Tiermärchen.

[490] 85. Von dem Alten und der Alten mit dem Hahne und dem Huhne.

Text (aus Ziza in Epirus).

Variante. (Aus Agia Anna in Eubäo.) – Die Alte hat einen Hahn, der Alte ein Hündchen. – Der Hahn geht in des Königs Schatz und frißt dort Goldstücke. Die Alte merkt dies an einem in seinem Miste liegenden Goldstücke. Darauf klopft sie ihm täglich die Goldstücke mit einem Stäbchen aus, und als sie einen Haufen voll hat, verlangt sie von dem Alten das Fruchtmaß, in dessen Risse fünf Goldstücke stecken bleiben. Der Alte schickt darauf sein Hündchen aus, das ihm aber die[490] Decke nur mit Schlamm beschmutzt, als er es gleich dem Hahne ausklopfen will.

Anmerkungen – Der Text besteht aus einer Kette von vier mit vielem Geschick verbundenen Märchen, von denen wir das erste und vierte (s. Variante) als selbständige Märchen nachweisen können, nämlich:

1. Die Alten mit Hahn und Huhn, welches die Erklärung enthält, wie der Hahn zum Schnapphahn (κουτζόπεττος)1 wurde, der auch in Nr. 15 und 41 eine Rolle spielt. Hier wie dort und bei Grimm läßt er auf sich reiten, und der Ausdruck: »Setz' dich auf mein Schwänzchen« steht im Gegensatz zu dem des reitenden Fuchses: »Essen hab' ich unter meinem Schwänzchen.« Anklingend sagt in einer Variante bei Grimm III, S. 210 der Fuchs zu den drei Königstöchtern: »Setze dich auf meinen rauhen Schwanz hurleburlebutz, hinaus in den Wald,« und trägt sie zum Eisenofen.

2. Die Alten bei den Ziegen. Die sich unter den Trog versteckende und den Stall kehrende Alte mutet uns wie eine Parodie vom albanesischen und deutschen Schneewittchen Nr. 103 und der Schwester der sieben Raben bei Grimm Nr. 25 usw. an. Weit klarer erscheint die Parodie in dem donnernden Alten ausgesprochen, dessen so eigentümlich verwendeter Hammer wohl unverkennbar auf den germanischen Donnergott Thor hinweist. Ein Hammer kommt, wenn wir uns richtig erinnern, in der ganzen Sammlung nicht weiter vor, und er überrascht[491] um so mehr, als er ohne alle Vorbereitung und nähere Begründung in die Erzählung hereinblitzt.

3. Die Alte und die Füchsin soll, wie uns versichert wird, gleichfalls gesondert erzählt werden.

4. Von der Füchsin, dem Wolfe und der Jungstute können wir dies selbst bezeugen. Dies ist der einzige Teil, zu welchem wir ein deutsches Gegenstück nachzuweisen vermögen; es ist die bekannte Geis mit ihren sieben Geiserchen bei Grimm Nr. 5. Doch ist der Schluß verschieden, weil dort die Verschluckten wieder aus dem aufgeschnittenen Bauche des Wolfes hervorspringen, das griechische Fohlen aber nicht wieder auflebt und nur durch den Tod des Wolfes gerächt wird.

Näher als die deutsche schließt sich die serbische Form bei Wuk Nr. 50 an die griechische an. Ein Fuchs knetet aus Erde kleine Kuchen, bestreicht sie mit Honig und bietet sie Truthühnerhirten für ein junges Truthuhn an; aber weder diese noch die Schweinehirten und Rinderhirten lassen sich betrügen. Er kommt endlich zu den Pferdehirten und diese geben ihm ein Fohlen, das, wie im Griechischen, der Wolf frißt, indem er nur Kopf und Schwanz übrig läßt. Um sich zu rächen, legt sich der Fuchs wie tot einem Fuhrmann in den Weg; der wirft ihn auf seinen Wagen, wo der Fuchs aus dem Speisesack des Fuhrmanns drei Käse stiehlt. Zwei frißt er, den dritten hängt er sich um den Hals und sagt dem Wolfe, daß er den Käse aus dem Wasser geschlürft habe. Er zeigt ihm das Bild des Vollmondes im Spiegel eines Teiches und weist ihn an, diesen Käse herauszuschlürfen. Er verstopft dem angetrunkenen Wolf alle Öffnungen (Anklang an den griechischen Hammer) und setzt sich unter dem Vorwande, daß er krank sei, auf ihn, indem er ruft: »Der Kranke trägt den Gesunden!« (S. Nr. 86.)[492] Die Hochzeitsgäste loben seinen Gesang. Er sagt, daß er noch viel schöner auf dem Oberboden des Hochzeitshauses singen könne. Als man ihn auf dem Wolfe dort hinaufsteigen läßt, lüftet er die verstopften Öffnungen des Wolfes und entspringt, und die Hochzeitsgäste bläuen den Wolf durch.

Nach einer Weile wettet er mit dem Wolfe, wer am besten über einen spitzen Pfahl springen könne, und der Wolf spießt sich an demselben.

Fußnoten

1 Auch im Pentamerone Nr. 31 ist der Hahn, in dessen Kopf der Wunschstein liegt, verkrüppelt. – Sogar das Negermärchen 5 bei Grimm III, S. 374 erzählt, daß sich der Elefant auf den Schenkel des schlafenden Hahns gesetzt habe, der Hahn aber nach Hause gehinkt sei und sich Mittel bereiten mußte, um seinen Schenkel zu heilen.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 490-493.
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