Die Pferde der Wilen

Die Pferde der Wilen.

[116] Es lebten einmal drei Brüder miteinander, die sich sehr lieb hatten. Nur meinten die beiden älteren vom jüngsten, daß ihm »ein Brett in seinem Dache fehle«, wie man zu sagen pflegt, das heißt, daß es bei ihm nicht ganz richtig sei. Er war eben ein sehr bescheidener Bursche, der nie den Mund auftat, wenn er nicht gefragt wurde und auch dann noch auf die Antwort lange warten ließ, bis er sich seiner Worte gut besonnen hatte, der nie widersprach und mit allem zufrieden war. Wegen dieser Tugenden, die schwer als solche erkannt werden, weil man sie so selten trifft, nannten ihn seine Brüder gerne den »Lola«, den Schwachkopf.

Die Brüder besaßen im Walde eine große Wiese, und wenn sie diese abmähten, errichteten sie immer einen großen Heuschober.[117] Einmal bemerkten sie, daß der Schober kleiner und kleiner wurde, und sie wußten nicht warum. Sie beschlossen daher dem Diebe aufzulauern, und der älteste begann mit der Nachtwache. Er grub sich in dem Heuschober ein Loch, versteckte sich darin und wartete. Um Mitternacht begann es im Walde ringsum zu dröhnen, der Boden erzitterte, und da der Lärm sich immer mehr näherte, verlor der Späher den Mut und nahm Reißaus. Genau so erging es auch dem mittleren Bruder. Die Reihe war nun an dem jüngsten, und trotzdem ihn die Brüder gehörig hänselten, ließ er sich doch nicht irre machen; denn er meinte, gar oft schon habe der Tor das Wasser durchwatet, während die Klugen vergeblich nach der Brücke suchten. Als es Abend wurde, nahm er ein langes Hanfseil zu sich, ging nach der Wiese und verkroch sich im Heu. Richtig ging gegen Mitternacht der Spektakel los. Im Walde ein Gedröhne und Gestampfe, daß die Erde bebte! Und plötzlich sprang aus dem Waldesschatten ein schneeweißes Wilen-Pferd auf die mondbeglänzte Wiese, bedeckt mit einer seidenen Schabracke, und über dem Sattel hing ihm ein seidener Anzug. Gemächlich begann es von dem Heu zu schmausen, und nun warf ihm der Bursche, der neugierig aus dem Schober lugte, geschickt das Seil um den Hals. Das Pferd bäumte sich, zog damit die Schlinge zu und war gefangen. Der Bursche hüpfte hurtig aus dem Heu, beruhigte das schöne Tier, führte es heim und versteckte es in einem leeren Sommerstall. Dann ging er zurück auf die Wiese, und kaum war er dort, so fing der Lärm von neuem an, und ein wunderhübscher Rappe sprengte heran, mit silbernem Zeug aufgezäumt und mit gleißenden Kleidern über dem Sattel. Er fing nun auch den Rappen, brachte ihn zum[118] Schimmel, und da Gott dem Einfältigen dreimal hilft – die Klugen wissen sich ja selbst Rats genug! – so ging er ein drittesmal nach der Waldwiese. Und wirklich ging es schon wieder holterpolter, und ein herrlicher Braun kam dahergesprungen und ließ sich das frische Heu wohl schmecken. Rötlich glänzte sein Fell und rot von Gold war sein Zaumzeug und das Gewand, das er auf dem Sattel trug. Der Bursche fing auch den Braun, schwang sich auf dessen Rücken und ritt frohgelaunt heim, gerade als die Morgenröte zu glimmen begann.

Am nächsten Morgen vermieden die älteren Brüder geflissentlich jede Frage, um den jüngsten nicht gar zu sehr zu beschämen, und dieser sagte nichts, weil er eben nicht gefragt wurde.

Am selben Tage ließ der Kaiser kundtun, daß er seine älteste Tochter verheiraten wolle, und zwar an denjenigen, der mit seinem Roß über einen zehn Ellen breiten Graben springen könne. Die Brüder hatten recht gute Pferde, trotzdem aber wagten sie nicht sich um die Sultanin zu bewerben und wollten nur hingehen um zu sehen, wie andere in den Graben purzelten. Daher lachten sie den Jüngsten aus, als dieser schüchtern sagte, er wolle diesmal sein Glück versuchen.


Die Pferde der Wilen

Und das tat er auch! Sobald[119] er allein war, zog er das Seidengewand an, setzte sich auf den Schimmel und kam noch zurecht, um zu sehen, wie sehr sich die Helden abplagten, um ihre Gäule über den Graben zu bringen. Jeder fiel hinein in den Schlamm, und der Sultan und die Zuseher lachten, daß sie sich wanden. Ganz zum Schluß kam noch unser Lola, gab dem Schimmel die Sporen, und der Schimmel flog hinüber wie eine Flintenkugel. Das Lachen verging jetzt allen, und als der Bursche vor den Sultan trat und sich dessen Tochter erbat, da wußte dieser vor Ueberraschung nicht ein und nicht aus. Vom Gesagten zum Getanen ist der Weg weit, und darum gab der Kaiser dem unbekannten Freier den Bescheid, daß er ihm die älteste Tochter erst dann geben könne, wenn auch seine mittlere Tochter einen Mann gefunden habe. Dann solle gemeinsam Hochzeit gefeiert werden.

Und richtig verlautbarte der Ausrufer tags darauf: der Kaiser verheirate auch seine zweitälteste Tochter, und zwar an denjenigen, der mit seinem Roß einen zwanzig Ellen breiten Graben überspringen könne. Als der Jüngste seinen älteren Brüdern sagte, er wolle es auch diesmal versuchen, wurden sie wirklich böse und befahlen ihm, zu Hause zu bleiben. Er aber sattelte insgeheim den Rappen, zog das Silbergewand an, und im übrigen ging alles genau so, wie am Tage vorher. Auch fand der Sultan eine neue Ausrede, indem er sagte, es müsse auch seine jüngste Tochter einen Mann haben, ehe er die andern hergebe, und seine Jüngste gebe er nur dem, der mit seinem Roß einen dreißig Ellen breiten Graben überspringen könne. – Am dritten Tage sagte der Bursche seinen Brüdern nichts mehr,[120] sondern legte, als sie fort waren, das Goldgewand an, bestieg den Braun und gewann auch die dritte Sultanstochter.

Dem Sultan war es nun zumute, wie dem Aal im Schraubstocke. Jedoch er half sich wieder heraus, indem er sagte, die beiden anderen Helden seien verschwunden, und ohne diesen könne selbstverständlich keine Hochzeit sein. Er werde sie gerne als seine Schwiegersöhne begrüßen, wenn alle drei trockenen Landes auf einem Schiffe dahergeschwommen kämen. Wenn nicht, so wäre eben alles ungiltig.

Diese neue Kunde kam auch den älteren Brüdern zu, und sie sprachen zueinander: »Wenn wir die Sultanstöchter auch nicht gewinnen, deshalb können wir es doch versuchen ein solches Schiff zu bauen. Das kann doch nicht schwer sein, und bequem und nützlich ist es für alle Fälle.«

Wie leicht begreiflich, bauten sie das Schiff am Wegrande und mußten es sich demnach gefallen lassen, daß sie jeder Vorübergehende fragte: »Was machst du da, Gevatter?!« Das wurde ihnen langweilig, und so antworteten sie ungeduldig: »Was kümmert's dich!« – Damit wollten sie dem Fragenden zu verstehen geben, daß er sich trollen könne. – Das Schiff war bald fertig, was sie aber auch machten, es war nicht vorwärts zu bringen, es wäre denn gewesen, sie hätten sich selbst eingespannt und es gezogen.

Nun sagte der Jüngste, er wolle es auch versuchen ein Schiff zu bauen, das auf trockenem Boden bis zu des Kaisers Schloß schwimmen könne. Die Brüder waren schlechter Laune und gaben gar keine Antwort, und so begann er mit der Arbeit. Natürlich richtete auch an ihn jeder Vorübergehende viele Fragen,[121] aber er verlor nicht die Geduld, sondern stand unverdrossen Rede und Antwort. Das geschah alles zu jener Zeit, als noch Petrus auf Erden wandelte, und so kam es, daß der Heilige einmal selbst vorüberging und den Lola fragte: »Was machst du denn da, Bruder?« worauf er die Antwort erhielt: »Ich möchte im Namen Gottes und des heiligen Petrus ein Schiff bauen, das ohne Wasser bis zum Kaiserpalast schwimmen kann.« »Das ist ganz leicht«, sagte der Heilige; »sobald das Schiff fertig ist, brauchst du nur die Axt verkehrt hineinzuschlagen und zu sagen:


›Aj dschidi dschindscher,

Schwimm' hin und her!‹


Willst du jedoch stehen bleiben, so ziehe die Axt einfach aus dem Schiffe, und es wird halten. Nur darfst du nicht vergessen, jeden aufzunehmen, der dich darum anspricht, und ihn zur Hochzeit zu laden.«

Der Bursche beherzigte alles, und als das Schiff fertig war, schlug er die Axt verkehrt hinein, sagte das Sprüchlein, und es glitt dahin, wie von sanften Wellen getragen. Sich umblickend bemerkte er, wie seine Brüder ihm traurig nachblickten; gleich zog er die Axt aus dem Schiffe, dieses stand still und er holte die Brüder, worüber sich diese sehr freuten. Schon begann er wieder: »Aj dschidi dschindscher ...«, da sah er, wie die drei Wilenpferde sehnsüchtig die Köpfe aus ihrem Verstecke herausstreckten. Er wartete also die Nacht ab, brachte die Pferde heimlich auf das Schiff, damit sie von den Brüdern nicht gesehen würden, und fuhr endlich am Morgen ab. Doch nicht lange ging die lustige Fahrt, denn am Wegrande lag ein Mann, der jämmerlich über Hunger klagte und um Gotteswillen mitgenommen[122] werden wollte. »Aj dschidi dschindscher ...« ging es dann weiter, aber auch wieder nur ein kurzes Stück, da eine gefesselte Stute sie hungrig anwieherte und der Bursche sich ihrer erbarmte. Sie waren schon nahe am Kaiserschlosse, da erblickte er auf einer Wiese einen Riesen, der drei Hasen hütete und an jedem Fuße einen Mühlstein trug.


Die Pferde der Wilen

Er zog die Axt aus dem Schiffe und fragte den Riesen, was er da treibe und wozu[123] er die Mühlsteine an den Füßen habe. »Wie du siehst, lieber Bruder«, sagte der Riese, »hüte ich Hasen, und da ich weit schneller bin als diese, so muß ich mir Mühlsteine an die Füße binden, denn sonst würde ich, wenn mir die Hasen durchgehen, sie zu sehr überholen und nie einen fangen.« – »Willst du mit mir gehen zur Hochzeitsfeier im Kaiserschlosse?« fragte der Bursche den Riesen. »Und ob ich will«, sagte dieser, »ich war schon lange in keiner lustigen Gesellschaft!« Also: »Aj dschidi dschindscher ...«

Der Kaiser wunderte sich sehr, als das Schiff über die Wiesen daher kam. Er stand gerade am Tore, als der Bursche vor diesem hielt und geziemend fragte, ob er jetzt wohl die jüngste Kaiserstochter haben könne. »Gewiß«, sagte der Sultan und dachte nach, wie er mit diesem Burschen fertig werden könnte, der gewiß einer von der Sorte war, die, wenn man sie ins Meer wirft, einen Sack Sand herausbringen. Da hörte er jemanden im Schiffe jammern. »Was ist denn das?« fragte er neugierig. »Ein hungriger Mann, der nie satt werden kann«, erwiderte der Bursche. »Nun siehst du«, sagte der Kaiser, »wenn dieser Hungrige über Nacht siebzig Backöfen Brot ißt, so magst du meine Tochter in dein Haus führen.« Man brachte das Brot, und über Nacht hatte der hungrige Mann vom Wege alles aufgegessen und jammerte noch, daß er hungrig sei.

Schon glaubte der Kaiser, er müsse nachgeben, als im Schiffe die Stute hungrig aufwieherte, und so sagte er erfreut: »Du sollst meine Jüngste sicher haben, wenn deine Stute vorher noch neunzig Pferdelasten Heu über Nacht verzehrt.«

Das war der Stute ein leichtes. Kein Stengelchen ließ sie übrig. Der Kaiser wußte sich jetzt wirklich keinen Rat mehr und[124] wollte seine Frau um einen solchen fragen, denn schließlich weiß der Papst und der Bauer mehr, als der Papst allein. Da sah er den Riesen aus dem Schiffe die drei Hasen auf die Wiese treiben. »Wer ist denn das?« fragte er verwundert. Der Bursche gab ihm die gewünschte Auskunft, und der Kaiser sagte erleichtert: »Gut, wenn der Riese abends die drei Hasen wieder heim treibt, sollst du das Mädchen ganz bestimmt haben.« Zu Hause aber befahl der Kaiser einem Diener, dem Riesen nachzugehen und ihm um jeden Preis einen Hasen abzukaufen.

Der Diener fand den Riesen, dieser aber wollte sich von keinem seiner Hasen trennen. Endlich gab er sich mit hundert Dukaten für einen zufrieden. Der Diener zahlte ohne Widerrede, nahm den Hasen und brachte ihn dem Sultan. Indessen lief der Riese spornstreichs in den Wald, fing sich ein Häschen und trieb abends seelenruhig seine drei Hasen heim.

Der Sultan war darüber sehr erzürnt und glaubte, der Diener habe ihn betrogen. Er sandte also am nächsten Morgen die Kaiserin aus, dem Riesen einen Hasen abzukaufen. Nach langem Weigern verkaufte ihr der Riese wirklich einen Hasen um fünfhundert Dukaten. Am Abend trieb er aber trotzdem wieder seine drei Hasen aufs Schiff. Nun verkleidete sich der Kaiser als Zigeuner, ging am nächsten Tage selbst in den Wald zu dem Riesen und erhandelte mit vieler Mühe um tausend Dukaten einen Hasen, den er eigenhändig heimtrug. Vergnügt schaute er nun abends zum Fenster hinaus, aber schau nur, schau! Da trieb der nichtsnutzige Riese schon wieder drei Hasen ein.

Der gute Kaiser saß da, wie die angefrorene Sonne. Und wie er so dem Riesen nachblickte, hörte er Gewieher und Pferdegetrappel.[125] Über die Wiese vor dem Schlosse tänzelten drei wunderschöne Pferde, und auf jedem saß ein schöner Bursche, und alle drei glichen einander wie ein Ei dem andern. Nur der Anzug war verschieden. Der Älteste auf dem Schimmel war ganz in schimmernde Seide gekleidet, der Mittlere auf dem Rappen in gleißendes Silber und der Jüngste auf dem Braun in funkelndes Gold. Und an den Pferden konnte sich der Kaiser gar nicht sattsehen. Wie sie die Nase stolz hochhielten und mit den Beinen fuchtelten und zappelten! Ich sage dir, sie kamen gar nicht vom Fleck, und zwischen den gespreizten Hinterbeinen hätte ein Widder mit großem Gehörn durchschlüpfen können.

Die Kaiserin steckte ihren Kopf durchs Fenster und sagte dann zu ihrem Manne: »War es zum Guten, was du getan, so wärs jetzt genug und war es zum Bösen, so wärs erst recht genug; darum gib unsere Töchter diesen schönen Jünglingen!« – Der Kaiser tat, als müsse er seiner Frau nachgeben, ließ die drei Brüder rufen und gab dem Ältesten die Älteste, dem Mittleren die Mittlere und dem Jüngsten die Jüngste und jedem obendrein einen Sack Dukaten. Jeder nahm sein Mädchen und den Geldsack aufs Pferd, und froh ritten sie nach Hause, singend und Freudenschüsse aus ihren langen Flinten abfeuernd. Der Lola wurde von seinen älteren Brüdern, denen er zum Glück verholfen, zum Familienoberhaupt gewählt, und sie lebten glücklich und einträchtig miteinander. Wenn sie nicht gestorben sind, so geht es ihnen noch heute gut. Magst du's nicht glauben, so lauf hin und frage.

Quelle:
Preindlsberger-Mrazovic, Milena: Bosnische Volksmärchen. Innsbruck: A. Edlinger, 1905, S. 116-126.
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