[369] 29. Die Goldschmiedin und der treue Fischersohn.

[369] Aus Ziza. –

Dies Märchen folgt der Formel Nr. 35 und entspricht dem vom treuen Johannes bei Grimm Nr. 6 und treuen Paul bei Wolf, D. Hausm., S. 3831.

Auch Johannes leitet wie hier die Entführung der Geliebten seines Herrn zu Schiff, doch erscheint er nicht als dessen Altersgenosse, sondern als Mentor mehr in dem Charakter des Lehrers in Nr. 15.

Paul ist ein vom König im Walde gefundener Findling, den er mit seinem Sohne erziehen läßt. Auch hier erfolgt die Entführung der Prinzessin zur See und erlauscht Paul im Mastkorb sitzend das Gespräch der beiden Tauben. Er tötet das Pferd und schüttet den Weinbecher um, in den eine Kreuzspinne Gift geträufelt hat. Beide Tiere sind vom Vater der Entführten geschickt2. Auch hier beschuldigt die Mutter des Prinzen den treuen Paul des Neides. Dieser erscheint nach seiner Versteinerung dem Prinzen im Traume, und fordert zu seiner Erlösung das Blut seines Kindes, doch der gute Wille des Prinzen reicht zu seiner Entsteinerung hin.

Die weissagenden Vögel sind im Griechischen recht gut[370] an den ersten Teil des Märchens geknüpft, im Deutschen fehlt diese Verbindung.

Das Verhältnis zwischen dem in die Goldschmiedin verliebten Prinzen und dem treuen Fischersohn klingt an das Verhältnis des in Gerda verliebten Freiers zu Skirnir in der Edda an. –

Von da an, wo Johannes und der Fischersohn als der Vogelsprache kundig erscheinen, entsprechen beide Märchen, kleine Abweichungen abgerechnet, einander vollkommen.

Das Verhältnis des Goldschmiedes und der Goldschmiedin erinnert an Hephäst und Aphrodite, die mit der Goldkrone im Sessel sitzende und mit dem goldenen Apfel spielende (wiederholt in Nr. 96) Goldschmiedin an die färörische Brinhild, die Gold an der Braue tragend (v. 38) oder mit dem vergoldeten Messer spielend (v. 192) in ihrem Goldsessel sitzt. Raßmann I, S. 315 u 323. Auch von der Prinzessin vom goldenen Dach heißt es, daß ihr Hausrat von Gold gewesen sei.

Das goldene Dach, der siebenstöckige Turm, der goldene Apfel und die Betonung des Goldes überhaupt scheint auf das Himmelsgewölbe und die Sonne hinzudeuten.

Die Entführung der Goldschmiedin zu Schiff geschieht mit ihrer Einwilligung, wie die der homerischen Helena und der deutschen Hilde, Hagens Tochter, im Gudrunlied; die der Prinzessin vom goldenen Dache aber gegen ihren Willen. Nach der persischen Sage von Jo bei Herodot I, S. 1 wird auch diese gewaltsam von dem phönizischen Schiffe entführt, auf das sie, um Waren zu kaufen, gegangen war.

Die entsprechende walachische Form ist das Märchen von Wilisch Witiasu (Schott Nr. 11). Er war unsterblich,[371] wurde von dem Helden aus der Sklaverei losgekauft und trug gleich dem eisernen Heinrich (Grimm Nr. 1) drei eiserne Reife um den Leib, welche von einem Trunk Wein mit solcher Gewalt sprangen, daß sie weit davonflogen, ihn selbst aber riß eine innere Glut hoch in die Lüfte, so daß er mit ungeheurer Gewalt wieder auf die Erde fiel. Er ist gleich dem treuen Johannes mehr der Mentor als der Genosse des Helden, verwandelt sich in einen Jagdhund und, um eine Unterredung zu belauschen, in einen Basilisken (ist im Neugriechischen der Name des Zaunkönigs). Er hilft dem Prinzen die Prinzessin dem Drachen entführen, der sie geraubt; die Entführung erfolgt jedoch zu Lande, wobei Zusammenberufung der Vögel und Wegweisung durch einen lahmen Geier und Abfragen der Stärke des Drachen (s. Parallelen im Sachregister). Dann folgt das Gespräch der Vögel, aber ohne Einfluß auf das Folgende. Das Zerhauen des von den der Braut feindlichen Schwiegereltern entgegengeschickten Brauthemdes und der beiden Pferde. Wilischs Versteinerung erfolgt ohne alle Motivierung nach einem Trunke Weines und seine Entsteinerung durch den Helden mit dem Blute eines ihm verwandten und von ihm zerhauenen Zwillingskindes.

Unter den drei Formen der treuen Gestalt scheint uns die walachische die älteste zu sein.

Im Pentamerone Nr. 39 findet sich das sehr verflachte Gegenstück unseres Märchens; der treue Diener wird hier zum liebenden Bruder, welcher die Entführung der Jungfrau allein unternimmt, indem er sie auf sein Kaufmannsschiff lockt. Die redenden Tauben sind von dem zauberkundigen Vater der Entführten abgesandt. Die Formel lautet: »Wenn er den für seinen Bruder gekauften Falken und Hengst nicht abgibt oder diesen warnt,[372] so wird er zu Stein«; und ebenso für den in der Brautnacht kommenden Drachen. Zum Tode verurteilt, spricht er, wird versteinert und durch das Blut der Zwillingssöhne seines Bruders entsteinert, diese aber durch den nun versöhnten Schwiegervater wieder belebt.

Die indischen Formen gibt Benfey Pantschatantra I, S. 416 ff. In der ersten opfert umgekehrt der treue Diener seinen Sohn, um das Leben des Königs, dem er dient, vor Gefahr zu bewahren. Der Zug der Versteinerung ist mit den indischen Formen nicht verbunden. Doch findet er sich in anderer Verbindung in dem Märchen vom König der schwarzen Inseln in Tausendundeiner Nacht.

Fußnoten

1 In Wolf, Deutsche Hausmärchen, S. 41 heißt die Herberge gebende Frau den treuen Diener seinen Herrn verhindern, auf drei Hirsche zu schießen, und verbietet ihm bei seinem Leben, sie zu verraten; der Diener tut dies dreimal und wird beim dritten Male von seinem erzürnten Herrn totgeschossen; er fällt daher von da an aus.


2 Dieser Zug findet sich auch in der deutschen Ortnitssage, wo der Vater der Entführten ein Drachenei in Ortnits Land legen läßt; der daraus schlüpfende Drache verschlingt diesen im Schlafe.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 369-373.
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