Die heilige Walburgis auf der Flucht.

[44] Der Tag der heiligen Walburgis (1. Mai) wird in Böhmen viel gefeiert.1 Nach dem Glauben der Bewohner des Riesengebirges aber giebt es 9 Walburgisnächte, welche dem Namensfeste der Heiligen unmittelbar vorangehen. In diesen neun Nächten (von Georgi an) läßt man ein kleines Fenster im Hause offen. Dann hofft man am Morgen nach der letzten Nacht in jenem Fenster ein Goldstück zu finden, das die heilige Walpurgis hingelegt hat. Die heilige Walburgis wird nämlich in diesen Nächten unaufhörlich von wilden Geistern verfolgt und flieht von Dorf zu Dorf und sucht nach einem Versteck, um sich zu verbergen. Sie flüchtet am liebsten hinter kleine[44] geöffnete Fenster und verbirgt sich hinter das Fensterkreuz. Dort läßt sie den Zug ihrer Verfolger vorüberbrausen und legt dafür zum Danke ein kleines Goldstück auf das Gesims des Fensters und flieht dann weiter. Betet man stets um Mitternacht ein Ave für die Heilige, so ist das Haus für dieses Jahr vor Feuerschaden sicher.

Viele haben die heilige Walburgis auf ihrer Flucht schon gesehen. Einst gieng ein Bauer spät in der Nacht durch den Wald. Da begegnete ihm in der Mitte des Waldes eine weiße Frau mit feurigen Schuhen, langen wallenden Haaren, eine goldene Krone auf dem Haupte, und in den Händen einen dreieckigen Spiegel und eine Spindel. Eine Strecke hinter der Frau gewahrte er einen Trupp Reiter auf weißen Rossen, die sich anstrengten, die Flüchtige einzuholen. Es war die heilige Walburgis und ihre Verfolger. Vor Furcht warf sich der Bauer zu Boden und brausend gieng der Zug über ihn hinweg.

Ein anderesmal führte ein Bauer, da er Regenwetter fürchtete, des Nachts noch sein Getreide ein. Da schwebte plötzlich die heilige Walburgis vor seinen Wagen und bat ihn freundlich, sie in eine Garbe zu verstecken, da ihr die Feinde auf dem Fuße folgten. Der Bauer ließ sich erbitten und verbarg die Heilige in einer Garbe. Daher wird die heilige Walburgis mit einer Garbe abgebildet. Kaum war die Heilige verborgen, als unter wildem Halloh die weißen Ritter vorüberbrausten. Der Bauer schlug schnell ein Kreuz und wurde so gerettet. Die heilige Walburgis stieg hierauf aus dem Wagen, dankte dem Bauer und sagte, er solle wohl der Garben achten. Der Bauer fuhr nach Hause; aber wer beschreibt seine Freude, als er des anderen Morgens Goldkörnlein statt Roggen in den Aehren[45] fand! Er war nun ein reicher Mann und lebte glücklich und zufrieden. (Mündlich aus Senftenberg. Th. Bondy aus Prag.)

1

Reinsberg Festkalender S. 206.

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 44-46.
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