59. Dummhans und der Riese

[314] Wie häufig auf dieser Welt, lebten einmal ein Mann und eine Frau. Sie hatten einen Sohn, der ebenso bösartig wie närrisch war. Er stellte nichts als Bosheiten und Rüpelhaftigkeiten an, daher entschlossen sich seine Eltern, ihn in Dienst zu schicken, und der Bursch war auch damit einverstanden. Er geht also fort und geht und geht und geht. Dann kommt er in ein Land. Dort fragt er, ob man einen Burschen nötig habe. In einem gewissen Hause brauchte man gerade einen. Er ging hin, und man machte für soundso viele Monate die Bedingung aus, daß demjenigen, Herrn oder Diener, der zuerst mit dem andern unzufrieden wäre, die Rückenhaut abgezogen werden sollte.

Der Herr schickt den Burschen in den Wald und sagt ihm, er solle gebogenes, möglichst gebogenes Holz heimbringen. Nahe beim Walde war ein Weinberg, der Bursch schnitt alle Weinstöcke ab und brachte sie nach Haus. Der Herr fragte ihn, wo sein Holz wäre, und er zeigte ihm die abgeschnittenen Weinstöcke. Der Herr sagte nichts, aber er war nicht zufrieden.

Am folgenden Tage befahl er ihm, die Kühe aufs Feld zu treiben, jedoch ohne eine Tür oder eine Schranke zu öffnen. Unser Dummhans schneidet das ganze Vieh in Stücke und wirft dieselben über die Hecken auf das Feld. Der Herr geriet wieder in Zorn, aber er wollte nichts sagen, um nicht die Rückenhaut abgezogen zu bekommen.

Was tat er? Er kaufte sich eine Herde Schweine und schickte den Helden mit sieben Säuen ins Gebirge, ohne ihm jedoch etwas zum Essen mitzugeben. Der Bursch sagte: »Was soll ich essen? Vielleicht Kieselsteine?« »Was du willst!« Auf dem Dach beim Kamin lag ein Viertelzentner Nüsse zum Trocknen. Der Bursch nimmt die Nüsse mit in den Wald. Er wußte, daß dort ein Riese1 hauste, aber das war ihm gleichgültig. Er geht fort und geht und geht und geht. Er[315] kommt in eine Hütte. Die des Riesen war nicht weit entfernt. Die Schweine des Riesen und die des Dummhans weideten zusammen. Der Riese kam zu ihm und sprach: »Wohin gehst du und was machst du hier?« Er hütet ruhig seine Schweine weiter, nimmt eine Nuß, steckt sie in den Mund und zerknackt sie mit den Zähnen. Dann sagt er zum Riesen: »Ich fresse Menschenknochen.«

Eines Tages sagte der Riese, ob er mit ihm um die Wette einen Stein schleudern wolle. Er nimmt die Wette an; aber am Abend war unser Dummhans sehr betrübt. Er betete und eine kleine Alte kam zu ihm. Sie fragt ihn, warum er so traurig sei. Er erzählt ihr, welche Wette er mit dem Riesen abgeschlossen habe. »Wenn es weiter nichts ist, das ist gar nichts«, sagte die Alte. Sie gab ihm einen Vogel und sagte ihm, er solle diesen Vogel an Stelle des Steines wegschleudern. Am nächsten Tage tat er, wie die kleine Alte ihm geraten hatte. Der Stein des Riesen erreichte eine erschreckliche Höhe, aber schließlich fiel er doch wieder zur Erde. Der Vogel des Dummhans kam aber überhaupt nicht wieder herab, und der Riese war höchst erstaunt, ihn nicht wiederzusehen.

Sie gingen eine andere Wette ein, wer am weitesten eine sieben Zentner schwere Keule2 schleudern könne. Der Bursch war sehr betrübt darüber. Er begann zu beten, und die nämliche Alte kam zu ihm. Sie fragt ihn, was er habe. Er erzählt ihr, wie er mit dem Riesen gewettet habe, wer seine Keule am weitesten schleudern könne, und wie er sehr betrübt darüber sei. Sie antwortete ihm: »Wenn es weiter nichts ist, das ist gar nichts. Wenn du die Keule nimmst, so brauchst du nur zu sagen: ›Hinweg, Keule, nach Salamanca!‹«

Am folgenden Tage ergriff der Riese eine furchtbare Keule und schleuderte sie eine beträchtlich weite Strecke. Der Dummhans hob sacht das Ende der Keule auf und sprach: »Hinweg, Keule, nach Salamanca!« Als der Riese dieses hörte, sprach er: »Laß gut sein! Du[316] hast die Wette gewonnen. Mein Vater und meine Mutter wohnen dort. Wirf die Keule nicht dorthin, bitte, du möchtest sie zerschmettern.« Unser Dummhans war sehr zufrieden.

Dann führte ihn der Riese zu einer Quelle und sie wetteten, wer das meiste Wasser nach Hause tragen könnte. Der Riese füllte zwei Fässer, aber der Bursch sagte: »Was? Nur zwei Fässer? Ich werde das ganze Wasser fortschaffen!« Und er begann an dem Brunnen zu rütteln. Der Riese sprach zu ihm: »Nein, nein, laß! Du hast gewonnen, gehen wir! Wo sollte ich trinken, wenn du das ganze Wasser fortträgst?«

Der Riese teilte ihm mit, er wolle aus dem Wald eine gewaltige Eiche holen und er solle es ebenso machen. Abends war unser Dummhans noch betrübter als je zuvor. Er fing an zu beten und die nämliche Alte erschien. Er erzählte ihr, welche Wette er mit dem Riesen eingegangen sei und wie dieser eine gewaltige Eiche tragen wolle. Die Alte gab ihm drei Knäuel Garn und sprach zu ihm: »Wenn er seinen Baum umgeschlagen hat, beginnst du mit deinem Knäuel alle übrigen Bäume zu umspannen.« Am nächsten Tage gehen sie in den Wald und der Riese macht sich an eine entsetzlich große Eiche. Der Dummhans nimmt sein Garn und bindet und bindet und bindet. Der Riese fragt ihn: »Was machst du da?« »Du einen Baum und ich alle!« Der Riese sprach: »Nein, nein, wie sollte ich ohne Eicheln meine Schweine mästen? Du hast die Wette gewonnen.« Der Riese wußte nicht, was er davon halten sollte; er hatte einen größeren Spitzbuben gefunden, als er selber war.

Er sprach zu ihm: »Du hast kein Haus hier; komm zu mir, da sollst du Essen und ein Bett bekommen.« Der Bursch sagte zu. Als sie im Hause des Riesen angekommen waren, setzte dieser einen halben Ochsen aufs Feuer. Der Bursch sagte zu ihm: »Welch einen Appetit du hast! Und ich, der ich so viel weniger esse, habe doch ebensoviel Kraft wie du.« »Das werden wir gleich sehen.« Unser Bursch ißt soviel wie er kann[317] und läßt den Riesen das Mahl beenden; dann sagt er, er wolle schlafengehen. Der Riese blieb noch auf. Der Bursch schaut unter sein Bett; es lagen drei Leichen darunter. Er nahm eine von ihnen und legte sie auf seinen Platz, die Pfeife im Mund. Als der Riese glaubte, daß der Bursch eingeschlafen wäre, kam er mit seiner sieben Zentner schweren Keule und versetzte ihm gewaltige Schläge. Am folgenden Morgen erhob sich der Riese wie gewöhnlich und ging zu seinen Schweinen. Der Bursch kriecht unter dem Bett hervor und kommt gleichfalls zu seinen Schweinen. Der Riese ist erschrocken, als er ihn sieht. Er weiß nicht, was er davon halten soll, und er sagt sich, daß der Dummhans wirklich ein größerer Spitzbube ist als er selber. Er fragt ihn, ob er gut geschlafen habe. Jener antwortet ihm: »Ja, nur hat mich das Ungeziefer sehr belästigt. Ist das Frühstück fertig?«

Als die Schweine fett waren, mußte er wieder fort. Aber die Schweine waren durcheinandergeraten. Der Riese fragte den Dummhans, welches Zeichen seine Schweine hätten. Der Dummhans sagte: »Die meinigen haben alle unter dem Schwanz ein bis zwei Löcher.« Sie sehen nach und finden dieses Zeichen bei allen. Unser Dummhans zog also mit allen Schweinen ab.

Er geht und geht und geht und gelangt in eine Stadt. Da war gerade Markt. Er verkauft alle Schweine bis auf zwei, aber er hatte zuvor ausgemacht, daß er alle Schwänze behalten dürfte. Er schneidet sie ab und steckt sie in die Tasche. Wie ihr euch denken könnt, hatte er große Angst vor dem Riesen; er sah ihn von der Höhe des Berges herabkommen. Er tötet eines seiner Schweine und bindet sich dessen Eingeweide vor den Bauch. Auf der Seite der Straße war ein Trupp Leute. Als er bei ihnen vorüberging, zog er sein Messer und stieß es sich vor den Leib. Die Eingeweide traten heraus, und unser Dummling beginnt, mit seinem Schwein voran, noch viel schneller zu laufen als zuvor. Als der Riese bei den Leuten ankam, fragte er sie, ob sie den und den Mann gesehen hätten? »Ja, ja, er ging rasch, und um noch schneller[318] gehen zu können, hat er sich gerade hier einen Messerstich versetzt.« Der Riese wollte ebenso schnell gehen und stieß sich gleichfalls sein Messer in den Leib. Aber er fiel mausetot um.

Der Dummhans kam in das Haus seines Herrn. Nahe beim Hause lag ein Brunnen, der war ganz voll Schlamm. Er wirft sein lebendiges Schwein und die Schwänze von all den andern hinein und geht ins Haus. Der Herr ist sehr erstaunt, ihn zu sehen, und er fragt ihn, wo die Schweine sind. Er antwortet ihm: »Sie haben sich in den Schlamm gewühlt, denn sie sind sehr müde.« Beide gehen zum Brunnen und machen sich daran, das wirkliche Schwein herauszuziehen. Sie zogen es mit vereinten Kräften heraus, aber was den Rest betrifft, so blieben nur die Schwänze übrig. Der Dummhans sagte zu seinem Herrn: »Seht, wie fett und schwer sie sind, darum sind ihnen die Schwänze abgebrochen.«

Der Herr schickt ihn, Hacke und Schaufel zu holen. Anstatt sie zu nehmen, beginnt er die Hausfrau zu verprügeln, dann ruft er dem Herrn zu: »Nur eine oder alle beide?« »Alle beide, alle beide!« Und er macht sich daran, auch noch die Magd zu bläuen.

Dann schickt man ihn, um Farrnkraut abzuschneiden. Man sagte ihm, wenn er nicht alles abgeschnitten hätte, bis der Kuckuck schrie, so müsse er sterben. Vor Tagesanbruch ging er fort und zündete sich eine Pfeife an, aber schon schrie der Kuckuck: »Kuckuck!« Voll Zorn nahm der Bursch seine Büchse und zielte auf den Baum, wo es »Kuckuck« geschrien hatte. An Stelle des Kuckucks fiel die Hausfrau vom Baum. Da wurde der Herr wütend, aber der Bursch erinnerte ihn an den Vertrag und zog ihm die Rückenhaut ab. Dann nahm er sein Schwein und suchte Vater und Mutter wieder auf, und sie lebten gut und starben gut.

1

Le Tartaró.

2

palenka.

Quelle:
FR-Märchen Bd.2, S. CCCXIV314-CCCXIX319.
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