Die Goldkinder

Die Goldkinder.

[99] Es war einmal ein Kaiser, und dieser befahl eines tags, daß in ganz Stambul während eines Monates niemand eine Kerze brennen dürfe. An jedem Abende stieg er auf einen Turm und spähte umher, ob wohl jeder seinem Befehle gehorche. Da sah er einmal in der Ferne ein kleines Licht. Sofort schickte er Diener aus, um zu erfahren, wer der Ungehorsame sei. Die Diener liefen alle Gassen ab und kamen endlich vor eine strohgedeckte Hütte, in welcher drei Schwestern wohnten. Diese hatten sich eine Unschlittkerze angesteckt und spannen. Denn sie waren sehr arm, der Tag war ihnen für die Arbeit zu kurz und wie es schon heißt, kennt Not kein Gebot.

Die Schwestern sprachen untereinander: »Wenn man uns so sähe, was könnten wir wohl tun, um den Zorn des Kaisers[100] zu besänftigen?« – Die Älteste meinte: »Ich würde, wenn er mir das Nötige dazu geben wollte, in einem Kessel einen Maisbrei kochen, an dem sich sein ganzes Heer sattessen könnte.«

Die Zweite sagte: »Wenn mir der Kaiser gäbe, was ich zum Spinnen und Weben brauche, ich würde ihm ein Zelt machen, unter dem sein ganzes Heer Platz fände, und es müßte noch ein Stück Leinwand übrig bleiben.«

Und nun sagte die Jüngste: »Ich wüßte etwas ganz anderes, was dem Kaiser noch viel lieber wäre.«

»Was könnte das sein?« fragten die Schwestern.

»Ich würde ihm, wenn er mich zur Frau nehmen wollte, zwei Goldkinder schenken, eine Tochter mit goldenen Haaren, goldenen Händen und Perlenzähnen und einen Sohn mit einer goldenen Hand; der würde der größte Held werden, den es je gegeben hat.«

Als die Wächter dies hörten, machten sie mit Pech ein Zeichen an die Türe, um die Hütte wieder zu finden, gingen zum Kaiser und berichteten ihm alles, was sie gesehen und gehört hatten.

Der Kaiser dachte nach und befahl dann, alle drei vor sein Angesicht zu bringen.

Die Schwestern erschracken zu Tode, als man sie am nächsten Morgen zum Kaiser holte; nur die Jüngste meinte: »Nun, er wird uns nicht gleich den Kopf abschlagen und wenn auch, einmal muß man ja doch sterben.«

Der Kaiser tat ihnen aber nichts, sondern fragte die Älteste freundlich: »Kannst du wirklich einen solchen Brei kochen, wie du sagtest?« – Sie erwiderte: »Gib mir eine Frist von vierundzwanzig Stunden und du sollst ihn haben.« Der Kaiser war[101] einverstanden, doch die Stunden gingen herum und den Maisbrei hatte sie nicht zustande gebracht.

Jetzt sagte die Mittlere: »Gib mir eine Frist von drei Tagen, damit ich das Zelt fertig stelle.« Der Kaiser gab ihr alles, was sie verlangte, und schloß sie dann ein. Als er am dritten Tage bei ihr eintrat, fand er, daß auch sie ihr Wort nicht hatte halten können.

Er fragte nun die Jüngste: »Wie könntest denn du vollbringen, was du versprachst?«

Sie sprach: »Würdiger Kaiser! Es sagt mir eine innere Stimme, daß das, was ich sagte, geschehen würde, wenn du mich zum Weibe nehmen wolltest.«

Die älteren Schwestern schickte der Kaiser heim, und die jüngste nahm er zum Weibe. Er hatte bereits acht Frauen, und diese war demnach die neunte. Kinder hatte er aber keine, und er hätte sehr gerne welche gehabt. Mit seiner jüngsten Frau lebte er in großer Eintracht. Sie gab immer nach, und es können eben niemals zwei miteinander in Streit geraten, wenn einer davon es nicht will. Nach einiger Zeit war es der jungen Frau wirklich so, als sollte sie die Goldkinder bekommen, und wie die übrigen Frauen dies bemerkten, sprachen sie untereinander: »Wenn sie solche Kinder bekommt, wie sie sagt, dann ist unseres Bleibens hier nicht mehr.« – Die älteste der Frauen, namens Badscha, aber meinte, sie wisse Rat und würde diese Kinder schon unschädlich machen.

Die Zeit war da, daß die Kinder kommen sollten, und es sagte nun Badscha zu der jungen Frau: »Bei Herrschaften ist es üblich der Mutter die Augen zu verbinden, damit ihr die Freude[102] nicht schade, wenn sie plötzlich ihre Kindchen erblickt.« – Die junge Frau ließ willig alles mit sich geschehen und konnte also die beiden Kindchen nicht sehen, die ihr Gott schenkte. Das benützte Badscha, um ihr die Kleinen wegzunehmen und ihr zwei Hündchen zu unterschieben. Hierauf ging sie zum Kaiser und sagte: »Komm und sieh! An Stelle von Goldkindern hat dir deine jüngste Frau zwei Hunde geboren.«

Der Kaiser berief nun seine Räte und fragte sie, was wohl mit einem Weibe geschehen solle, das Hunde zur Welt bringe. Alle sagten: »Lasse sie, o Kaiser, mehreren Pferden zugleich an den Schweif binden, damit sie zerstampft und zerrissen werde!« Nur einer sagte: »Lasse, o Herr, den serbischen Patriarchen kommen, damit wir hören, wie dieser denkt.«

Der Patriarch kam und sprach: »Lasse sie bis zum Gürtel in Pferdedünger vergraben und ihr täglich ein Quart Zehrung reichen. So möge sie leben, denn es kann sein, daß sie die Hunde doch nicht geboren hat.«

Der Kaiser folgte diesem Rate, ließ die Unglückliche auf einem Kreuzwege in einem Haufen Pferdedünger vergraben, stellte zwei Wächter neben sie hin und befahl, daß jeder Vorübergehende bei ihrem Anblicke ausspeien möge.

Mit dem Schicksale der Kinder hatte es eine eigene Bewandtnis. Badscha, das böse Weib, legte sie in eine Truhe und warf diese in den Fluß. Der Fluß trug die Truhe in ein Mahlgerinne, und so kam sie zwischen die Schaufeln eines Mühlrades, und die Mühle blieb stehen.

Der Müller ging, um nachzusehen, was los sei, fand die Truhe und trug sie schnell zu seinem Weibe hinein, in der Hoffnung,[103] einen Schatz gefunden zu haben. Sie hoben den Deckel und siehe da! Zwei süße Kindchen streckten ihnen ihre goldenen Händchen entgegen. Der Müller und sein Weib waren recht alte Leute, die niemals Kinder gehabt hatten, und die Müllerin sagte deshalb erfreut: »Wohl uns, jetzt haben wir Kinder! Wir werden sie ernähren und erziehen. Das sind gewiß Kinder, deren sich die Mutter schämt.« – »Nein«, eiferte der Alte, »das sind Kinder aus gutem Geschlechte.« Der Alten war dies gleich. Sie sammelte Honig und nährte damit die Kinder, und diese wuchsen in einem Monate ebensoviel, wie andere in einem Jahre. Nach drei Jahren waren sie bereits so groß und so wunderschön, daß die Wilen1 des nahen Gebirges beschlossen, sie den alten Leuten zu entführen. Als nun während eines heftigen Sturmes die Kinder vor der Haustüre spielten, flogen die Vilen herbei, hüllten sie in ihr nachtschwarzes Seidenhaar und trugen sie in ihr Schloß hoch oben im Waldgebirge. Dort war es sehr schön, und sie bekamen so viel und so gut zu essen, daß sie noch größer und stärker wurden. Trotzdem gefiel es den Menschenkindern auf die Dauer doch nicht so recht bei den Feen, und einmal sagte das Mädchen zu ihrem Bruder: »Hörtest du, lieber Bruder mein, die Wilen untereinander reden, daß wir nicht ihrer Art wären?« Der Jüngling fragte: »Und was wären wir denn?« – »Wir sind Menschen«, sagte das Mädchen. Nun litt es sie nicht länger im Wilenschlosse, und in einer finsteren Nacht, als die Wilen fort in allen Lüften waren, entflohen die Geschwister. Den ersten Menschen,[104] den sie trafen, fragten sie: »Welches ist der schönste Ort auf Erden?« – »Stambul ist der schönste Ort, dort lebts sich am besten«, lautete die Antwort. Sie gingen also nach Stambul, besahen sich alles, und als sie vor des Kaisers Palast standen, sagte der Jüngling: »Ich bin müde und schläfrig; legen wir uns unter jenen Feigenbaum und ruhen wir.« – Bald schliefen beide fest ein, und über Nacht ließ Gott einen Palast über ihnen erstehen, größer und herrlicher, als der des Kaisers, und sie erwachten in einem schönen Zimmer auf einem kostbaren Teppiche. Das gefiel ihnen sehr gut und der Bruder sagte: »Bleibe du daheim, Schwesterchen, und sieh dir alles an; ich will ein wenig in den Bazar gehen, um zu erfahren, was die Leute treiben.«

Badscha, des Kaisers ältestes Weib, sah nach dem Wetter aus und bemerkte dabei den neuen Palast. Verwundert meinte sie: »Was wäre denn das? Wo kommt denn der neue Palast her?« – »So gehe doch und frage, wenn du es wissen willst«, sagten die anderen Sultansfrauen. Und sie ging auch gleich hinüber und fand in dem Palaste das Mädchen ganz allein am Stickrahmen sitzen. Badscha fragte sie: »Hast du noch jemanden?« Das Mädchen entgegnete: »Ich habe einen Bruder, einen Helden, wie es wohl keinen zweiten in Stambul gibt!« – Darauf Badscha: »Auf der Ebene vor der Stadt haust ein Mohr, den noch niemand bezwungen hat. Wollte dein Bruder ihn zum Kampfe fordern und töten, könnte er vom Kaiser eine hohe Belohnung erhalten.«

Sobald der Bruder heimkam, erzählte ihm das Mädchen alles, und er sagte: »Morgen früh werde ich den Mohren töten.« Was sie auch tat, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen,[105] es war vergebens. Zu Sonnenaufgang ging er hinaus vor die Stadt, nur mit einem Streitkolben bewaffnet. Da kam ihm auch schon der Mohr auf einer Araberstute entgegen, mit einem Säbel in der Faust. Der Kampf währte nicht lange, denn der Jüngling erschlug den Mohren auf der Stelle, schnitt ihm dann mit dessen eigenem Säbel den Kopf ab, setzte sich auf die Stute und ritt unter das Erkerfenster des Sultans. Dort legte er den Mohrenkopf nieder, band die Stute an den Zaun und ging in seinen Palast. Der Kaiser schickte ihm sofort seine Diener nach, aber er sah sich nicht um, sondern ging zu seiner Schwester und erzählte ihr alles der Reihe nach, was sich zugetragen hatte.

Nach einigen Tagen suchte Badscha abermals das Mädchen auf: »Sage deinem Bruder, daß auf der Ebene vor der Stadt jetzt fünf Mohren sind, welche den Kaiser zum Kampfe aufrufen! Was wird geschehen, wenn sie ihn töten?« – Der Jüngling war sofort bereit den Kampf aufzunehmen, komme es nun, wie es wolle. Er ergriff am nächsten Morgen seinen Streitkolben und zog aus. Da ritten ihm auch schon die Mohren entgegen. Er begann mit ihnen einen Streit, erschlug einen nach dem anderen, säbelte ihnen die Köpfe herunter, nahm dann die Pferde an die Halfterleine und brachte sie unter den Erker des Kaisers, wo er auch die Köpfe aufstellte. Dann ging er zu seiner Schwester, obwohl ihm des Kaisers Diener nachliefen, und sagte ihr alles, wie es sich zugetragen hatte.

Doch nach drei Tagen war Badscha wieder bei dem Mädchen und erzählte ihr, daß es nun neun Mohren wären, welche das Leben des Kaisers bedrohten. Und so zog denn der Jüngling ein drittes Mal aus, und das Glück diente ihm auch diesmal[106] treulich. Er band also nach dem Kampfe neun Pferde unter dem Erkerfenster des Kaisers an den Zaun, stellte neun Mohrenköpfe auf und ging dann wieder zu seiner Schwester, obwohl ihm diesmal der Kaiser selbst nachrief, er möge doch endlich zu ihm heraufkommen.

Badscha wurde nachdenklich und sagte zu den übrigen Frauen: »Das sind gewiß jene Kinder mit den goldenen Händen, denn alles, was sie angreifen, gelingt ihnen.« – Das beunruhigte die Frauen und sie beschworen Badscha, die Geschwister aus der Welt zu räumen. Das hatte das böse Weib ohnedies im Sinne, und deshalb ging sie abermals zu dem Mädchen und sagte ihr: »Da dein Bruder ein solch großer Held ist, so könnte er wohl auch im Tmangebirge das Pferd Avgar fangen. Ein edleres Roß, wie dieses, gibt es nicht, denn die Wilen selbst füttern und pflegen es Sommer und Winter. Mit dem Roß Avgar könnte dein Bruder Taten vollbringen, von denen das Volk in kommenden Zeiten erzählen und singen würde.«

Auch zu diesem Wagnis war der Jüngling gleich entschlossen und hörte nicht auf die Einwände der besorgten Schwester. Er ging also in das Tmangebirge und begegnete dort einigen Riesen. »Wohin des Weges, Bursche?« fragten sie ihn. »Ich gehe das Wilenross Avgar fangen«, erwiderte er. »Lass' das nur lieber bleiben! Wir haben es auch versucht und dabei hat es unser zwanzig zerstampft.« – »Wenn es euer zwanzig zerstampft hat, so kommt es auf mich auch nicht mehr an; ich wäre dann der einundzwanzigste«, entgegnete der Jüngling lustig. Wie er weiter durch die Wälder wanderte, begegnete er noch einem gewaltigen Riesen, dem der Schnurrbart wie ein Flachsbündel[107] herabhing. Auch dieser hielt ihn an: »Wohin denn, Landsmann?« Der Jüngling antwortete ihm wie den andern. Der Riese meinte gutmütig: »Wie willst du es denn anstellen? ... Gerade jetzt habe ich die Wilen an der Quelle belauscht, die so wie echtes Weibervolk untereinander schwätzten, wie das Roß Avgar zu fangen sei. Ich will es dir sagen, damit ich sehe, ob du, ein gewöhnlicher Mensch, es triffst. Du mußt also vorerst einen Büffel schlachten, ihm den Balg abziehen, diesen mit Wasser füllen und ihn an jener Uferstelle, an die das Roß Avgar zur Tränke kommt, derart in den See versenken, daß das Pferd das Wasser aus dem Balge schlürft. Dann kannst du es fangen.«

Der Jüngling tat genau so, wie ihm der Riese gesagt. Nach einer Weile dröhnte der Boden unter den stahlharten Hufen des Wilenpferdes. Zuerst stutzte es, kam dann aber doch langsam heran. Schon senkte es den Kopf, um Wasser zu trinken, da bekam es von dem Balg Witterung und kehrte schnell um. Doch da hatte auch schon der Jüngling seine Arme um den Hals des Pferdes geschlungen, und so raste es mit ihm davon. Nach einer Stunde wilden Laufes blieb das Pferd stehen und sagte bittend: »Lass mich los!« – »Lebend nicht«, sagte der Jüngling.


Die Goldkinder

Und wieder bat das Pferd: »Lass mich nur[108] los! Ich bin dein und keines anderen Herrn. Reiße drei Haare aus meiner Mähne, verwahre sie, und bedarfst du meiner, so verbrenne eines davon, und ich bin bei dir. Denn du kannst mich nicht ernähren, das können nur die Wilen.«

Der Jüngling tat, wie ihm das edle Roß Avgar sagte, nahm Abschied von ihm und kehrte nach Stambul zurück, wo die Schwester seiner harrte. Und er erzählte ihr alles.

Neugierig kam Badscha, daher und wie sie erfuhr, daß der Jüngling das Roß Avgar gefangen, da meinte sie, sich erfreut stellend: »Guter Gott! da sollte nun dein Bruder zum Jordanflusse ziehen, über welchem ein Blütenkranz zwischen Himmel und Erde schwebt, den die Wilen gewunden haben.«

»Und wo ist dieser Jordanfluß?« fragte das Mädchen. – »Den Jordanfluß findet er zwischen dem Zmajgodija- und dem Doksangebirge, die über den Fluß hinweg mit ihren Häuptern ewig miteinander kämpfen. Gelingt es ihm, den Kranz zu erhaschen und ihn dir zu bringen, so würdet ihr nie altern und noch schöner werden, als ihr es schon seid.«

Der Bruder war auch zu diesem neuen Abenteuer gleich bereit, und schon am nächsten Morgen zündete er ein Haar aus der Mähne des Rosses Avgar an. Wie der Wind kam dieses herbei, schnaubend und wiehernd und rieb sich vor Freude an dem Arme des Jünglings, und wie der Wind ging es nach dem Jordanflusse. Dort sagte das Roß Avgar: »Höre, mein Bruder! ich werde in das Wasser springen, und indes ich mich bäume, mußt du den Kranz erhaschen, denn sonst versinken wir in einem bodenlosen Schlund für ewig. Sieh' die Bergeshäupter neigen sich schon wieder drohend gegen einander.« Und das[109] Roß Avgar machte einen gewaltigen Satz und unser Held riß gewandt den Blütenkranz aus den Lüften an sich. Da verfinsterte sich auch schon der Himmel, und wie der Blitz flog das Roß Avgar wieder ans Ufer und über die Lehne hinauf, um zu entkommen. In diesem Momente stießen die finsteren Bergeshäupter zusammen, erfaßten das Roß Avgar, das über sie hinwegsetzte, bei den Hinterbeinen und rissen ihm von diesen das Fleisch bis an die Knochen herab. Der Jüngling brach in Tränen aus: »Mein kleiner Rappe, was ist mit dir geschehen?!« – Doch das Roß Avgar beruhigte ihn: »Es sei dir nicht bange! Lasse mich nur in meiner Heimat Berge; dort werden meine Wunden verharschen, von einem jungen Mond zum andern.« – So zogen sie heimwärts, das Roß Avgar in das Waldgebirge, der Jüngling nach Stambul.

Er gab den Blütenkranz seiner Schwester, die ihn an der Stubendecke befestigte, und ging in den Bazar, um dort mit den Männern zu rauchen und zu plaudern.

Das schöne Mädchen saß am Stickrahmen und ober ihr schwebte der Blütenkranz, welcher so köstlich duftete, wie nichts sonst auf der Welt. So fand sie Badscha. Ihr war bei diesem Anblicke zumute, wie einem Krebs auf dem Rost. Einer stößigen Kuh gibt aber Gott keine Hörner, und darum mußte sie sich lange besinnen, bis ihr wieder etwas einfiel, was die Geschwister verderben könnte. Endlich sprach sie: »Jetzt fehlt deinem Bruder nur noch ein Weib, und ich weiß ein Mädchen, wie es kein schöneres mehr auf der Welt gibt. Sie wohnt in einem Turm, der mit Dukaten gedeckt ist. Hundert Prinzen warben schon um sie, und alle hat sie in Stein verwandelt. Sie ist so gescheit,[110] daß sie weiß, worauf Himmel und Erde stehen. Sie und ein solch großer Held, wie dein Bruder, würden nun wohl zusammenpassen.«

Die Schwester wiederholte ihrem Bruder das Gehörte, und er meinte: »Warte, Schwesterchen, einen Monat lang, dann will ich das Mädchen freien.« Die Frist war um, der junge Mond leuchtete vom Firmamente, und er zündete das zweite Haar aus der Mähne des Rosses Avgar an. Der Boden erzitterte, Funken stoben und schnaubend stand das Roß Avgar da. Verharscht waren seine Wunden, man sah nichts mehr davon. Der Jüngling sattelte und zäumte den edlen Rapp, schmückte ihn mit Gold und Edelstein und ritt dann singend hinein in das Waldgebirge. In der Nähe eines Schlößchens mit einem hohen, goldfunkelnden Turm blieb das Roß Avgar stehen. Der ungeduldige Jüngling gab ihm einen Gertenhieb. Da sagte das Pferd: »Ich kann nicht weiter.« Nun zog der Reiter die Peitsche. »Schlage mich nicht!« bat das Roß Avgar, »ich darf nicht weiter. Wenn das Mädchen uns früher erblickt, als wir sie, so werden wir zu Stein.« – »Was also soll geschehen mein Rappe? ...« Lauschend hielten sie inne, denn sie vernahmen Schritte, und dann sahen sie zwischen dem Gebüsch ein wunderschönes Mädchen zum Wasser gehen, auf dem Kopfe und in jeder Hand einen kupfernen Krug tragend. Das Roß Avgar flüsterte: »Ich werde aufwiehern und du sollst aufschreien; wenn sie erschrickt, ist der Zauber gebrochen und sie unser.« Und das Pferd hob den edlen Kopf, und wie ein Donner rollte sein Gewieher durch das Waldgebirge und wie ein Blitz schrillte des Jünglings Aufschrei. Dem Mädchen entfielen vor Schreck die Wasserkannen,und sie floh zurück zu dem Schloßtor.


Die Goldkinder

Doch der Jüngling kam ihr zuvor, stellte sich vor den Eingang und bot ihr Gott zum Gruß. Das Mädchen schlug die Augen nieder – so sind doch die Mädchen am schönsten! – und sagte errötend: »Sei willkommen, mein Held! Du bist es, dessen ich geharrt! Tritt ein und verweile hier ein Jahr und dann, wenn du willst, bis zum Ende unseres Lebens.« Der Jüngling erwiderte: »Das kann ich nicht, ich habe Eile; meine Schwester verzehrt sich in Sorge um mich!« – »Gut«, sagte das Mädchen, »dann wollen wir nach Stambul ziehen.« Sie gingen in das Schloß. Dort klopfte das Mädchen an ein Perlmutterkästchen. Fünf Wilen stiegen daraus hervor. »Was wünschest du, Mädchen?« fragten sie. »In welcher Zeit vermögt ihr wohl mein Schloß, den Jüngling, mich und das Roß Avgar nach Stambul zu bringen?« – »Wir können euch in drei Tagen hinbringen!« – »Dann will ich euch nicht«, sagte das Mädchen und klopfte auf ein Elfenbeinkästchen. Sieben Wilen entstiegen diesem. »Was willst du, gutes Mädchen?« – Und sie wiederholte die Frage. »In zwei Tagen«, sagten sie. »Dann will ich auch euch nicht und werde andere rufen.« Sie klopfte nun an ein Kästchen von echten Perlen, dem neun Vilen entstiegen. Diese antworteten auf die Frage: »In einem Tage, gutes Mädchen!« – »Also kommt«, sagte sie. Das Roß Avgar führte sie in den Stall, wo es sich auf süßduftendes Heu von seltenen Waldblumen lagerte, und den Jüngling hieß sie in dem schönsten Gemach auf seidenen Kissen ruhen. Noch fühlte er, wie das Schloß und alles mit ihm sanft emporgehoben wurden, hörte den Flügelschlag der Wilen gleich einer fernen Musik; aber dann entschlummerte er und fühlte nur in einem seligen Traume[113] erdenentrückt sich dahinschweben, hoch oben in goldenen Wolken, über Wälder und Meere, bis nach dem weißen Stambul. Die Augen aufschlagend, fand er sich daheim zwischen seiner Schwester und seiner jungen, schönen Frau. Sie hielten ihn an den Händen, und ober ihnen duftete der Blütenkranz vom Jordanflusse, Jugend und Schönheit ausatmend.

Da sagte die junge Frau: »Heute wird dich der Kaiser zum Abendessen einladen. Gehe hin, aber iß nichts. Auf dem Wege zum Kaiserschlosse wirst du eine Frau sehen, die bis zum Gürtel in einem Düngerhaufen vergraben ist und vor der jedermann ausspeit. Wische ihr das Gesicht mit diesem Seidentüchlein ab und küsse ihren Busen. So wollen es die Wilen, meine Wahlschwestern. Sie zürnen euch nicht mehr, wegen eurer Flucht. So war es Gottes Wille, denn ihr habt eure Mutter wieder zu Ehren zu bringen.«

Er tat, wie ihm geraten, denn auf die Worte eines gescheiten Weibes kann auch ein Mann hören. Wie er nun jene Unglückliche auf dem Kreuzwege sah, trocknete er die Tränen auf ihrem Antlitze und den Schweiß auf ihrer Stirn und küßte sie. Sie fragte ihn: »Warum küssest du mich, vor der jeder ausspeit?« Sanft erwiderte er: »Ich habe unsere Mutter nie gekannt, vielleicht bist du es.« – Da kamen die Wächter, und so ging er seines Weges.

Der Kaiser empfing ihn sehr freundlich und setzte ihm das Essen vor. Er aber war der Warnung eingedenk und warf den ersten Bissen einem Hündchen zu, welches der Speisengeruch angelockt hatte. Das Hündchen verschlang den Bissen und fiel tot hin. Der Kaiser war sehr erschrocken und befahl, daß jene seiner[114] Frauen, an welcher heute die Reihe war, das Essen zu bereiten, hereingebracht werde. Da wurde nun Badscha hereingeschleppt, und als sie der Kaiser zwang, einen Bissen von den Speisen zu essen, fiel sie um und war tot. »Du siehst, o Herr«, sagte der Jüngling, »daß man bei dir nicht speisen kann. Komm' also morgen Abend lieber zu mir in mein Schloß; es ist ja nicht weit.« Der Kaiser versprach es.

Auf dem Heimwege ging der Jüngling geradewegs wieder zu jener armen Frau in dem Düngerhaufen und sagte ihr: »Du bist mein und meiner Schwester Mutter und nicht die zweier Hunde! Heute sind es achtzehn Jahre, daß du unschuldig leidest, und damit wäre es genug und übergenug.«

Er hob sie aus dem Düngerhaufen, und als ihn die Wächter daran hindern wollten, schlug er sie nieder. Dann trug er die Mutter in seinen Palast, wo sie von ihrer Tochter und ihres Sohnes Weib gewaschen und in weiche Seide gekleidet wurde.

Der Kaiser kam auch wirklich den anderen Tag zum Abendessen, und als man ihm das Mahl vorsetzte, da nahm auch er den ersten Bissen und warf ihn einem Hündchen zu. Das Hündchen verschlang den Bissen und wedelte dann mit dem Schwanze, als wolle es sagen, es sei sehr gut und es möchte noch mehr. »Wer hat denn bei dir das Essen bereitet?« fragte der Kaiser, und der Jüngling sagte: »Jene Frau, die du durch achtzehn Jahre in einem Düngerhaufen vergrubst, jene Frau, welche mich und meine Schwester geboren hat. Sehen wir aus wie Hunde?«

Nun öffnete sich die Türe und herein schritt demütig verhüllten Hauptes die Mutter, geführt von ihrer Tochter und ihres Sohnes Weib. Der Kaiser blickte sie an und blickte dann auf[115] seine beiden Kinder. Wie strahlten sie doch in Schönheit, Reinheit und Herzensgüte, daß jeder Sündige die Augen senken mußte. Es waren fürwahr Goldkinder.

Unter der Stubendecke schwebte der Blütenkranz vom Jordanflusse, und als die Mutter darunter stand, so in allen Ehren unter den Ihren, da verklärte sich ihr Angesicht zu der Jugend und Schönheit, in der es dereinst erstrahlte. Aber dann sank sie um und atmete nicht mehr. Ihr Herz konnte ein größeres Maß an Leid als an Freude ertragen, und über das Herz hatte der Blütenkranz der Wilen keine Macht.

Der Kaiser hatte viele Freude an seinen Kindern, und da sich für seine Tochter schon am nächsten Tag ein schöner Prinz als Freier fand, so wurde für beide Paare zugleich, für den Sohn wie für die Tochter, ein großes Hochzeitsfest gefeiert, zu dem ganz Stambul geladen war. Bei dem Wettrennen wurden sieben Hengste vorgeführt. An ihre Schweife band man die sieben jüngeren Frauen des Kaisers, die Mitschuldigen Badscha's, und so wurden sie zum Vergnügen der Zuschauer zu Tode geschleift.

Die Goldkinder aber lebten ein langes, zufriedenes Leben. Alljährlich am Sanct-Georgstage, wenn der Wald zu neuem Leben erwacht, kam aus dem Gebirge das edle Roß Avgar und brachte ihnen Grüße von den Wilen.

1

Ewig junge, schöne, feenartige Wesen mit guten und bösen menschlichen Eigenschaften, als deren Aufenthalt meist das Hochgebirge gedacht ist.

Quelle:
Preindlsberger-Mrazovic, Milena: Bosnische Volksmärchen. Innsbruck: A. Edlinger, 1905, S. 99-116.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon