern dem Berggeist Rübezahl oder wenigstens dem Riesengebirge seine mythologische Bedeutung.3 Dr. Eiselt in seiner Schrift über Johannisbad4 hält den Berggeist Rübezahl für eine Erfindung der Italiener, die schon frühzeitig hier nach Gold und Edelsteinen suchten, und deren geheimnißvolles Wesen Anlaß zu allerlei Märchen gegeben hätte. »Wahrscheinlich gab einer von diesen Schatzgräbern, der das meiste Ansehen genoß, die Oberleitung führte, hinlängliches Vermögen besaß, in alchymistischen Künsten bewandert war und Rubezzo Giovanni hieß, Veranlassung zu all den Spukgeschichten, theils um das leichtgläubige Gebirgsvolk zu täuschen und von ähnlichen Nachgrabungen abzuhalten, theils um sich Spaß zu machen und die ganze Gebirgsbevölkerung in Furcht und Respekt zu halten.« Im Auftrage der deutschen und wälschen Edelsteinsucher habe dann im I. 1661 der Leipziger Magister Prätorius sein Buch über Rübezahl geschrieben, wodurch der Glaube an den »Herrn des Riesengebirges« erst rechte Verbreitung gefunden.5 Allein die Quellen der Elbe, Rübezahls oder Teufels Lustgarten, ein kräuterreicher Fleck am Gehänge der schwarzen Koppe, sind jedenfalls heidnische Cultusstätten, die längst[320] vor der Ankunft der welschen Gold- und Edelsteinsucher mit Gespenstern erfüllt waren. Die schwarzen Hähne, die noch im vorigen Jahrhunderte dort geopfert wurden, weisen auf Swantovit. Wie Swantovit ist auch Rübezahl der Wetterherr, der Blitz und Donner, Regen und Schnee vom Berge niedersendet; als Mönch in aschgrauer Kutte sitzt er auf dem Berge und hält ein Saitenspiel in der Hand und schlägt mit solcher Kraft in die Saiten, daß die Erde davon erzittert; oft erhebt er sich im Fluge über die höchsten Gipfel der Bäume, und wirft sein Saitenspiel mit Donnergetöse auf die Erde, bald wieder reißt er im Wirbelwind die Bäume aus und dreht sie im Kreise.6 Rübezahl erscheint hier als Sturmgott, der ebenfalls seinem Saitenspiel die wunderbarsten Klänge entlockt und im Wirbel durch die Lüfte fährt. Endlich aber war Rübezahl, wie Prätorius ausdrücklich hervorhebt, der Patron der Quacksalber und Kräutersammler, die auf Jahrmärkten sein Bild als Aushängeschild an ihre Buden hängten. Um sich in seiner Gunst zu erhalten, nannten sie ihn nicht Rübezahl, sondern Herr Johannes; er zeigte ihnen die Heilkräuter, sagte ihnen, wozu sie zu verwenden seien und half ihnen wohl selbst die Wurzeln ausgraben.7 Auch darin stimmt Rübezahl zu Swantovit, dem Heilgotte der Slaven, und die Nachricht des sonst häufig unsichern Krolmus, daß die böhmischen Pilger von den Quellen der Elbe heilkräftiges Wasser und heilsame Kräuter mitgenommen hätten, steht hiezu im besten Einklange.[321]

Nach alle dem könnte also Rübezahl unmittelbar an die Stelle des slavischen Gottes, der in heidnischer Zeit dort oben verehrt wurde, getreten sein; jedenfalls hat sich mannigfach altheidnischer Aberglaube an seine Person geheftet.

Je mehr Rübezahl durch diese Sagen an Popularität gewann, desto mehr ergieng es ihm, wie dem Eulenspiegel und den Lalenbürgern. Es krystallisirten sich um seine Person eine Menge Sagen, die ihr ursprünglich ganz fremd waren, wie unter den hier mitgetheilten, die vom Fischtanze. Prätorius macht sogar den unglücklichen Versuch die Sage vom Nachtjäger, der im Riesengebirge jagt, mit Rübezahl in Verbindung zu bringen8, und ebenso ein kleines unbedeutendes Schriftchen aus neuester Zeit.9 Altes und Neues ist hier durcheinander geworfen und nur der eindringlichsten Forschung an Ort und Stelle dürfte es gelingen, hier Licht zu gewinnen.

Nach Balbin10 pflegt Rübezahl am Gipfel der Schneekoppe zu sitzen, seine Füße über den steilen Abhang zu strecken und mit denselben zu klatschen und zu strampeln. Dabei stößt er ein eintöniges Geschrei aus. Er hat die Gabe, sich in alle Formen zu verwandeln, bald hüllt er sich in eine Mönchskappe, bald erscheint er als Jäger, bald als Greis mit langem herabwallenden Barte. Ein andermal nimmt er die Gestalt eines wilden Pferdes, einer ungeheuren häßlichen Kröte, eines Hahnes,[322] oder eines lauernden Raben an. Zuweilen läuft er als Bock über die Wiese, oder zeigt sich in ungeheuerlicher Gestalt, die feurige Kugeln aus dem Rachen speit oder mit einem Wasserstrom die Goldsucher überschüttet. In der Regel thut er Niemanden etwas zu leide; ja er unterhält sich gern mit den Menschen, lehrt sie die Heilmittel kennen, die auf seinem Gebirge wachsen, und beschenkt die Armen wohl selbst mit Heilkräutern oder mit Goldkörnern. Den Namen Rübezahl kann er nicht leiden, sondern will Schatzhüter genannt werden. Die Kräutersammler nennen ihn Herr Johannes. Wenn man ihn verspottet, oder beleidigt, erscheint er in ungeheuerlicher Gestalt, bringt er den Himmel in Aufruhr, er erregt Blitz und Donner, Regen und Schnee und verbreitet selbst inmitten des Sommers die furchtbarste Kälte. Böhmische Sagen erzählen von ihm als von einem Zwerge, den seine Tante in jene Berge gebannt habe. Ich werde im zweiten Bande Näheres darüber mittheilen und lasse hier nur beispielweise einige wenige Sagen aus Prätorius folgen.

1

Bienenberg, Alterthümer, Königgrätz 1779. 2. B.S. 129.

2

Krolmus Staročesk. pověst. 1, 417. Krolmus ist allerdings nicht zuverlässig, Bienenberg aber ein ganz unverfänglicher Zeuge.

3

Grimm, Myth. 448, hielt ihn für einen Waldschrat.

4

Der Johannisbader Sprudel 1843.

5

Illustr. Chronik 2, 452.

6

Nach einem Berichte von Joh. Mayer in Balbin's Miscell. I. c. 6 §. 2.

7

Praetorius, Daemonologia Rubenz. 1, 137. 225.

8

Daemonol. Rub. 1. S. 140; 2, 134.

9

Wunderbare Abenteuer und Historien von dem neckenden Berggeiste Rübezahl. Weckelsdorf, 1861 S. 2.

10

Balbini Misc. 1. I. c. 6 §. 3 und 4.

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 318-323.
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