[197] 62. Die drei genasführten Freier

Es war einmal eine sehr reiche und schöne Witwe, deren Mann schon vor ein paar Jahren gestorben war. Zu ihr kamen viele Freier, die sie zur Ehefrau wünschten; sie wollte aber vom Heiraten überhaupt nichts mehr wissen.

Da kamen nun einmal wieder drei junge Männer, die nacheinander ihre Werbung vorbrachten, die Witwe schickte sie jedoch ebenso heim wie die andern.

Die Männer gaben sich aber damit noch nicht zufrieden, sondern begannen, der Frau mit weiteren Besuchen lästig zu fallen: ein jeder pries seinen Reichtum und seine Liebe zu ihr, so daß die Witwe ihrer endlich überdrüssig wurde und im stillen Rat hielt, wie sie die Zudringlichen wieder loswerden könne.

[197] Endlich fand sie auch ein gutes Mittel: sie ließ die drei an einem bestimmten Abend einzeln zu sich kommen, einen jeden immer eine Stunde später als den anderen, aber so, daß sie davon einander nichts sagen durften und ihr Kommen geheimhalten mußten.

Am bestimmten Abend kam nun derjenige, der als erster zur Frau geladen war. Die Frau sprach zu ihm: »Wenn du mich wahrhaft liebst, so verbring eine Nacht wie ein Toter in der Stube im Sarge.« Der Mann war's zufrieden, ließ sich Totenkleider anlegen, ging hin und legte sich lang hingestreckt in den Sarg.

Nach kurzer Zeit kam der zweite Freier. Die Frau fragte ihn: »Wenn du mich wahrhaft liebst, willst du da eine Nacht in der Stube an dem Sarge eines Toten wachen?« Der Mann war's zufrieden und versprach, die Wache zu übernehmen. Die Frau legte ihm weiße Kleider um, band ihm zwei Gänseflügel an die Schultern, gab ihm eine brennende Laterne in die Hand und schickte ihn zum Sarge. – Der Mann, der im Sarge lag, schaute hin: »Wovor brauche ich mich nun noch zu fürchten, wenn ein Engel mich zu bewachen kommt?« – und war ganz ruhig.

Hierauf kam zur Witwe der dritte Freier, und sie fragte ihn ebenso wie die andern: »Wenn du mich liebst, willst du mir da eine Leiche aus der Stube tragen?« Der Mann war's zufrieden und sprach: »Und wenn der Teufel sie selbst bewacht, so will ich sie dir holen.« Die Frau schwärzte ihm mit Ruß das Gesicht, band ihm zwei Bockshörner auf den Kopf und schickte ihn in die Stube.

Als er dort eintrat, erschraken alle drei, sowohl er selbst als auch der Engel und der Tote. Endlich fragte der Teufel den Engel: »Was hast du hier zu tun? Heb dich fort von hier! Ich hab den Befehl, diesen Toten in die Hölle zu bringen.« – »Und ich habe den Befehl, diesen Toten zu bewachen«, erwiderte der andre.

Nun erhob sich ein Kampf, und der Teufel begann die Oberhand zu gewinnen. Als der Mann im Sarge sah, daß der Teufel der Stärkere war, da fürchtete er, bei lebendigem Leibe in die Hölle getragen zu werden, sprang entsetzt aus dem Sarg und rannte davon, was er konnte.

Als die Kämpfer sahen, daß der Tote lebendig wurde, erschraken [198] sie so fürchterlich, daß sie an nichts anderes dachten, als ebenso Hals über Kopf davonzulaufen.

Die Witwe, die alles dies aus einem Versteck beobachtet hatte, lachte darüber bis zu Tränen. Seit der Zeit verloren aber die drei alle Heiratslust und ließen die Witwe in Ruh.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 197-199.
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