[299] 64. Herr Gawain und der grüne Ritter

Arthur, der größte König der Briten, feierte, umgeben von den Rittern seiner Tafelrunde, das Weihnachtsfest in Camelot. Die Helden saßen bei Tisch und unter Trompetengeschmetter wurden die Speisen aufgetragen. Kaum aber war das erste Gericht umhergereicht, als ein neuer Lärm sich erhob: ein furchtbarer Ritter, der größte, den die Welt je gesehen, sprengte in die Halle. Schwer und wuchtig war er gebaut vom Genick zu den Lenden, und seine Glieder waren groß und lang. Dieser Mann war ganz in Grün gekleidet: grün waren seine enganliegenden Kleider, grün sein pelzgefütterter Mantel. An den[299] Füßen trug er Sporen von reinem Gold, sein Sattel war bestickt mit Vögeln und Schmetterlingen und rings an Steigbügeln und Sattelbogen leuchteten grüne Edelsteine. Mächtiger Haarwuchs umwallte des Ritters Schultern und sein großer Bart hing wie ein Busch vor seiner Brust. Auch das Roß, auf dem er ritt, war von grüner Farbe, in seine Mähne waren Golddrähte verflochten und seinen Schweif zierte ein grünes Band, an dem goldene Glöckchen erklangen. Doch trug der Ritter weder Helm noch Harnisch, kein Schild deckte seine Brust, nur einen Friedenszweig hielt er in der Hand und in der andern eine Axt von grünem Stahl mit rasiermesserscharfer Schneide. Der grüne Ritter trieb sein Roß in die Halle und ritt auf den Hochsitz zu, ohne jemandem weh zu tun aber auch ohne Gruß. Das erste Wort, das er aussprach, war: »Wer ist das Haupt dieser Versammlung? Ich möchte ihn sehen und mit ihm reden.« Er ließ seine Augen umhergleiten, indem er den Mächtigsten suchte. Die Leute im Saale erstaunten sehr, als sie den grünen Mann auf grasgrünem Rosse sahen, und verstummten plötzlich, als seien sie in Schlaf verfallen, teils aus Furcht, teils aus Höflichkeit. Arthur betrachtete vom Hochsitz aus dieses Abenteuer und begrüßte den Fremden freundlich: »Willkommen hier, Ritter! Ich bin Arthur, der Herr dieses Hauses. Steige ab und verweile, auf daß wir erfahren, was dein Wille ist.« »Nicht ist's mein Auftrag,« entgegnete der Ritter, »daß ich hier verweile. Ich suche die Mutigsten von allen, die Waffen tragen, die würdigsten Ritter der Welt, um sie zu erproben. Der hohe Ruhm dieses Hofes führte mich her, und an dem Zweige, den ich trage, seht ihr, daß ich in Frieden nahe, denn wollte ich Krieg, so hätte ich Speer und Schild nicht daheim gelassen. Seid ihr so kühn, wie alle Welt euch nennt, so stellt euch mir!« »Wenn ihr Kampf begehrt, Herr Ritter,« sprach Arthur, »so soll es euch daran nicht fehlen.« »Nach Kampf begehre ich nicht, denn auf den Bänken dort sitzen nur bartlose Knaben. Wäre ich in Waffen und auf hohem Roß: hier ist kein Mann, der sich mit mir messen könnte. Eine andere Weihnachtsgabe erbitte ich mir von diesem Hofe. Rings umher sehe ich tapfere Krieger: ist einer so kühn, mir einen Streich zu geben, um ihn wiederzubekommen? Ich will ihm meine Axt dazu geben und seinem Streiche standhalten. Jahr und Tag gebe ich ihm Frist, dann will ich ihm den Schlag zurückgeben.« Hatten die Männer zuerst schon über den fremden Ritter gestaunt, so hielt jetzt erst recht Furcht ihre Zunge im Zaum. Der Ritter richtete sich in seinem Sattel auf, rollte seine roten Augen umher,[300] zog seine grünen Brauen zusammen und strich seinen Bart, eine Antwort erwartend. Da sich niemand fand, der mit ihm reden wollte, rief er lachend: »Was? Ist das Arthurs Hof, dessen Ruhm durch so manche Reiche drang? Traun, der Ruf der Tafelrunde wird vernichtet durch ein Wort der Sprache eines Mannes, denn alle zittern vor Furcht, ohne daß ein Streich getan ist.« Dabei lachte er so laut, daß vor Scham das Blut in Arthurs Antlitz stieg und er so zornig wurde wie der Sturm. »Ich weiß niemand,« sagte er, »der deine großen Worte scheut. Gib mir deine Axt, ich will deinen Wunsch erfüllen.« Arthur ergriff die Axt und wirbelte sie herum; der andere aber stand mit ernster Miene vor ihm, indem er seinen Bart strich. So ruhig, als habe er eben einen Trunk Wein erhalten, streifte er seinen Mantel ab. Gawain, der Neffe des Königs, der neben der Königin saß, rief seinem Oheim zu: »Es ziemt sich nicht, daß ihr selbst dies Abenteuer besteht, während so viele kühne Ritter an eurer Tafel sitzen. Ich bin der schwächste, ich weiß es wohl, doch rollt in meinen Adern euer Blut und darum bitte ich euch: laßt mich den grünen Ritter bestehen!« Alle in der Runde murmelten Beifall und baten den König, Gawain das Spiel zu überlassen. Dieser kniete vor dem König nieder und ließ sich wappnen. Arthur segnete ihn und hieß ihn, an Herz und Hand ruhig zu bleiben. Gawain nahm die Axt und trat vor seinen Gegner. »Wie heißt der Ritter?« fragte der Grüne. »Gawain ist es,« antwortete der gute Held, »der dich zu diesem Schlage läd, was auch kommen möge; und der über Jahr und Tag einen andern von dir hinnehmen will, mit welcher Waffe es auch sei, doch von sonst niemand auf der Welt.« »Bei Gog,« sagte der Fremde, »es gefällt mir wohl, daß ich von deiner Hand, Herr Gawain, den Schlag erhalten soll, den ich hier suchte. Doch zuvor sollst du mir dein Wort verpfänden, daß du mich aufsuchen willst, dir den Lohn für den Streich zu erholen, den du mir heute vor dieser tapferen Schar austeilen sollst.« »Wo soll ich dich suchen,« sagte Gawain, »ich kenne deinen Namen nicht, noch deinen Hof. Nenne mir deinen Namen und ich werde dich aufsuchen, das schwöre ich dir bei Gott.« »Ich werde ihn dir sagen,« versetzte der Grüne, »so bald ich den Schlag empfangen habe. Doch nun laß sehen, wie du zuhaust!« Der grüne Ritter beugte ein wenig das Haupt, legte seine langen Locken über den Scheitel zurück und bot den bloßen Nacken dem Schlage dar. Gawain packte die Axt und ließ sie auf den Nacken des Grünen fallen, so daß die scharfe Schneide die Knochen durchdrang und das Haupt vom Rumpfe trennte. Das Blut[301] drang aus dem Körper, doch der Ritter strauchelte nicht noch fiel er, sondern er eilte vorwärts, ergriff seinen Kopf und nahm ihn hastig auf. Dann ging er zu seinem Pferde, ergriff den Zügel und stieg in den Sattel, indem er den Kopf an den Haaren in der Hand hielt. Er wandte seinen blutigen Rumpf um und hielt das Antlitz dem Mutigsten am Hochsitz entgegen. Das Haupt erhob seine Augenlider und sprach: »Schau zu, Gawain, daß du rechtzeitig mich aufzusuchen gehst, wie du versprochen hast. Bei der grünen Kapelle sollst du den Streich zurückerhalten, den du eben ausgeteilt hast. Komme zur grünen Kapelle oder heiße ein Feigling!« Stolz wandte er die Zügel und sprengte, seinen Kopf in der Hand haltend, aus dem Tor der Halle, so daß das Feuer der Kieselsteine unter den Hufen seines Rosses hervorbrach. Niemand erfuhr, woher er kam und wohin er ging. – Das Jahr verging und zog in seiner Zeiten Wechsel rasch vorüber. Am Allerheiligentage bewirtete Arthur die Herren und Damen seines Hofes zu Ehren seines Neffen, um dessentwillen alle in großen Sorgen waren. Nichtsdestoweniger suchten sie durch scherzhafte Worte Herrn Gawain aufzuheitern. Früh am Morgen nahm Gawain seine Waffen, verabschiedete sich von Arthur und seiner Tafelrunde und eilte auf Nimmerwiedersehen, wie alle glaubten, davon. Er ritt durch die Königreiche von England, sein Roß als einzigen Gefährten und niemand, mit dem er Zwiesprache halten konnte, als Gott allein. Schließlich gelangte er in die Wildnis von Wirral, wo wenige wohnen, die Gott und die Menschen lieben. Überall fragte er nach dem grünen Ritter und seiner Kapelle, aber alle schüttelten die Köpfe und sagten, sie hätten im Leben noch keinen solchen Mann gesehen. Durch Klippen klomm er und Ströme hemmten seinen Weg, mit Schlangen und Wölfen hatte er zu kämpfen, aber schlimmer als alles war der eiskalte Wintersturm. Fast erschlagen vom Hagel schlief er in seinem Harnisch auf nacktem Fels. Am Weihnachtsmorgen ritt er durch einen wilden Wald von uralten Eichen. Die Hasel- und Hagdornsträucher, die dort standen, waren ganz mit Moos überzogen, und auf ihren Ästen saßen traurige Vögel und piepten erbärmlich vor Hunger und Kälte. Gawain richtete ein heißes Gebet zu Gott und zur Jungfrau, daß er eine menschliche Wohnung erreichen möge. Kaum hatte er sich bekreuzigt, als er vor sich auf einem Hügel im Walde eine Burg erblickte. Er trieb sein Roß an und befand sich bald vor dem Haupttor. »Guter Mann,« sagte er zu dem Wächter, der auf dem Wall erschienen war, »möchtest du zu dem Herrn dieses Hauses gehen und[302] Herberge für mich erbitten?« »Ja, bei St. Peter,« erwiderte der Wächter, »wohl weiß ich, daß ihr hier willkommen seid.« Sogleich rasselte die Zugbrücke herunter und die Pforten öffneten sich, den Ritter aufzunehmen. Viel Edelinge hasteten herbei, ihn willkommen zu heißen. Sie nahmen ihm Helm, Schild und Schwert ab und manch stolzer Held drängte sich vor, ihm Ehre zu erweisen. Sie führten ihn in die Halle, wo ein helles Feuer auf dem Herde flackerte. Darauf kam der Herr des Schlosses aus seinem Gemach. »Willkommen,« sprach er, »an diesem Orte! Was ihr hier seht, steht in eurem Willen und unter eurer Gewalt, betrachtet es als euer Eigentum!« Gawain betrachtete seinen Gastfreund, der ein gewaltiger Recke zu sein schien, sein Bart war breit und bieberfarbig, sein Antlitz glühend wie Feuer. Er dankte ihm für seinen Gruß und folgte ihm in ein prächtig ausgestattetes Gemach, wo er seinen Waffenrock ablegte und reiche Feierkleider anzog. Bald war eine Tafel gedeckt und man setzte sich zum üppigen Mahl. Nach dem Essen wurden viele Fragen an Gawain gerichtet und er sagte seinen Namen und daß er zum Hofe Arthurs gehöre. Als der Schloßherr das hörte, lachte er vor Freude und alle die Leute im Saale bezeigten ihr Vergnügen. Nach dem Mahle gingen sie zur Kirche, die Abendvesper zu hören, und dazu erschien auch die Gattin des Gastgebers, umgeben von ihren Mägden. Sie war noch schöner als die Königin Guenevra, ihr Kopfschmuck strahlte von Perlen, Brust und Hals lagen bloß und strahlten heller als Schnee, der auf Hügel fällt, Gawain begrüßte sie und bat sie, ihm zu erlauben, daß er ihr diene. – Als die Weihnachtsfeier vorüber war, wünschte Gawain das Schloß zu verlassen, doch der Hausherr bestand darauf, daß er noch bleiben solle, und fragte ihn, was ihn kurz vor Weihnacht vom Arthurshofe vertrieben habe. »Herr,« sagte Gawain, »ein hoher Auftrag und ein eiliger trieb mich vom Hofe. In ganz England suche ich nach einem Orte, den ich nicht zu finden vermag, und darum bitte ich euch, Herr, daß ihr mir der Wahrheit gemäß sagt, ob ihr je von der grünen Kapelle hörtet und von dem grünen Ritter, dem sie gehört. Ich schwor, am Neujahrstage dort zu sein, und nur drei Tage noch fehlen bis dahin, lieber aber möchte ich sterben als mein Wort nicht halten.« Lachend erwiderte der Herr: »Grämt euch nicht weiter, ich will euch zur rechten Zeit die grüne Kapelle zeigen, sie ist nur zwei Meilen von hier fern. Darum verweilt noch die drei Tage hier und laßt es euch wohlergehen!« Da wurde Gawain froh. »Ich danke euch, Herr! Nun, da mein Schicksal zur Neige geht, will ich bleiben und[303] euren Willen tun.« »Gut,« sprach der Schloßherr, »wenn ihr meinen Willen tun wollt, so gewährt mir eine Bitte.« »Ihr habt hier zu befehlen.« »Ihr seid ermüdet von der Reise. So bleibt nach eurem Gefallen bis zur Messezeit auf eurem Zimmer. Dann geht mit meinem Weib zum Mahl und freut euch ihrer Gesellschaft, bis ich heimkehre. Ich selbst nämlich werde mich früh erheben und zur Jagd reiten.« Gawain gelobte ihm, alles das zu tun. »Noch weiter,« fuhr der Ritter fort. »Was immer ich im Wald gewinne, soll euer sein. Ich tausche mir dafür aus, was ihr den Tag über erhalten habt.« Auch das versprach Gawain, und sie trennten sich. – Früh am nächsten Morgen vor Tagesanbruch erhob sich die Schloßmannschaft, sattelte ihre Rosse und ritt mit dem Herrn zur Jagd. Unterdessen lag Herr Gawain zwischen prächtigen Vorhängen eingeschlossen in seinem Bett; und wie er in leisem Halbschlaf dämmerte, hörte er plötzlich ein Geräusch an der Tür und hob sein Haupt empor. Er öffnete ein wenig die Zipfel seines Vorhanges und sah, wie das herrliche Weib, die Gattin des Schloßherrn, eintrat und auf das Bett zueilte, nachdem sie die Türe wieder leise verschlossen hatte. Der Ritter schämte sich; er legte sich rasch wieder nieder und tat, als ob er schliefe. Sie aber raffte den Vorhang auseinander, setzte sich auf den Bettrand und wartete, daß er erwachen solle. Gawain wunderte sich, was das bedeuten solle, und lag ein wenig auf der Lauer. Dann schlug er seine Augenlider auf, blickte erstaunt um sich und bekreuzigte sich, wie einer, der eine plötzliche Gefahr von sich abwehren will. »Guten Morgen, Ritter,« sagte die Schöne, »ihr seid ein sorgloser Schläfer, daß ihr einen so eintreten laßt. Ich werde euch in eurem Bette festbinden, dessen seid sicher.« »Guten Morgen,« erwiderte Gawain, »ich werde mit dem größten Vergnügen euch dienen, doch erlaubt mir zuvor, mich zu erheben und mich anzukleiden, damit ich besser mit euch reden kann.« »Nein, schöner Herr,« sagte die Süße, »ihr sollt euch nicht erheben. So wie ich meinen Ritter gefangen habe, so will ich mit ihm reden. Ich weiß, ihr seid Herr Gawain, den alle Welt wert hält und dessen Ehre und Höfischkeit so hoch gepriesen werden. Jetzt sind wir hier allein, die Türe ist fest verriegelt. Tut mit meinem Leibe was ihr wollt, ich will eure Sklavin sein.« »Ich bin solches Vorzugs unwürdig,« versetzte Gawain. »Doch kann ich euch anders dienen, so soll es mir eine Freude sein.« »Es gibt genug der Frauen, die all ihr Gold und ihre Schätze hingeben würden, wenn sie dich so in den Armen halten dürften, wie ich dich jetzt halte. Hätte ich einen Mann zu wählen:[304] keiner auf Erden sollte es sein außer dir!« »Ich bin stolz auf den Preis, den ihr mir zuerkennt; ich will euer Ritter und treuer Diener werden und Christ mag euch eure Liebe vergelten.« So plauderten sie bis tief in den Morgen hinein, aber der Gedanke an das bevorstehende Abenteuer hielt Gawain davon ab, von Liebe zu reden. Schließlich bot sie ihm einen guten Tag und sprach mit lächelndem Blick zu ihm: »Gott vergelte euch eure Unterhaltung, doch daß ihr Gawain seid, bezweifle ich, denn Gawain wäre nicht so lange mit einer Frau zusammengewesen, ohne einen Kuß aus Höflichkeit von ihr gefordert zu haben.« Damit umfing sie ihn mit den Armen, beugte sich liebreich herab und küßte ihn. Alsdann verließ sie geräuschlos das Gemach; er aber erhob sich, rief seinen Kämmerlingen und ging, als er angekleidet war, zur Messe. Den ganzen Tag verbrachte er im Scherz und Spiel mit der Dame. Als die Dunkelheit einbrach, kehrte der Schloßherr heim, und Gawain ging ihm entgegen. Der Herr hieß alle seine Leute sich in der Halle versammeln, das Wildbret wurde auf dem Boden ausgebreitet, und er sprach zu Gawain gewendet: »Wie gefällt euch das? Habe ich einen Preis verdient?« »Gewiß,« sprach der andere, »hier ist das reichste Wildbret, das ich seit sieben Jahren zur Winterszeit sah.« »Und das alles gehört euch, Gawain,« sprach der Ritter, »denn laut unsrer Abmachung ist es euer Eigentum.« »Das ist wahr; und was ich hier drinnen gewonnen habe, das soll mit ebenso gutem Willen euer werden.« Hiermit schlang er die Arme um den Hals des Schloßherrn und küßte ihn: »Das ist meine Beute, mehr bekam ich nicht.« »Es ist gut,« sprach der Ritter, »aber besser würde es sein, wenn ihr mir erzählen wolltet, wie ihr das erlangtet.« »Das steht nicht im Vertrag,« versetzte Gawain, »also dringt nicht weiter in mich.« Darauf setzten sie sich zum Mahle und gingen zu Bette, als es Zeit dazu war. – Am andern Tage erhielt Gawain von der schönen Frau zwei Küsse und stellte sie am Abend dem Schloßherrn zurück, der ihm dafür seinen erlegten Eber gab. – Früh am Morgen des dritten Tages brach der Gastfreund mit seinem Gefolge wieder auf, einen Fuchs zu jagen. Mittlerweile schlief unser Held fest zwischen seinen reichen Vorhängen. Aber die Frau stand beizeiten auf und kam in einen prächtigen Mantel gehüllt vor Gawains Bett. Ihr Hals und Busen waren nackt, kostbare Edelsteine waren in ihrem Kopfschmuck verflochten. Sie öffnete ein Fenster und sprach: »Ach, Mann, wie könnt ihr schlafen, der Morgen ist so licht!« Gawain träumte gerade von seinem Abenteuer; jetzt fuhr er auf und antwortete[305] hastig. Sie beugte sich über sein Antlitz und küßte ihn. Ihre edle Gestalt wärmte sein Herz mit wallender Lust; hätte Maria sieh nicht ihres Ritters erinnert, so wäre er in großer Gefahr gewesen. So sehr bedrängte ihn die Frau mit ihrer Liebe, daß er fürchtete, an seinem Gastfreund zum Verräter zu werden. »Tadel verdient ihr,« sagte das Weib, »daß ihr den Leib nicht liebt, der bei euch liegt. Oder habt ihr ein Liebchen, das euch lieber ist als ich?« »Bei St. Johann!« entgegnete der Ritter lächelnd, »ich habe keins und habe keinen Wunsch danach.« »Das ist ein schlimmeres Wort als alle,« seufzte die Frau und küßte ihn; dann stand sie auf und sprach: »Jetzt, Lieber, gebt mir bei unsrem Scheiden aus Gefälligkeit ein Geschenk, und wäre es auch nur ein Handschuh, damit ich ein Andenken habe, wenn der Schmerz mich übermannt.« »Ich wollte, ich hätte hier das geringste Ding, mit dem ich euch eure Liebe vergelten könnte. Aber ihr seid von zu edler Art, als daß ich euch etwas geben könnte.« »Wenn ich auch nichts von euch erhalten kann,« sprach die Liebreiche, »so sollt ihr doch wenigstens eine Gabe von mir haben.« So sprechend knüpfte sie ihren Gürtel auf, der von grüner Seide und mit Gold verziert war. »Ich will keine Gaben,« sprach Gawain, »ich bin ein fahrender Ritter und führe keine Koffer mit Schätzen, euch davon zurückzugeben, bei mir. Seid mir nicht böse, wenn ich euer Geschenk ausschlage, in allem andern will ich euer treuer Dienstmann sein.« »So schlagt ihr diese Schlinge aus, weil sie zu einfach ist? Sie ist nicht so wertlos wie sie scheint; wer die Zauberkräfte kennte, die sie enthält, würde sie höchlich preisen. Denn wer mit diesem grünen Band gegürtet ist, der ist gefeit gegen Schlag und Hieb.« Der Ritter überlegte einen Augenblick und dachte, daß dieser Gürtel ein Juwel sein würde für das Wettspiel, das er in der grünen Kapelle zu bestehen habe. So nahm er den Gürtel an und versprach, den Besitz geheim zu halten. Die Schloßherrin küßte ihn darauf zum dritten Male und entfernte sich. Gawain erhob sich, kleidete sich an und verbarg den Gürtel. Dann eilte er zur Messe, beichtete und empfing Lossprechung von seinen Sünden. Als die Nacht einbrach, kehrte der Gastgeber mit dem erlegten Fuchs zu seiner Burg zurück und fand seinen Gast am sprühenden Feuer mit der Dame scherzend. Gawain küßte den Ritter dreimal, um sein Versprechen zu halten, doch den Gürtel verbarg er vor ihm. »Bei Gott,« sprach der Ritter, »es muß euch gut gegangen sein. Ich jagte den ganzen Tag, aber ich habe nichts bekommen als den Pelz dieses elenden Füchsleins; das ist zu wenig, um so kostbare[306] Dinge zu vergelten.« – Der nächste Morgen war der Neujahrstag. Es war kalt und stürmisch, der Schnee fiel, und wirbelnder Wind trieb tiefe Schneewehen in den Tälern zusammen. Gawain schlief in dieser Nacht wenig; an jedem Hahn, den er krähen hörte, erkannte er die Stunde, und lange vor Tagesanbruch schon rief er den Kämmerling, der ihm seine Waffen brachte. Er rüstete sich und vergaß nicht, den Gürtel zweimal um seine Lenden zu schlingen. Nicht wegen der reichen Zier trug er ihn, sondern als eine Abwehr gegen Schwert und Dolch. Nachdem er seinem Gastfreund gedankt hatte, hob er sich in den Sattel und ritt, von einem Führer geleitet, davon. Sie schritten über Höhen, deren Zweige kahl waren, sie klommen über Klippen, die die Kälte zusammenzog; der Himmel war dunkel, Nebel brütete auf den Mooren, jeder Hügel hatte eine Kappe auf und einen ungeheuern Nebelmantel umgelegt. Einsam war der Weg, bis die Sonne aufging. Sie standen vor einem hohen Hügel, der ganz beschneit dalag, und der Führer bat seinen Herrn anzuhalten. »Ich habe euch hierhergebracht,« sagte er, »und ihr seid nicht fern von dem Platze, nach dem ihr so oft verlangtet. Aber der Ort, dem ihr zustrebt, ist gefährlich, denn in der Wüste wohnt ein Mann, der kein Erbarmen kennt und weder Mönch noch Priester schont. Darum rate ich euch: kehrt um, sonst ist euer Leben verwirkt und hättet ihr auch zwanzig Leben zu vergeben.« Gawain dankte seinem Führer für die wohlgemeinte Warnung, aber er wollte auf jeden Fall zur Kapelle gehen. »Wenn es euch gefällt, euer Leben zu verlieren,« sagte der Führer, »so will ich euch nicht hindern. Bindet den Helm fest und stemmt den Speer ein, dann reitet diesen Felsenpfad hinab, bis ihr auf den Grund des Tales gelangt. Dort werdet ihr zur linken Hand in jener Schlucht die Kapelle erblicken. Fahrt wohl, edler Gawain! Um alles Gold im Erdenschoße möchte ich nicht einen Fuß weiter mit euch gehen.« Mit diesen Worten eilte er davon und ließ den Ritter allein. Gawain durchquerte das Tal und blickte um sich. Er sah keine Spur von einer Behausung, nur hohe und steile Anhöhen, und sogar die Schatten der Wälder schienen wild und verzerrt. Nach einer Weile gewahrte er einen runden Hügel zur Seite eines Wildbaches; er ritt dorthin, stieg ab und befestigte sein Roß an einem Baumast. Er schritt um den Hügel herum und fand, daß er von zwei Seiten offen war; es war ein ganz mit Grün überzogenes Gewölbe. »In der Tat,« sprach Gawain, »das ist der geeignete Platz für den grünen Ritter, seine Andachten nach des Teufels Weise abzuhalten.« Den Helm auf dem Kopf und den Speer in[307] der Hand stieg er zum Hügel empor, als er von der andern Seite des Baches ein sonderbares wildes Geräusch hörte. Es rasselte in den Felsen, als ob man auf einem Schleifstein eine Sense schliffe, es schwirrte wie ein Mühlwasser, es rauschte und tönte wieder, furchtbar zu hören. »Wenn auch mein Leben verspielt ist,« sagte Gawain, »kein Lärm soll mich fürchten machen.« Dann rief er laut: »Wer wohnt an diesem Orte, Zwiesprach mit mir zu halten? Denn jetzt ist Gawain hier, jetzt oder nie mag ein tapferer Mann kommen, ihn zu bestehen.« »Warte!« sprach einer auf dem andern Ufer über seinem Haupte, »du sollst alsbald haben, was ich dir einst versprach.« Aus einer Höhle im Felsen trat, eine breite dänische Axt in der Faust schwingend, der grüne Ritter, gekleidet wie zuerst in Mantel, Haar und Bart. Als er den Gießbach erreicht hatte, sprang er hinüber und schritt kühn vorwärts, bis er vor Gawain stand. »Jetzt, lieber Herr,« sprach dieser, »bin ich bereit zur Rede.« »Gawain,« versetzte der grüne Ritter, »Gott mag dich schirmen. Du bist willkommen an dieser Stätte und hast als redlicher Mann die rechte Zeit eingehalten. Du kennst unsre Verabredung. Nimm deinen Helm ab und empfange den Streich. Wir wollen nicht mehr Worte verlieren als damals, da du mir mein Haupt mit einem einzigen Schlage abschlugst.« Gawain beugte sich ein wenig nieder und zeigte furchtlos seinen bloßen Nacken. Der grüne Ritter hob sein grimmiges Werkzeug auf und schwang es mit aller Kraft, als wolle er ein Ende mit ihm machen. Als die Axt niederglitt, zuckte Gawain vor dem scharfen Eisen ein wenig mit den Schultern. Der andre hielt seine Waffe zurück und sprach stolz: »Du bist nicht Gawain, den man so hoch achtet und der nie sich fürchtete vor einer Schar in Berg und Tal. Jetzt aber fliehst du aus Furcht, ehe du Schmerz fühlst. Solche Feigheit erfuhr ich von Gawain nie. Ich zuckte nicht, als du zuschlugst. Mein Haupt flog zu deinen Füßen, doch ich floh nicht wie du, also bin ich der bessere Mann.« »Einmal wich ich aus,« antwortete Gawain, »und werde es nicht nochmals tun, wenn auch mein Haupt auf die Steine rollt. Aber spute dich und mach ein Ende mit mir. Ich will deinem Streiche stehen und nicht zucken, bis deine Axt mich trifft. Hier ist mein Wort darauf.« »Halt an dich denn,« sprach der andere, erhob die Axt und zielte nach Gawains Hals, doch er hielt inne, bevor er ihn verletzt hatte. Gawain wartete ruhig und ohne ein Glied zu rühren den Streich ab; wie ein Baum, den hundert Wurzeln auf felsigen Grund fesseln, so still stand er. Darauf sprach der Grüne: »Da dein Herz jetzt ruhig ist, muß ich[308] dich treffen. Gib acht auf deinen Nacken!« Zornig erwiderte Gawain: »Drisch zu, stolzer Mann, du dräust zu lange; ich glaube, dein eigner Mut läßt dich im Stich.« »Wahrlich, da du so kühn redest, will ich nicht länger zaudern.« Darauf zog er Brauen und Lippen zusammen und machte sich fertig zum Schlag. Er erhob seine Waffe und ließ sie niedersausen auf den bloßen Nacken Herrn Gawains. Obwohl er gewaltig ausgeholt hatte, verletzte er ihn nur ein wenig an der Haut, so daß das Blut entströmte. Als der Held sein Blut in den Schnee rinnen sah, ergriff er hastig seinen Helm und setzte ihn sich aufs Haupt. Darauf zog er sein blitzendes Schwert und sprach voll Grimm: »Hör auf, Mann, mit deinen Schlägen! Ich habe an dieser Stelle einen Streich ohne Gegenwehr ausgehalten, mehr verlangt unsre Abmachung nicht. Gibst du mir noch einen, so zahle ich ihn dir zurück.« Der grüne Ritter stand auf seine Axt gelehnt und blickte Gawain an, wie er so kühn und furchtlos vor ihm stand. »Sei nicht zornig, Ritter,« sprach er, »niemand hat dir Unrecht getan. Zwei Streiche zielte ich nach dir, denn zweimal küßtest du mein schönes Weib, doch ich traf dich nicht, weil du mir die Küsse unserem Vertrag gemäß zurückerstattetest. Beim dritten Male fehltest du, darum gab ich dir einen leichten Schlag. Jener Gürtel, den dir mein Weib gab, ist für mich gewoben. Ich weiß wohl, wie mein Weib um dich warb, ich sandte sie selbst, um dich zu versuchen, und sicher dünkt es mich, daß du der tadelfreiste Ritter bist, der je auf Erden wandelte. Zwar, Herr, verbargst du vor mir den Gürtel, doch tadele ich dich nicht darum, denn nicht Sinnenlust trieb dich dazu, sondern Liebe zum Leben.« Gawain stand niedergeschmettert da; das Blut strömte ihm in die Wangen und vor Scham sank er in sich zusammen. »Verflucht,« rief er, »sei Feigheit und Wollust!« Darauf riß er seinen Gürtel ab und warf ihn dem Ritter zu; der aber sprach lachend: »Du hast so gut gebeichtet, daß ich dich für ebenso rein halte, als hättest du nie gefehlt, seit du geboren bist. Ich gebe dir, Herr, den goldgewobenen Gürtel zum Andenken an das Abenteuer an der grünen Kapelle. Jetzt aber komm in mein Schloß und laß uns das neue Jahr festlich begehen!« »Nein,« sprach Gawain, »Gott vergelte euch eure Gunst. Empfehlt mich eurem Weibe, das mich mit Hexenkünsten betört hat. Den Gürtel will ich ewig tragen zur Erinnerung an meinen Fehltritt, und wenn Stolz mich erhebt, so soll ein Blick auf diese Liebesschlinge ihn dämpfen.« So trennten sie sich; der eine kehrte zu seinem Schloß zurück, der andere ritt an Arthurs Hof. Groß war die Freude dort;[309] der König und die Königin küßten den tapferen Ritter und fragten ihn nach dem Verlauf seiner Reise. Er erzählte ihnen sein Abenteuer und verhehlte ihnen nichts. Weinend vor Zorn und Scham zeigte er ihnen die Wunde an seinem Nacken, die er für seine Untreue erhalten hatte. Der König und seine Ritter trösteten ihn. Sie lachten und gelobten, alle Ritter und Damen, die zur Tafelrunde gehörten, sollten um Gawains willen ein gleiches Band am Gewande tragen. So geschah es, und dem Bande ward der Ruhm der Tafelrunde verliehen, und jeder, der es trug, ward geehrt für alle Zeiten.

Quelle:
Tegethoff, Ernst: Märchen, Schwänke und Fabeln. München 1925, S. 299-310.
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