14.
Die dem Wassernix versprochenen Kinder.
(Aus Paanajärwi.)

[116] In einem Schlosse wohnte ein König, der hatte eine Gemahlin. Ueber Eines trauerten sie tief: es schien, dass ihnen im ganzen Leben kein Kind geboren werden sollte. Einstmals musste der König eine Seefahrt unternehmen, und mitten auf dem Meere scheiterte sein Schiff. Man konnte nicht weiter fahren, das Fahrzeug rührte sich nicht von der Stelle. Man berieth sich nun und versuchte alles Mögliche, aber nichts half und die Gefahr ward zuletzt sehr gross. Da tauchte der Wassernix aus den Wellen empor[116] und sagte zum Könige: »Gieb mir dasjenige, was unterdessen in deinem Hause geboren worden ist, dann will ich dir in deinem Schiffe von hier forthelfen; du kommst sonst dein Lebtag nicht von hier los.« – Der König überlegte in seinem Sinn: »Wenn mein Pferd vielleicht ein Fohlen geboren hat, das gebe ich gern hin; hat eine Kuh ein Kalb, oder ein Schaf ein Lämmlein bekommen, die gebe ich alle gern.« Und er gelobte dem Nix das zu überlassen, was daheim geboren worden war. Das Schiff kam los und der König kehrte heim. Dort eilte ihm seine Gemahlin entgegen, auf dem einen Arm einen Knaben, auf dem andern ein Mägdlein, und begrüsste glückselig ihren Gatten. Der König war hocherfreut, dass seine Gemahlin ihm endlich Kinder geschenkt hatte; aber der Jubel war von kurzer Dauer, denn der arme Vater erinnerte sich seines dem Wassernix gegebenen Wortes. Nun trauerte er schmerzlich, dass er seine einzigen Kinder fortgeben musste. Seiner Gemahlin sagte er jedoch nichts davon, sondern ging allein in den Wald und grub eine tiefe Grube, in die er seine Kinder verstecken wollte. Als die Grube fertig war, baute er eine kleine Stube darein, stellte Speise und Trank hinein und verbarg seine Kinder in der Erde, damit sie der Wassernix nicht finden sollte.

Es dauerte nicht lange, da kam der Wassernix zum Könige und fragte: »Giebst du mir jetzt, was du mir gelobt hast?« Der König bot ihm ein Fohlen an, doch der Nix mochte es nicht haben. Der König zeigte ihm ein Kälbchen, dann ein Lamm, aber der Nix war noch immer nicht zufrieden und verlangte das vom Weibe Geborene. Nun kaufte der König einen Knaben und ein Mägdlein aus dem Dorfe, und gab sie dem Wassernix mit, um seine eigenen zu retten. Der Nix nahm die Kinder und machte sich mit ihnen auf die Heimreise. Unterwegs fragte er die Beiden: »Wenn ihr Königskinder seid, werdet ihr mir wohl[117] sagen können, was alles Süssen Süssestes ist?« – »Das ist der Honig«, antworteten die Kinder. – »Was ist alles Weichen Weichstes?« fragte der Nix. – »Das Allerweichste ist ein Daunenkissen«, meinten die Kinder. – »Was ist alles Harten Härtestes?« – »Ein Stein.« – »Was ist das Dickflüssigste alles Dickflüssigen?« – »Theer.« – »Ei, ihr seid gar keine Königskinder«, sagte der Nix, führte sie ins Schloss und begann überall nach den rechten Kindern zu suchen. Er hatte schon das ganze Schloss durchsucht und die Kinder nirgends gefunden; zuletzt ging er auch in die Schmiede, um nach ihnen zu spähen. Auch dort fand er sie nicht, aber der Schlägel redete ihn an und sagte: »Der König hat am Werktage und am Feiertage mit mir geschmiedet, und ich mache mir nichts daraus, dir alles zu sagen. Nimm mich auf die Schulter und gehe hinaus; wohin ich falle, da suche nach den Vermissten.« Der Wassernix nahm den Schlägel auf die Schulter und ging damit an den Waldrain; dort fiel der Schlägel auf die Erde, genau auf die Stelle, wo die Kinder verborgen waren. Nun fing der Nix an zu graben und fand bald das Stübchen und tief darin versteckt den Knaben und das Mägdlein. Beide Kinder nahm er auf den Arm und machte sich mit ihnen auf den Heimweg. Während des Wanderns sagte der Königsknabe zu seinem Entführer: »Da du uns doch aus unseres Vaters und unsrer Mutter Hause fortgeführt hast, so tödte uns entweder gleich oder gieb uns was zu essen.« – »Nun, was ist alles Süssen Süssestes?« fragte der Wassernix. – »Das Allersüsseste ist die Muttermilch.« – »Was ist alles Weichen Weichstes?« – »Der Mutter Schooss.« – »Was ist alles Harten Härtestes?« – »Des Vaters Herz.« Als der Wassernix diese Antworten hörte, nahm er die Kinder mit sich in sein Heim und machte sie zu seinen Dienern. Die Drei lebten lange beisammen; die Zeiten und die Tage gingen dahin; die Kinder wuchsen heran und[118] sorgten sich, wie sie wohl wieder in ihre Heimat gelangen könnten. Doch geschah es zuletzt, dass der Wassernix das Mädchen bethörte, so dass sie miteinander lebten wie Mann und Weib. Darüber trug der Bruder im tiefsten Herzen Leid; er mochte gar nicht länger bei dem Nix bleiben und grämte sich stets. Einst stand er in seinem Kummer um Mitternacht auf, ging an die Hinterthür und weinte dort bitterlich über sein Unglück. Der arme Jüngling weinte und weinte, und kein Sinn hätte sein Leid ermessen, kein Wort es ausdrücken können. Da lief ein Wolf des Weges heran und fragte den Knaben: »Warum weinst du, mein lieber Knabe? Wenn du hier fortwillst, so setze dich auf meinen Rücken.« – »O, ich ginge gar zu gern fort«, antwortete der Jüngling; »aber ich habe hier eine Schwester.« – »Nun, gehe und hole sie«, redete der Wolf ihm zu; »ich will euch beide erlösen.« Als der Jüngling hineilte seine Schwester zu holen, schlief diese bereits mit dem Wassernix; doch der Bruder kehrte sich nicht daran, sondern zog sie vom Bettrand herunter und trug sie in seinen Armen an die Pforte, wo der Wolf ihrer harrte. Die Geschwister stiegen auf den Rücken desselben, und der Wolf trabte und rannte dahin, so schnell er konnte. Vor der Flucht sagte jedoch der Wolf zum Jüngling: »Wenn du den Wassernix kommen siehst, so sage es mir an.« – Eine Strecke Weges mochten die Geschwister auf dem Rücken des Wolfes zurückgelegt haben, als der Jüngling plötzlich ausrief: »Da kommt er!« – »So, kommt er schon?« sagte der Wolf. »Nehmt jetzt die Zacke, die unter meinem Schwanze ist, steckt sie hinter euch in die Erde und sprecht: es erhebe sich ein Berg, der bis an den Himmel reicht; es möge nichts darüber, nichts darunter, nichts um ihn herum gelangen können, weder was mit Flügeln fliegt, noch was auf Beinen läuft!« – Der Jüngling that also; er stiess die Zacke hinter sich in die Erde, und sofort erhob sich ein Berg von Zacken[119] bis an den Himmel und versperrte dem Wassernix den Weg. – Wie der Nix merkte, dass er nicht hinüber konnte, blieb er am Fusse des Berges stehen und rief in seinem Zorne: »Hätte ich nur hier meine eigene Hacke und meinen guten Bohrer, ich würde mir bald eine Oeffnung durchbrechen.« Er eilte nun nach Hause, um sein Werkzeug zu holen, und kam mit der Hacke und dem Bohrer zurück und machte damit eine Oeffnung, durch die er den Flüchtlingen nacheilen konnte. Sein Werkzeug wagte er jedoch nicht am Wege liegen zu lassen, sondern vergrub dasselbe in der Erde. Während dessen sang eine kleine Meise auf dem Baume:


»Tii, tii, ich kleine Meise,

Wati kuti, ich bin weise.

Der Alte hat hier was versteckt,

Ich hab's gesehn, ich hab's entdeckt!«


»Ei, du elende Schwätzerin!« sagte der Wassernix. »Ich muss doch wahrhaftig die Hacke und den Bohrer nach Hause tragen, sonst findet sie am Ende Jemand!« Er eilte mit seinem Werkzeug nach Hause, kehrte dann schnell um, setzte den Flüchtlingen nach, erreichte sie endlich und hielt sie an. Er führte die Geschwister wieder in sein Haus, und das alte Leben begann wie ehedem. Dem Mädchen gefiel das Zusammensein mit dem Wassernix aufs neue; dem Jüngling dagegen erschien die Lage unerträglicher als je; doch er wusste kein Mittel die Flucht zu bewerkstelligen. Eines Abends sass er wieder wie sonst an der Hinterpforte und weinte in seinem Leide, als ein dickköpfiger, schwarzröckiger Bär herangetrottelt kam und ihn fragte: »Willst du dich nicht auf meinen Rücken setzen, mein Knabe?« – »Ach, ich ginge nur zu gern!« antwortete der Jüngling. »Doch müsste meine Schwester mitkommen.« – »Nun, hole sie eilends«, sagte der Bär. »Aber trödle nicht lange!« – »Warte nur noch ein Weilchen!«[120] bat der Jüngling und lief in die Stube. Drin schlief das Mädchen neben dem Wassernix, wie sonst auch. Doch der Bruder zog sie vom Bettrand herunter, zupfte sie ein wenig an den Haaren und trug sie in seinen Armen an das Thor, wo sich die Geschwister auf den Rücken des Bären setzten. Nun trabte der Petz dahin und belehrte den Jüngling: »Wenn du den Wassernix kommen siehst, so rufe mir's zu!« – Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie hinter sich ein Geräusch hörten; der Jüngling schaute sich um, gewahrte den Wassernix und rief in seiner Angst dem Bären zu: »Da kommt er schon!« – »Fürchtet euch nicht!« beruhigte der Bär. »Nimm unter meinem Schwanze einige Borsten heraus, streue sie hinter dich und sage: es erhebe sich hier ein Borstenberg bis an des Himmels Höhe, so dass nichts darüber, nichts darunter und nichts um ihn herum gelangen kann, weder was mit Flügeln fliegt, noch was auf Beinen läuft!« – Der Jüngling that, wie er belehrt worden, und sofort erhob sich ein Berg von Borsten, der beinahe bis an den Himmel reichte. Der Wassernix gelangte bald an die Stelle, konnte jedoch nicht vorwärts kommen, der Berg versperrte ihm den Weg. Da rief er zornig aus: »Hätte ich nur meine eigene Hacke hier und meinen guten Bohrer, ich würde mir bald eine Oeffnung durchbrechen!« Schnell kehrte er heim und eilte dann mit der Hacke und dem Bohrer an den Berg, und machte in denselben ein Loch, durch welches er durchschlüpfen konnte. Dann grub er eine Grube, um sein Werkzeug darin zu verstecken; da hörte er eine Meise auf dem Baume singen:


»Tii, tii, ich kleine Meise,

Wati kuti, ich bin weise.

Der Alte hat hier was versteckt,

Ich hab's gesehn, ich hab's entdeckt!«


»Du elendes Thier, was schwatzest du!« schrie der Wassernix. »Ich muss wahrhaftig mein Werkzeug nach[121] Hause tragen, sonst verräth mich das Ding!« Er lief spornstreichs nach Hause, kehrte jedoch gleich wieder um und eilte den Flüchtlingen nach. Endlich holte er sie ein, packte den Jüngling an der Hand und sagte: »Läufst du mir noch einmal davon, so fresse ich dich!« Der Nix kehrte nun mit den Geschwistern in sein Haus zurück, und bald lebte das Mädchen mit ihm in der alten Weise. Aber dem Jüngling war das Herz noch schwerer als zuvor, und er wusste kaum sich zu lassen, so elend kam ihm dieses Leben vor. Einst, als er wieder in der Nacht an der Hinterpforte sass und weinte und weinte, kam ein Fuchs zu ihm herangetrippelt und fragte ihn: »Willst du dich nicht auf meinen Rücken setzen?« – »O, wie gerne ginge ich fort!« sagte der Jüngling. »Doch ich muss auch meine Schwester mitnehmen. Warte hier, ich hole sie gleich.« – Der Fuchs versprach zu warten, und der Jüngling eilte die Schwester zu holen. Er trat in die Stube und wollte, wie früher auch, das Mädchen von des Wassernixen Seite fortziehen. Aber diesmal erwachte die Schwester und wollte nicht mitkommen; da ergriff sie der Bruder mit Gewalt und trug sie an die Hinterpforte, wo sich die Geschwister auf des Fuchses Rücken setzten. Auf der Flucht mahnte der Fuchs seine Reiter: »Wenn ihr den Wassernix kommen seht, sagt es mir sofort an.« – »Laufe du nur,« meinte der Jüngling, »ich werde dir schon sagen, wenn Jemand naht.« – »Nun, so haltet euch auf meinem Rücken fest«, sagte der Fuchs und lief, so schnell er vermochte. Aber nach kurzer Zeit ward man des nacheilenden Wassernixen gewahr, und der Jüngling sagte in seiner Angst zum Fuchse: »Nun wird uns der Nix tödten!« – »Unter meinem Schwanze ist ein Feuerzeug«, belehrte ihn der Fuchs. »Wirf dieses hinter dich, dann wirst du sehen, was da kommt.« – Der Jüngling warf das Feuerzeug hinter sich, und sofort entstand ein so schrecklicher, Feuer sprühender Wasserfall,[122] dass der Wassernix nicht hindurch konnte. Da stand er nun am Ufer des Falles und weinte und heulte wie ein Wolf; den Flüchtlingen konnte er jedoch nichts mehr anthun, die waren schon weit auf der andern Seite des feurigen Wasserfalles. Nun der Wassernix nicht mehr zu fürchten war, stiegen die Geschwister vom Rücken des Fuchses herab, und der Jüngling baute sich an der Stelle ein Haus, worin er mit seiner Schwester lebte, wie man es in einem eignen Heim zu thun pflegt. Nach einiger Zeit, als das Hauswesen bereits gut bestellt war, kam der Wolf, um des Jünglings neue Wohnung anzusehen, und sagte, indem er ihn begrüsste: »So weit bist du gekommen, mein Knabe; willst du mich nicht zum Spielgefährten haben?« – »Ja, ich bin endlich erlöst«, antwortete der Jüngling; »bleibe nur hier als mein Gefährte, um so fröhlicher lässt sich's dann leben.« Es dauerte nicht lange, da kam auch der Bär heran, begrüsste den Jüngling und fragte: »Nimmst du mich zum Spielgefährten?« – »Komm nur!« antwortete der Jüngling, und der Bär blieb bei ihm. Zuletzt erschien auch der Fuchs, um den Jüngling zu beglückwünschen, und bot sich ebenfalls zum Spielgefährten an. »Dich nehme ich ganz besonders gern«, sagte der Jüngling; »du hast mich ja von dem Wassernix errettet, desshalb magst du als mein Gefährte bei mir wohnen.«

Sie lebten schon eine Weile beisammen, da rief einst der Jüngling seine Gefährten und sprang mit ihnen in den Wald. Während dessen eilte das Mädchen an den Wasserfall und begann Geröll hinein zu werfen. Sie warf und warf immerfort, bis das Wasser ruhig wurde, und der Nix zum Mädchen hinüber gelangen konnte. Sie führte ihn in das Haus des Bruders; die Nacht schliefen sie bei einander wie Mann und Weib; doch am andern Tage verwandelte sich der Wassernix in eine Nadel, welche das Mädchen in eine Wandritze steckte, damit sie der Bruder[123] nicht finden sollte. Desselben Tages kam der Jüngling heim und brachte seine Gefährten mit in die Stube; doch kaum waren diese drinnen, als sie einen Lärm vollführten, an den Wänden rissen und kratzten und überall nach etwas suchten. Darüber erschrak das Mädchen und sagte zu ihrem Bruder: »Gebiete doch, Bruder, deinen Spielgefährten; sie zerreissen ja die Stubenwände.« Da gebot der Jüngling seinen Gefährten sich artig zu verhalten, und beschämt setzten sie sich in ein Loch.

Am andern Tage ging der Jüngling wieder mit seinen Gefährten in den Wald und blieb dort zur Nacht. Während dessen nahm der Wassernix seine wahre Gestalt an und lebte mit dem Mädchen; doch als der Tag herankam, ward er zur Nadel und das Mädchen verbarg diese im Bettzeug, damit die Heimkehrenden sie nicht finden sollten. Was nun weiter? Als der Jüngling aus dem Walde heimkam, stieg der Geruch des Wassernixen den Spielgefährten sofort in die Nase, und alle drei durchstöberten das Bettzeug und rissen lärmend daran herum. Der Jüngling wunderte sich, warum sie solch ein Wesen trieben; aber die Schwester bat ihn und sagte: »Verbiete ihnen doch das Lärmen!« Da redete der Jüngling auf seine Gefährten ein, bis er sie beruhigt hatte.

So verging die Zeit bis zum nächsten Morgen; der Jüngling eilte schon früh hinaus in den Wald und kam mit seinen Gefährten erst am andern Tage nach Hause. Die Schwester stellte sich bei seiner Rückkehr krank und sprach mit kläglicher Stimme: »Ach, lieber Bruder, schicke doch deine Gefährten aus, dass sie mir hinter den neun eisernen Thüren eine Salbe holen; ich habe das Fieber.« Der Jüngling, welcher den Worten seiner Schwester glaubte, sandte seine Gefährten nach der Salbe aus; er selbst blieb bei der Kranken, um ihr nahe zu sein, wenn sie etwas brauchen sollte. Doch kaum waren die Gefährten hinter[124] den neun eisernen Thüren verschwunden, als sich letztere von selber schlossen und die Salbensucher nicht zurück konnten. Da sprang der Wassernix hervor, packte den Jüngling an der Hand und rief: »Wenn du in einer Woche noch weiser würdest, könntest du mich doch nicht mehr betrügen, denn ich will dich jetzt fressen.« – Alles wurde nun bereit gemacht, um den armen Jüngling zu verderben. Die Schwester heizte die eiserne Badstube, und der Wassernix führte den Bruder in den Wasserdampf hinein, um ihn durch denselben zarter zum Verspeisen zu machen. Während der Zeit versuchten die Spielgefährten hinter den neun Thüren herauszukommen; sie begannen eine Höhlung unter den Schwellen zu graben und hatten nur noch vier Thüren vor sich. Nun nahm der Wassernix den Jüngling zwischen seine Hände und sagte: »Du bist schon weich genug zum Essen!« Auf dem Dach der Badstube sass jedoch ein Rabe, der krächzte: »Klung, klung, Königssohn! Halte ihn noch ein Weilchen auf!« Da riss sich der Jüngling aus den Händen des Wassernixen los und flüchtete auf die Badebänke; aber bald fing ihn sein Widersacher aufs neue ein und wollte ihn verzehren. Zum zweiten Mal sang nun der Rabe: »Klung, klung, Königssohn, halte ihn noch ein Weilchen hin; deine Spielgefährten sind nur noch eine Meile von hier!« Der Jüngling wehrte sich und wand sich unter den Klauen des Wassernixen und kam noch einmal frei. Doch bald war er wieder in der Gewalt des Nixen, der ihn an den Hosen heraufzog, um ihn zu fressen. Siehe, wie die Gefahr am grössten war, eilten die Spielgefährten herbei, warfen sich alle auf den Wassernix und rissen ihn in Stücke. Als nun der Jüngling lebend aus den Klauen seines Feindes entkommen war, setzte er die Badstube in Brand, und der Wassernix verbrannte darin zu Asche. Seinen Spielgefährten dankte der Jüngling von Herzen und wusste nicht, wie er ihnen genug dafür lohnen[125] sollte, dass sie ihn aus solch einer Gefahr er rettet hatten. Er bereitete ihnen ein Gastmahl und gab ihnen aus goldenen und silbernen Gefässen allerlei Gutes zu essen und zu trinken. Dann rief er sie herbei und lief mit ihnen zur Kurzweil in den Wald, wie früher.

Während sie fort waren, nahm das Mädchen ein Sieb zur Hand und siebte die Asche in der Badstube durch, um zu sehen, ob sie nicht ein Ueberbleibsel des Wassernixen finden könnte. Sie durchsuchte genau die Asche und fand endlich ein Knochenrestchen vom Wassernix; das nahm sie mit ins Haus und steckte es unter das Kopfkissen ihres Bruders. Dieser kehrte aus dem Walde, vom vielen Wandern müde, heim und warf sich auf sein Bett, um zu schlafen. Da drang ihm während des Schlafens der im Kissen versteckte Knochen in den Kopf, und der Jüngling musste sterben. Darauf kam die Schwester, welche recht auf ihrer Hut war, hob den Bruder vom Bett und vergrub dessen Leiche in die Erde; so rächte sie sich für das Verbrennen des Wassernixen.

Die Spielgefährten, die ihren Herrn eine Zeitlang nicht gesehen hatten, fingen an sich nach ihm zu sehnen, und suchten nach ihm, wo sie ihn wohl finden könnten. Endlich, nachdem sie vergeblich hier und da gesucht, kam ihnen ein Geruch aus der Erde entgegen. Diesem Geruch gingen sie nach, und kamen an die Stelle, wo der Jüngling begraben lag; sie gruben ein wenig die Erde auf und fanden ihren todten Herrn. Nun war die Angst gross und sie beriethen sich miteinander: »Wie sollen wir unsern Herrn auferwecken? Wir müssen ihn doch wieder zum Leben bringen!« Was nun thun? – Sie untersuchten den Leichnam, und als sie des Wassernixen Knochen im Kopfe des Todten fanden, erriethen sie gleich, welches Todes der Jüngling gestorben war, dass ihn der Knochen des Wassernixen umgebracht hatte. Da sagte der Bär:[126] »Ich will meinen Kopf an den Knochen lehnen, vielleicht geht dieser in ihn hinein.« Und er beugte seinen Kopf zu dem des Todten herab. Alsobald sprang der Knochen aus dem Kopfe des Todten in den des Bären, welcher sofort todt hinsank. Der Jüngling dagegen erwachte zum Leben und sagte, sich aufrüttelnd: »Uh, huh! eine Woche lang habe ich geschlafen!« – »Ja, das hast du gethan, lieber Herr!« sagten der Wolf und der Fuchs. »Doch wenn wir nicht gewesen wären, hättest du in alle Ewigkeit geschlafen!« Darauf sagte der Wolf: »Nun will ich meinen Kopf an den des Bären lehnen, vielleicht dringt der Knochen hinein.« Und er legte den Kopf an den des Andern. Nun sprang der Knochen des Wassernixen aus dem Kopf des Bären in den des Wolfes, und dieser starb, während der Bär wieder lebendig ward. Da dachte der Fuchs bei sich: »Ich habe in so manchem Fall meine Weisheit bewiesen, sollte es jetzt um meinen Kopf geschehen sein?« Er kniete nieder und lehnte seinen Kopf an den des Wolfes; doch kaum drang der Knochen daraus hervor, als der Fuchs etwas zur Seite rückte, und der Knochen in eine grosse Tanne fuhr, die sofort abstarb. »Mag sie sterben, im Walde giebt's andere!« meinte der Fuchs und freute sich, dass es ihm nicht so ergangen war. Nun ward auch der Wolf lebendig, und Alle gingen sie mit ihrem Herrn in das Haus, wo sie die Schwester abholten, das Heim verliessen und alle zusammen fortwanderten; es galt die alte Heimat aufzusuchen.

Nachdem sie eine Strecke gegangen waren, kamen sie an eine Kirche, die so alt war, dass das Dach ganz zerfallen war. Die Wanderer traten in die Kirche ein und besahen das Innere; es befand sich ein Priester darin, wie gewöhnlich in einer Kirche, und zwei Leute, die da beteten. Die Zwei waren des Jünglings Vater und Mutter, die aber so alt geworden waren, dass die Eine die Spindelspitze[127] anbrennen musste, der Andere einen brennenden Tannenzapfen vor sich stehen haben musste, um bei der Arbeit sehen zu können. Ihre Kinder erkannten die Beiden nicht mehr. Da nahm der Königssohn Lebenswasser und bespritzte damit die Alten, die davon ebenso jung und schön wurden, wie sie ehedem gewesen waren, und ihre Kinder sofort erkannten. Nun war das Staunen gross beim Wiedersehen; Alle gingen sie in das Königsschloss, wo der Jüngling dem Vater alle seine Leiden erzählte und hinzufügte: »Durch die Schuld meiner Schwester habe ich bereits unter der Erde gelegen.« Als der Vater solches hörte, ward er sehr zornig und liess seine Tochter vor das Thor führen, wo sie mit einer Kanone todtgeschossen wurde. Aber den Spielgefährten gab man aus goldenen und silbernen Gefässen zu essen und zu trinken, und der Königssohn führte fortan die Herrschaft im Schlosse seiner Eltern. Wer kann sagen, wie sie wohl gelebt haben. – So weit die Geschichte.

Quelle:
Schreck, Emmy: Finnische Märchen. Weimar: Hermann Böhlau, 1887, S. 116-128.
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