[328] 9. Von den drei dankbaren Tieren.

Text (aus Kapessowo in Çagori).

Variante 1. (Aus Ziza.) – Statt des Siegelringes, welchen der mitleidige Jüngling von dem Schlangenvater erhält, steht in dieser Variante das Zam Kureleni, doch fehlt jede nähere Beschreibung desselben.

Variante 2. (Aus Agia Anna in Euböa.) – Es war einmal ein Mann, der ging über Land und begegnete[328] unterwegs zwei Leuten, welche eine junge Schlange totschlagen wollten. Da rief er: »Schlagt sie nicht tot, sondern gebt sie mir, und als sie ihm die Schlange gegeben hatten, nahm er sie mit nach Hause, gab sie seiner Frau und trug ihr auf, acht auf sie zu haben und sie gut zu füttern.« Darauf ging er in die Fremde.

Als nun die Schlange heranwuchs, sprang sie auf die Frau los, wenn sie ihr Futter brachte, so daß die sich vor ihr zu fürchten begann, und es ihrem Manne klagte, als er aus der Fremde zurückkam. Da ging der Mann zur Schlange, um sie anzusehen; die erkannte ihn sogleich und kam zu ihm herangekrochen und liebkoste ihn, weil er sie vom Tode errettet hatte. Darauf sprach sie: »Sei nun auch so gut und bringe mich zu meiner Mutter.« Der Mann aber antwortete: »Ich weiß nicht, wo deine Mutter wohnt,« und die Schlange sprach: »Komme nur mit, ich will dich schon führen. Wenn wir aber an den Ort kommen, so mußt du auf einen Baum steigen, und dann werde ich pfeifen und werden sich alle Schlangen versammeln; du mußt dich nicht fürchten, und wenn ich dich rufe, herunterkommen. Dann werden dir meine Eltern große Reichtümer anbieten, du sollst aber nichts davon annehmen, und die alte Mütze, den alten Beutel und den alten Spiegel begehren, den sie besitzen, und wenn sie dir das alles nicht geben wollen, so sollst du tun, als ob du fortgehen wolltest.«

Als sie zu jenem Orte gekommen waren, stieg der Mann auf einen Baum; die Schlange pfiff und sofort strömten alle Schlangen herbei, und die Mutter und die Geschwister umarmten und küßten die zurückkehrende, weil sie sie verloren gegeben hatten. Darauf erzählte ihnen diese alles, was ihr begegnet war, und rief den Mann, und als er herankam, fragte ihn die Mutter der[329] Schlange, ob er Taler oder Goldstücke haben wolle zum Danke für das, was er an ihrem Kinde getan habe. Er aber erwiderte: »Ich will nichts weiter als die alte Mütze, den alten Beutel und den alten Spiegel.« Da antworteten die Schlangen: »Du verlangst zu viel, denn das können wir dir nicht geben.« Er aber sprach: »So bedanke ich mich schönstens« und wandte sich um und ging weg; da folgte ihm die Schlange, und als das die andern sahen, riefen sie ihn zurück und gaben ihm die drei Stücke, die er verlangt hatte.

Der Mann nahm sie mit nach Hause und gab sie seiner Frau in Verwahrung, und es dauerte nicht lange, so wurde er krank und starb. Er hinterließ einen Knaben, und als der heranwuchs, hatte er keine Mütze aufzusetzen, weil seine Mutter zu arm war, um ihm eine anzuschaffen, und er fragte daher eines Tages seine Mutter: »Höre, Mutter, hat mein Vater nicht irgendeine alte Mütze hinterlassen, die ich tragen könnte?« Da erinnerte sich die Mutter an jene Mütze, suchte sie hervor und gab sie ihm. Als er sie aber aufsetzte, rief die Mutter: »He, wo bist du denn? Ich sehe dich ja nicht!« Da sprach der Knabe: »Setze du die Mütze einmal auf, ich will doch sehen, ob ich dich auch nicht sehen kann.« Da setzte die Mutter die Mütze auf und nun konnte sie der Knabe nicht sehen.

Nach einer Weile verdingte sich der Knabe als Knecht, und als er zum ersten Male seinen Monatslohn empfing, wußte er nicht, worin er ihn aufheben könne. Er ging also zu seiner Mutter und fragte sie: »Hatte mein Vater nicht irgendeinen alten Beutel, in dem ich meinen Lohn aufbewahren könnte?« Da erinnerte sich die Mutter jenes alten Beutels, suchte ihn hervor und gab ihn ihrem Sohn, der fünf Piaster hineinsteckte. Als er nach[330] einer Weile wieder in den Beutel sah, waren aus den fünf Piastern fünf Goldstücke geworden, und das war die Kraft des Beutels, daß er alles, was hineingesteckt wurde, in Gold verwandelte.

Der König dieser Stadt hatte aber eine Tochter, die so schön war, daß er beschloß, sie für Geld sehen zu lassen. Er ließ also im ganzen Lande bekannt machen, daß sie für jeden zu sehen wäre, welcher dafür fünfhundert Piaster zahle. Da ging auch der Jüngling hin, zahlte das Eintrittsgeld und sah die Prinzessin an. Als er wieder nach Hause kam, sprach er zu seiner Mutter: »Höre, Mutter, hatte mein Vater keinen Spiegel?« Da erinnerte sich die Mutter an jenen alten Spiegel, suchte ihn hervor und gab ihn dem Sohne. Als der nun hineinsah, erblickte er die Prinzessin darin, wie sie leibt und lebt, und nun faßte er so große Liebe zu ihr, daß er wieder zu ihr ging und ihr einen großen Beutel voll Goldstücke zum Geschenk bot. Da fragte sie ihn, wo er diesen Schatz gefunden habe, und er erwiderte: »Ich habe einen alten Beutel, und wenn ich in den fünf Piaster stecke, so werden daraus fünf Goldstücke.« Als das die Prinzessin hörte, fing sie an, ihm schön zu tun und brachte ihn bald dahin, daß er ihr den Beutel schenkte. Darauf setzte der Jüngling seine alte Mütze auf, ging in der Nacht unsichtbar in das Schloß und in das Schlafgemach der Prinzessin und zwickte sie in den Fuß. Da rief diese ihren Vater und sagte: »In meiner Stube ist ein Mensch versteckt.« Der König und seine Leute suchten darauf alle Winkel und Ecken aus, sie konnten aber nichts finden. Kaum waren sie aber weggegangen und hatte sich die Prinzessin wieder gelegt, so zwickte er sie wieder in den Fuß. Als sie nun aufsprang und Hilfe holen wollte, gab er sich ihr zu erkennen, und die Prinzessin begann ihm[331] wieder so lange zu schmeicheln, bis sie ihm nicht nur die alte Mütze, sondern auch den alten Spiegel abgeschwatzt hatte. Als sie aber im Besitze der drei Zauberstücke war und der Jüngling erklärte, daß er ihr nun alles gegeben, was er besessen habe, da ließ sie ihn aus dem Schlosse jagen, und um nicht zu verhungern, mußte er sich bei einem Priester als Knecht verdingen und dessen Schweine hüten.

Darauf folgt der Kampf mit der Wildsau, wie er in Nr. 64, Variante 2 erzählt wird. Die Wildsau spricht während der Pause: »Wenn ich eine Handvoll Erbsen1 und ein bißchen Wasser hätte, um meinen Rüssel zu netzen, und wenn ich dich dann nicht tötete!« – Und er antwortete: »Wenn ich ein Weihbrot, einen Eierkuchen und ein Glas Wein hätte, und wenn ich dich dann nicht totschlüge!« Am dritten Tage bringt ihm die Priesterstochter das Gewünschte, und nachdem er die Sau getötet, findet er in deren Bauch drei Tauben, in denen aber seine eigene Stärke sitzt. Er geht damit zur Prinzessin und läßt sie sich von ihr abschwatzen. Diese gibt sie darauf einem andern, der sie erwürgt und dadurch den Tod des Jünglings bewirkt. Als das dessen Mutter hörte, machte sie sich auf, um ihn aufzusuchen, und tötet unterwegs eine Schlange, die durch ein Kraut wieder belebt wird, welches eine andere Schlange auf sie legt. Die Mutter steckt das Kraut zu sich und belebt damit die Leiche ihres Sohnes. – Ohne Schluß und fast ebenso trocken und kurz erzählt wie hier. –

Anmerkungen. – S. Formel Nr. 32.

Das Textmärchen teilt mit den Varianten und dem serbischen bei Wuk Nr. 3 denselben Eingang, welcher zur[332] Formel Nr. 32 von den dankbaren Tieren gehört. Auch hier erweist sich, wie in der hellenischen Sage von Melampus, die Schlange dankbar. Von der Erwerbung des Siegelringes an, folgt das Textmärchen demselben Grundgedanken wie das bekannte arabische von Aladins Lampe, mutet uns aber durch die Beteiligung des Hundes und der Katze zur Wiedererlangung des verlorenen Zauberringes weit ursprünglicher an, als das Märchen in Tausend- und einer Nacht, welches die ihm fehlenden Tiere durch einen Zauberring, eine Dublette der Lampe ersetzt, den der Held von seinem Gegner selbst erhalten hat.

Die beiden Tiere des griechischen Märchens und ihr Verfahren zeigen die größte Ähnlichkeit mit dem früher Nr. 104 aufgenommenen Märchen der Grimmschen Sammlung, welches wegen zu großer Ähnlichkeit mit einem mongolischen im Stiddi-kür enthaltenen, s. Benfey, Pantschatantra Bd. I, S. 211 und 216, gestrichen worden ist. – Denn hier wie dort fällt der von den Tieren wiedergewonnene Zauberstein durch deren Schuld ins Wasser; in der Art, wie sie ihn zum zweitenmal erwerben, gehen beide Formen freilich sehr auseinander.

Der Holzkasten, in welchem der mongolische Held den Fluß hinabschwimmt, erinnert an den Baumstamm, in welchen sich Wieland legt, s. Vilcinasaga, Kap. 61.

Die Variante 2 hat mit dem Texte nur den Eingang gemein. Die Fortsetzung bildet der Zug, daß dem Helden die Wunschdinge von der Prinzessin, die er geheiratet, hinterlistig abgeschmeichelt werden, wie er auch Nr. 36 und bei Grimm Nr. 54 vorkommt, und den Schluß der Saukampf des starken Hans Nr. 64 und die Wiederbelebung des Helden durch seine Mutter mit Schlangenkraut.

Im Pentamerone Nr. 31 findet sich ein neapolitanisches[333] Gegenstück unseres Märchens in sehr verflachten Formen. –

Benfey, welcher der Formel der dankbaren Tiere große Aufmerksamkeit zugewandt hat, bemerkt Bd. 1, S. 208: »Der Gedanke, die Dankbarkeit der Tiere in ähnlichen Konzeptionen zu veranschaulichen, scheint vorwaltend dem Buddhismus entstammt zu sein, denn dieser schärft vor allem andern Wohlwollen und Mitleid gegen alle lebendigen Geschöpfe ein, und in seiner Praxis richtet sich bekanntlich dieses Wohlwollen in einem viel höheren Grade auf die Tiere als auf die Menschen.« S. 222 fügt er jedoch bei, daß der Gedanke von der Dankbarkeit der Tiere allen Anspruch darauf habe, für einen allgemein menschlichen zu gelten, sich also auch in unabhängig voneinander entstandenen Gebilden auszusprechen vermöge. Die griechische Volksanschauung ist der Tierwelt weit entfremdeter als die deutsche, und darum ist diese so häufige Wiederkehr der dankbaren Tiere im Märchen allerdings auffallend. Ließe sich beweisen, daß die Keime dieser Geistesrichtung des Buddhismus nicht urarisch seien, so wäre nach unserer Ansicht damit auch die Entlehnung aller sie betreffenden griechischen Märchen erwiesen.

Übrigens unterscheiden sich die von Benfey beigebrachten indischen Formen von den deutsch-griechischen dadurch, daß ihr Schwerpunkt auf dem Gegensatz zwischen der Dankbarkeit der Tiere und der Undankbarkeit des Menschen beruht, und dieser in den deutsch-griechischen Formen wegfällt, weil hier die Undankbarkeit des Menschen überall fehlt und unabhängig nur in Nr. 87 und 94 unserer Sammlung vorkommt.

Fußnoten

1 τοκὰ καχρὶ.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 328-334.
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