[201] 64. Wie der Gutsbesitzer in den Himmel kam

Es war einmal ein Gutsbesitzer. Als sein Stündlein gekommen war, machte er sich auf den Weg nach dem Himmel. Er war schon mehrere Tage unterwegs, da kam er endlich zum Himmelstor; dort klopfte er mit zitternder Hand an. Gleich fragte Petrus: »Wer ist da?« Der Gutsbesitzer erwiderte: »Ich bin ein Gutsbesitzer, komme aus der sündigen Welt und bitte, mich in den Himmel einzulassen.«

Petrus antwortete: »Gutsbesitzer werden im Himmel nicht aufgenommen, sie müssen alle direkt in die Hölle wandern, denn der Himmel ist voll von Juden, welche durch Schuld der Gutsbesitzer auf der Reise nach Amerika umgekommen sind.«

Der Gutsbesitzer bat noch mehrere Male, doch Petrus gab immer dieselbe Antwort. Da half es denn schließlich nichts – er mußte in die Hölle wandern, denn auf die Erde wollte er auch nicht mehr zurück.

Auf dem Wege zur Hölle kam dem Gutsbesitzer sein alter Advokat entgegen, der fragte ihn: »Was siehst du so mißmutig aus?« Der Gutsbesitzer antwortete: »Wie sollt ich nicht mißmutig sein? Ich wollt in den Himmel kommen, aber Petrus ließ mich nicht zum Tor hinein. Er schickte mich in die Hölle, denn der Himmel soll voller Juden sein.«

[201] Der Advokat sprach: »Komm zurück! Ich will dich schon hineinbringen, hab ich doch auch auf Erden deine Sachen immer gut geführt; ich werd auch mit Petrus schon fertig werden.« Der Gutsbesitzer ließ sich das nicht zweimal sagen. Er ging sogleich mit dem Advokaten zurück.

Der Gutsbesitzer und der Advokat langten endlich vor dem Himmelstor an. Der Advokat klopfte ans Tor. Petrus fragte: »Wer ist da?«

Der Advokat antwortete: »Ein alter ehrlicher Gutsbesitzer mit seinem Advokaten.«

Petrus sprach: »Ich habe doch schon gesagt, daß Gutsbesitzer nicht in den Himmel kommen!«

Der Advokat entgegnete: »Mach das Tor auf und laß wenigstens mich hinein.«

Petrus öffnete das Himmelstor, der Advokat ging hinein und sagte zu Petrus: »Geh rasch und ruf mir den lieben Gott selber herbei, ich will ihn persönlich wegen des Gutsbesitzers sprechen; solange du fort bist, bleibe ich hier als Torhüter.«

Petrus ging. – Kaum war er fort, so rief der Advokat mit lauter Stimme in den Himmel hinein: »He! Ich komme grade aus der Hölle, der Teufel versteigert heute alte Kleider!«

Kaum hatte er das gesprochen, so stürmten alle Juden zum Himmelstor. Es dauerte nicht lange, so waren sie alle aus dem Himmel hinaus. Jetzt ließ der Advokat den Gutsbesitzer ein, und als Petrus zurückkam, da konnte er nichts dawider sagen, denn Platz war ja genug da.

Seit jener Zeit läßt Petrus aber keinen einzigen Advokaten mehr in den Himmel hinein.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 201-202.
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