[283] 86. Die drei guten Worte

[283] Es war einmal ein fauler, alter Mann. Seine Frau webte schöne Decken und schickte den Mann, sie zu verkaufen. Eine Werst von der Stadt kam ihm aus dem Walde ein fremder Mann entgegen und bat: »Peter, gib deine Decke mir.« Peter wollte sie nicht hergeben, der andere aber bat: »Gib, gib, ich sage dir ein gutes Wort dafür.« Nun, Peter war auch damit zufrieden und gab die Decke ab; und der Fremde sagte ihm das gute Wort: »Wenn du den Arm aufhebst, so laß ihn nicht sinken

Der Fremde verschwand mit der Decke im Walde; Peter kehrte zu seiner Frau heim, die Frau aber begann ihn zu schelten. Brot hatten sie nicht, es war rein um des Hungers zu sterben! Sie besaßen nur noch dreißig Kopeken Geld. Die Frau schickte den alten Mann in die Stadt, um für dieses Geld Garn zu kaufen, damit sie eine neue Decke weben könne.

Wieder webte die Frau eine unbeschreiblich schöne Decke und schickte wieder ihren Mann, diese Decke zu verkaufen; selber hatte sie zwei bis drei Tage nichts gegessen. An derselben Stelle, wo der Mann die erste Decke weggegeben hatte, kam ihm jetzt wieder der fremde Greis aus dem Walde entgegen und lockte ihm die Decke wieder für ein gutes Wort ab: »Du wirst ins Wasser fallen und nicht ertrinken

Als der Mann nach Hause kam, fing seine Frau wieder an zu zanken. Die Frau hatte nur noch fünf Kopeken Geld. Für dieses Geld ließ sie ihren Mann aus der Stadt Garn holen, webte wieder eine schöne Diamantendecke und schickte ihren Mann, diese zu verkaufen. An der alten Stelle – eine Werst von der Stadt – kam ihm aus dem Walde wieder der alte Mann nachgelaufen und rief: »Peter, gib die Decke mir!« Vor Schreck begann Peter vor dem alten Manne zu fliehen, aber dieser lief hinter ihm drein und bat immer wieder: »Peter, gib die Decke mir, gib sie – ich sage dir ein gutes Wort dafür!« So liefen sie nun beide. Peter wollte nicht und wollte nicht die Decke hergeben, aber gerade vor der Stadt gab er sie doch her und bekam für die Decke ein gutes Wort: »Wo[284] eine Weide wächst, da gibt es keinen Wassermangel.«

Nun wagte Peter nicht mehr zu seiner Frau heimzukehren, sondern ging aufs Meer als Matrose. Da erhob sich aber auf dem Meere ein schauerlicher Sturm, und der Kapitän erklärte: »Es ist nötig, einen Mann ins Meer zu werfen.« Man warf das Los – und das Los traf Peter. Der Kapitän versprach, dem Peter die Hälfte der Schiffsladung zu schenken, wenn dieser nur erlaube, sich ins Meer werfen zu lassen. Da erinnerte sich Peter an das Wort des alten Mannes: »Du wirst ins Wasser fallen und nicht ertrinken.« Und Peter ließ sich ins Wasser werfen und ertrank auch wirklich nicht, sondern das Meer warf ihn ans Ufer.

Hier wartete Peter auf das Schiff. Und als der Kapitän mit seinem geretteten Schiffe im Hafen anlangte, da bekam er einen furchtbaren Schreck, denn Peter stand vor ihm auf dem Boulevard, den Kontrakt in der Hand. Nun, da bekam Peter also auch die Hälfte der Schiffsladung.

Dort in der Stadt war zu jener Zeit ein großer Wassermangel, und der König hatte drei Schiffsladungen Schätze demjenigen versprochen, der die Stadt von dem Wassermangel befreie. Nun erinnerte sich Peter an das andere gute Wort, das er vom alten Manne gehört hatte: »Wo eine Weide wächst, da gibt es keinen Wassermangel.« Peter ging sofort zum König und versprach diesem, das Wasser zu verschaffen: er ging in den königlichen Garten, ließ eine Weide aus dem Boden graben – und sogleich sprudelte unter ihren Wurzeln eine Quelle hervor. Es gab Wasser in Hülle und Fülle, und die Stadt war von dem Wassermangel erlöst; und Peter erhielt die versprochenen Schätze.

Nun kehrte Peter heim. In der Zwischenzeit war sein Sohn zu einem großen Mann herangewachsen und schlief gerade an der Seite seiner Mutter. Peter hielt ihn für einen Fremden und erhob schon sein Schwert, um ihn zu töten – da kam ihm das dritte Wort in den Sinn, das er vom alten Manne gehört hatte: »Wenn du den Arm aufhebst, so laß ihn nicht sinken!« Peter ließ das Schwert nicht niederfallen. Da erwachte auch seine Frau, und alles klärte sich auf; sie versöhnten sich miteinander und lebten ein glückliches Leben. Das ist alles.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 283-285.
Lizenz:
Kategorien: