Die weiße Jungfrau von Königgrätz.

[55] In der alten Burg von Königgrätz sollen Nonnen verfallen sein. Die Mutter des berühmten Jesuiten Balbin schickte[55] einmal ihre Magd nach jener Burg, daß sie gewisse Kräuter sammele, die dort wuchsen. Die Magd suchte die Kräuter und verweilte bis Sonnenaufgang an dem einsamen Orte. Plötzlich sieht sie vor sich eine schneeweiße Jungfrau stehen, die sie in böhmischer Sprache fragte, ob sie die Magd der Frau Susanna sei. Als die Magd die Frage bejahte, hieß sie die Jungfrau ihr folgen und führte sie zur Thüre eines Kellers. Dort nahm die Jungfrau einen Schlüssel, den sie am Gürtel trug, öffnete die Thüre und trat in den Keller und ladete auch die Magd ein, mit ihr einzutreten. Die aber wurde von einer seltsamen Furcht erfaßt und weigerte sich weiter zu gehen. Aus Neugierde aber blickte sie doch in das Innere des Kellers und gewahrte daselbst ungeheure Schätze von Gold und Silber, die darin aufgespeichert waren. Die Jungfrau aber, als sie sah, daß ihr die Magd nicht folgte, griff in das Gold, warf der Magd eine Handvoll in die Schürze und sagte: »Komm wieder, wenn deine Frau noch mehr braucht.« Die Magd dankte der Jungfrau und eilte mit dem Gelde nach Hause; sie war aber nimmermehr zu bewegen, noch einmal den alten Burgplatz zu besuchen. (Balbini Misc. 1. III. c. 14. § 7.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 55-56.
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