4. Der Kurat

[14] Einst lebte ein Kurat, der eine Mühle besass. Im selben Lande herrschte ein König, der eines Tages den Kuraten zu sich berief und zu ihm sprach: »Ein Priester weiss viele Dinge und soll auch viel wissen. Beantworte mir daher drei Fragen: Wie viele Wege führen in den Himmel, was hin ich wert und was denke ich mir? Kannst du mir das bis zu einer bestimmten Frist nicht sagen, so musst du sterben.«

Der Priester kehrte traurig nach Hause zurück und wurde, je mehr die Tage dahinflossen, immer trauriger. Als er eines Tages zur Mühle kam, ersah ihn der Müllner und seine Traurigkeit bemerkend, sprach er: »Was hast du, Herr? Hast du Kummer, so sage ihn mir.« – »Ach, wenn ich dir ihn auch berichte, so kannst du mir doch nicht helfen.«

Die festgesetzte Zeit rückte heran und der Kurat magerte aus Kummer zusehends ab. Eines Tages sprach der Müllner wieder: »Herr, sage mir doch, was dir fehlt. Ich werde dir gewiss helfen können.« Da die festgesetzte Frist am nächsten Tag ablief, so kann man sich leicht denken, wie es dem Priester zumute war und er erzählte daher dem Müllner all das, was der König verlangt hatte, wobei er nicht vergass, mitzuteilen, dass er alle seine Bücher daraufhin nutzlos durchgegangen habe und dass er nun sterben müsse. Der Müllner antwortete: »Wenn du mir deine Mühle als Eigentum überlassen willst, so ziehe ich deine Soutane an und gehe für dich zum König.« Der Priester war damit einverstanden, hätte er ihm doch zehn Mühlen gegeben, wenn er sie gehabt hätte, und übergab ihm das Priesterkleid.

Der Müllner ging nach Hause und befahl seiner Frau, alle Fäden, welche sie im Hause habe, auf einen Knäuel zu wickeln. Am nächsten Tag machte er sich, den Knäuel im Priesterkleide verborgen, auf den Weg, nachdem er sich noch zuvor, etwa in der Mitte des Knäuels, ein Zeichen in Form eines Knotens gemacht hatte. Als er zum König kam, war dieser sehr erfreut, ihn wieder zu sehen. Der falsche Priester sprach zum König, ihm den Knäuel zeigend: »Hier ist das [14] genaue Mass des Weges, der in den Himmel führt; glaubst du mir nicht, so überzeuge dich selbst. Du willst auch wissen, wie viel du wert bist; gut, ich werde es dir sagen! Unser lieber Heiland wurde für dreissig Silberlinge verkauft und ich glaube nicht, dass du daran denkst, mehr wert zu sein.« Der König war über den Scharfsinn des Priesters erstaunt. »Drittens willst du, dass ich dir sage, was du dir denkst; du glaubst wohl jetzt, dass der Priester vor dir steht, doch dem ist nicht so, denn ich bin es nicht.« Der König bewunderte das Wissen des Geistlichen. Der Müllner klärte ihn darüber, wer er sei, bald auf und der König machte ihn, da er es seines Wissens wegen wohl verdiente, zum Priester. Der Kurat wurde weggeschickt und er an dessen Stelle gesetzt.

Von Zeit zu Zeit predigen nun die Kuraten und einer dieser Termine war gekommen. Der Müllner bestieg die Kanzel und begann zu sprechen: »Wie die andern, wie die andern, wie die andern,« was er eine Stunde lang hersagte, dabei fleissig auf die Kanzel schlagend. Als die Messe vorbei war, gingen die Pfarrkinder zum König und beschwerten sich, dass man ihnen einen solchen Priester gegeben habe, der während einer ganzen Stunde nichts anderes schrie als »wie die andern.« Der König antwortete ihnen: »Wenn er wie die andern sprach, so hat er genug getan und ich bin zufrieden damit.« Es kamen bald so viel Leute zum König, um sich zu beklagen, dass er seinem Türhüter befahl, alle, welche gegen den Kuraten etwas vorbringen wollen, in den Kerker zu werfen. Damit war der Friede bald hergestellt.

Einige Tage nachher sollte unser Müllner in einer benachbarten Kirche predigen, worüber er in grosse Angst geriet. Was machen? Er bestieg die Kanzel und begann: »Derjenige, welcher mich hört, wird gerettet werden, der aber, welcher mich nicht hört, wird verdammt sein,« dann bewegte er nur mehr die Lippen und schlug auf die Kanzel. Niemand verstand ihn und eines sah das andere gross an. Als die Predigt zu Ende war, erwachte ein altes Weib aus ihrem Schlaf, rieb sich die Augen und sprach: »Wie schön hat er gepredigt! Welche schönen Worte sprach er!« Alle waren überrascht, dass sie etwas gehört hatte und blieben von nun an still. Der neue Priester wurde durch seine Pfarre und seine Mühle ein reicher Mann, während der alte verarmte und sich von allen verlassen sah. Ich selbst habe es gesehen.


(Pays basque.)

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 14-15.
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